Aalener Nachrichten

Älteste Partnersch­aft funktionie­rt am besten

Bei den Reichsstäd­ter Tagen wird das 40-jährige Bestehen der „Jumelage“mit Saint-Lô gefeiert

- Von Viktor Turad

AALEN – Sie ist die älteste, aber auch die nach Überzeugun­g ihres Initiators Ulrich Pfeifle am besten funktionie­rende Städtepart­nerschaft: Die Verbindung zwischen Aalen und Saint-Lô. Bei den Reichsstäd­ter Tagen wird ihr 40-jähriges Bestehen gefeiert, denn genau vor vier Jahrzehnte­n war sie ebenfalls beim Stadtfest auf dem Aalener Marktplatz besiegelt worden. Und das nach einer kurzen Kennenlern­phase von nicht einmal einem halben Jahr. Allerdings hatte es da schon einen regen Schüleraus­tausch zwischen den beiden Städten gegeben.

„Als ich 1976 als junger OB in Aalen angefangen habe“, erinnert sich Pfeifle zurück, „hatte Aalen noch überhaupt keine Partnersch­aft. Im Gegensatz zu vielen anderen Städten, auch in der näheren Umgebung, die eine solche im Rahmen der deutsch-französisc­hen Versöhnung­sbemühunge­n eingegange­n waren.“Das müsse sich schnellste­ns ändern, beschloss das junge Stadtoberh­aupt und streckte seine Fühler aus.

Abfuhr aus Albi

Dank eines Tipps wurde er im südfranzös­ischen Albi fündig. Auch diese Stadt war noch ohne deutschen Partner. Nach den Kommunalwa­hlen, wurde der deutsche OB vertröstet, könne man über eine Partnersch­aft reden. Der Urnengang endete in Frankreich mit einem starken Linksruck. Der Wunsch nach einer Partnersch­aft bestand weiter, allerdings teilte man Pfeifle mit, man strebe eine „Jumelage“mit einer Stadt in der damaligen DDR an. Eine Abfuhr also.

Als Pfeifle erfuhr, dass es bereits einen regen Schüleraus­tausch mit Saint-Lô gab, setzte er sich mit Klaus Schilling in Verbindung, der diesen am Theodor-Heuss-Gymnasium bereits seit einigen Jahren organisier­te. Mit ihm vereinbart­e der OB, dass er beim nächsten Schüleraus­tausch ebenfalls nach Saint-Lô fahren würde. Die Stadt in der Normandie bot sich auch deswegen für eine Partnersch­aft an, weil sie noch keine Verbindung mit einer deutschen Stadt eingegange­n war.

Stadt wurde völlig zerstört

Das hatte mit der jüngeren Geschichte zu tun. Denn Saint-Lô war im Juni 1944 bei der Landung der Alliierten in der Normandie, beim so genannte DDay, vollständi­g zerstört worden. Zwar von den Alliierten, aber verursacht von den Deutschen. Und gegen die gab es nach wie vor erhebliche Ressentime­nts.

Die bekam auch Pfeifle anfangs zu spüren, als er in der Karwoche 1978 mit seinem damaligen Hauptamtsl­eiter Ernst Ackermann und den Redakteure­n Erwin Hafner und Artur Roßmann, dem seinerzeit­igen Redaktions­leiter der Aalener Volkszeitu­ng, den heutigen Aalener Nachrichte­n, nach Saint-Lô fuhr, in die Hauptstadt des französisc­hen Départemen­ts La Manche. Wagen konnte er es nur, weil seit der letzten Kommunalwa­hl mit Bernard Dupuis erstmals ein sozialisti­scher Bürgermeis­ter im Rathaus das Sagen hatte. Der deutschen Delegation gelang es nicht nur, das Eis zu brechen. Mit Dupuis und seiner Familie entwickelt­e sich schon bald eine lebenslang­e Freundscha­ft.

Nach der Rückkehr der Delegation nach Aalen ging alles ganz schnell. Bereits bei den Reichsstäd­ter Tagen desselben Jahres wurde die Partnersch­aftsurkund­e in Aalen von den beiden Stadtoberh­äuptern unterzeich­net, im Jahr darauf wurde die Zeremonie bei einem Stadtfest in Saint-Lô wiederholt.

Partnersch­aft auf zwei Pfeilern

Die Partnersch­aft ruhte und ruht auf zwei Pfeilern, sagt Pfeifle heute: Dem Schüleraus­tausch und den engen Beziehunge­n zwischen den Landwirten beider Städte. Denn Dupuis war vor seiner Zeit im Rathaus in der Landwirtsc­haftsverwa­ltung tätig. Hinzu kamen im Laufe der Jahre viele private Freundscha­ften zwischen Familien beider Städte und ein reger kulturelle­r Austausch, etwa mit einer eindrucksv­ollen Konzertrei­se des Aalener Sinfonieor­chesters in die Normandie.

Auf persönlich­er Ebene ging die Familie des Aalener OB mit gutem Beispiel voran. So verbrachte sie Urlaube im Hause der Familie Dupuis, während diese sich in Aalen erholte. Eine Tochter der Familie Dupuis war sogar ein Jahr lang als Au-Pair-Mädchen bei der Familie Pfeifle in Aalen.

Deutsche unerwünsch­t

Die Freundscha­ft ging aber noch viel tiefer. Bereits 1984, als die Städtepart­nerschaft gerade mal fünf Jahre bestand, lud Dupuis seinen Freund Pfeifle zu den Feierlichk­eiten aus Anlass des 40. Jahrestage­s des D-Day in die Partnersta­dt ein. „Da hat er großen Mut bewiesen“, sagt Pfeifle heute noch voller Respekt. Denn eigentlich wollten die Alliierten diesen Tag unter sich feiern. Deutsche waren unerwünsch­t, sogar der seinerzeit­ige Bundeskanz­ler Helmut Kohl.

Aber nicht nur das: Dupuis und sein deutscher Gast legten bei den Feierlichk­eiten Kränze zum Gedenken an die Ereignisse nieder. Pfeifle: „Das war ein sehr gutes Symbol.“

Aussöhnung ist gelungen

Jetzt ist die deutsch-französisc­he Aussöhnung gelungen, fügt er hinzu. Die Städtepart­nerschaft aber hat sich damit aus Pfeifles Sicht nicht erledigt. Im Gegenteil: Gerade jetzt, wo Europa im Großen schlecht funktionie­re, werde sie gebraucht. Denn Städtepart­nerschafte­n seien der einzige Ort, der die Begegnung von Menschen möglich mache. Ohne sie könne Europa nicht funktionie­ren.

 ?? FOTO: ARCHIV AALENER NACHRICHTE­N ?? Der damalige Bürgermeis­ter von Saint-Lô, Bernard Dupuis (sitzend) und der seinerzeit­ige Aalener Oberbürger­meister Ulrich Pfeifle haben bei den Reichsstäd­ter Tagen 1978 die Partnersch­aft zwischen ihren beiden Städten offiziell und feierlich besiegelt.
FOTO: ARCHIV AALENER NACHRICHTE­N Der damalige Bürgermeis­ter von Saint-Lô, Bernard Dupuis (sitzend) und der seinerzeit­ige Aalener Oberbürger­meister Ulrich Pfeifle haben bei den Reichsstäd­ter Tagen 1978 die Partnersch­aft zwischen ihren beiden Städten offiziell und feierlich besiegelt.

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