Messerattacke mitten in Ravensburg
Drei Schwerverletzte nach Gewalttat – Ein Opfer in Lebensgefahr – OB stellt den Täter
RAVENSBURG - Es ist kurz nach 16 Uhr an diesem lauen Spätsommerabend auf dem nördlichen Marienplatz, als die ersten Menschen schreien. Ein junger Mann rennt mit einem riesigen Küchenmesser die Straße entlang, er brüllt Unverständliches, fuchtelt mit dem Messer herum. Der Ravensburger Dieter Nitsche sieht ihn kommen und zieht seine Ehefrau Elisabeth in den Schutz eines Geschäftes. Sekunden später sticht der Täter auf zwei Menschen ein, zuerst an der Bushaltestelle. Blut fließt. Erst 100 Meter weiter endet der Angriff mit einem lebensgefährlich Verletzten und zwei Schwerverletzten. Es ist der Ravensburger Oberbürgermeister, der dem Spuk ein Ende bereitet.
„Ich kam gerade zufällig aus Richtung Café Riva“, schilderte Daniel Rapp der „Schwäbischen Zeitung“die dramatischen Momente. Leute rufen ihm etwas entgegen und rennen. Dann steht der OB plötzlich dem Messermann direkt und alleine gegenüber. Der Angreifer hat das blutige Messer in der Hand. „Ich habe ihn angebrüllt, er solle sofort das Messer fallen lassen. Das hat er auch getan“, so Rapp.
Sekunden danach kommt ein Polizist auf einem Fahrrad Rapp zu Hilfe, er ist der Erste nach der Alarmierung, der den Marienplatz erreicht. Der Beamte sieht den Mann auf einer Kiste vor dem Gasthaus „Engel“sitzen, vor ihm steht der OB. Der Polizist hält den Täter mit seiner Waffe in Schach und legt ihm Handschellen an, Rapp bedient derweil das Funkgerät. Die Gefahr ist gebannt. Zuvor hatte ein mutiger 52 Jahre alter Urlauber aus Hessen bereits vergeblich versucht, den Angreifer zu stoppen. Er sitzt mit seiner Familie vor dem „Engel“, als er den Tumult hört und der Mann mit dem blutigen Messer auf ihn zuläuft. „Niemand hat etwas getan“, weint seine völlig aufgelöste Ehefrau.
Der Frankfurter aber handelt, greift sich einen Stuhl, will den aggressiven Mann aufhalten. Er bezahlt das mit drei Messerstichen in den Arm und den Rücken. „Wir hoffen und bangen, die Polizei sagt, sein Zustand sei stabil“, sagt der Schwiegersohn der „Schwäbischen Zeitung“. Eine Passantin umarmt die Frau des Opfers, wünscht „alle Kraft und Gottes Segen“.
Motiv noch unklar
Eine Blutlache ist unter dem Tisch vor dem Restaurant zu sehen. Ein weiteres Opfer wird vor der Bushaltestelle versorgt, auch dort ist Blut geflossen. Zum Motiv des Täters können die Beamten keinerlei Aussagen machen. Augenzeugen, die sich in ein Geschäft geflüchtet haben, wollen einen vorangegangenen Streit mit einem anderen Mann beobachtet haben, andere reden von einem Verwirrten. Armin Rau, stellvertretender Leiter des Polizeireviers Ravensburg, sagt, der Mann habe nach ersten Erkenntnissen wahllos zugestochen. Später am Abend gibt die Staatsanwaltschaft Details bekannt: Beim dem Täter handelt es sich um einen 19-jährigen Asylbewerber aus Afghanistan, die ersten beiden Opfer sind zwei syrische Asylbewerber im Alter von 19 und 20 Jahren. Einer von ihnen schwebt in Lebensgefahr, der andere und der 52-jährige Hesse sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft in stabilem Zustand. Für einen terroristischen Hintergrund gäbe es derzeit keine Hinweise.
Nach der Tat ist die Szenerie absurd: Noch während die Polizei dabei ist, den Marienplatz abzusperren und die unübersichtliche Lage zu sichern, während Verletzte ins Krankenhaus gebracht werden, Angehörige weinen und sich Schaulustige an den Flatterbändern drängen, trinken einige Gäste gegenüber weiter ungerührt ihr Feierabendbier. In den Bussen werden die Fahrgäste über Durchsagen aufgefordert, den Marienplatz zu meiden, sagten Zeugen der „Schwäbischen Zeitung“. Kurz danach wird der komplette nördliche Marienplatz für den Verkehr gesperrt.
Das Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes in Ravensburg hat unter der Notrufnummer 112 bei psychischen Belastungsstörungen sofortige Hilfe angeboten. „Wir sind rund um die Uhr über die Rettungsleitstelle erreichbar“, heißt es in einer Mitteilung.
Ravensburgs Oberbürgermeister Daniel Rapp ist zwei Stunden nach den dramatischen Minuten bemerkenswert gefasst. „Ich war in jungen Jahren Fernspäher, vielleicht hat mir das in diesem Moment geholfen. Aber ich will keine Heldengeschichte.“Danach macht sich der Oberbürgermeister auf zur Eröffnung der Ravensburger Kunstnacht. Fast ist schon wieder Normalität an diesem blutigen Freitag in Ravensburg eingekehrt.