Am Tor zur Lastwagen-Hölle
Der immer weiter zunehmende Gütertransport macht Deutschlands Fernstraßen zu Staustrecken
HEILBRONN ●
- Die Autobahnraststätte Wunnenstein Ost liegt in malerischer Umgebung. Von ihr aus eröffnet sich ein Blick auf Weinberge, beschauliche Dörfer, Burgen und den Schwäbischen Wald. Doch der Schein trügt, Wunnenstein Ost ist so etwas wie der letzte Ruhepol vor der Lastwagen-Hölle. „Dann kommt der Horror“, schimpft Herbert Uttenhofer vom Führerhaus seines geparkten 40-Tonners herunter.
Der Gefühlsausbruch des 55-jährigen Fernfahrers gilt der Überschwemmung deutscher Straßen durch Lkw. Eine spezielle Krisenstrecke beginnt gleich nach Wunnenstein Ost. Den Anfang macht das Weinsberger Kreuz bei Heilbronn, oft im Verkehrsfunk erwähnt. Von dort aus führt die A6 in Richtung Mannheim. Auf der rechten Fahrspur rollt – oder steht – meist ein Lastwagen hinter dem anderen; auf einer Strecke von rund 25 Kilometern. Das Verkehrsministerium in Stuttgart macht dafür vordergründig die vielen Baustellen verantwortlich. Der betreffende Abschnitt werde gerade sechsspurig ausgebaut, heißt es.
30 000 Lkw täglich
Aber mal ganz davon abgesehen, dass erst der viele Verkehr den Ausbau bewirkt hat: Schon seit mindestens einem Jahrzehnt ist an vielen Tagen eine endlose Lkw-Kolonne auf der Asphaltpiste durchs Kraichgauer Hügelland zu beobachten. 30 000 Lkw quetschen sich täglich durch das Nadelöhr. Spötter ätzen, man könne von Fahrzeug zu Fahrzeug fast bis nach Mannheim hüpfen.
Diesen Weg hat Uttendorfer noch vor sich. „Ein Stau ist bereits gemeldet“, meint er und wirkt so abgearbeitet wie bleich. Keine Spur von Ritter oder Cowboy der Landstraße. Seit 34 Jahren kreuzt Uttendorfer durch Europa. Im Moment macht er noch Pause auf der Raststätte Wunnenstein Ost. Es ist Mittag. „Zwei Stunden lang werde ich hier stehen. Ich bin seit gestern Abend unterwegs.“
Uttendorfer hatte noch Glück, dass er mit seinem Lkw überhaupt hier stehen kann. Es war gerade noch ein Parkplatz frei für ihn. Dies kommt fast schon einem Hauptgewinn gleich: So voll die Autobahnen sind, so zugestopft mit Lkw findet man auch die Raststätten vor – und Jahr für Jahr wird die Lage drastischer. Das Bundesamt für Güterverkehr legt entsprechende Zahlen vor. So haben sich die Fahrleistungen der mautpflichtigen Lastwagen seit 2011 um 26 Prozent erhöht. Mehr als 1,5 Millionen solcher Fahrzeuge legten laut Daten von 2017 rund 33,6 Milliarden Kilometer auf den Autobahnen zurück.
„Diese Entwicklung ist ein Spiegel der positiven ökonomischen Entwicklung“, erklärt Andrea Marongiu, Geschäftsführer des Verbandes Spedition und Logistik in Baden-Württemberg. Als Gründe nennt er die „Zunahme des globalen Güteraustauschs“, den „steigenden Konsum“sowie „hohe Bauinvestitionen“.
Heuer erwartet das Speditionsgewerbe auf Deutschlands Straßen ein Transportaufkommen von mehr als 4,3 Milliarden Tonnen, Bahn und Schifffahrt inbegriffen. Mehr als 70 Prozent der Güter werden jedoch mit Lkw hin- und hergefahren, Tendenz steigend – trotz aller politischen Forderungen, die Schiene stärker zu berücksichtigen. Die Wirtschaft misstraut ihr jedoch. „Bei der Bahn war bisher kein klares Güterverkehrskonzept zu erkennen – und dies ist auch gegenwärtig nicht der Fall“, sagt Marongiu. Zudem tut sie sich offenbar schwer, ausreichend Transportkapazitäten zur Verfügung zu stellen. Die Bahnstrecken seien bereits jetzt voll, berichten Kenner der Szene.
Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt, der den Lkw-Verkehr anschwellen lässt: das als Just-in-timeProduktion bekannte wirtschaftsstrategische Konzept. Seit etwa 40 Jahren wird es auch in Deutschland propagiert. Prinzipiell geht es darum, dass Betriebe genau dann beliefert werden, wenn sie die Lieferung brauchen. Eine eigene, kostenträchtige Lagerung kann so wegfallen. Letztlich wandelt sich der Lkw zum rollenden Lager.
Ökoverbände wie der Bund für Umwelt und Naturschutz sehen dieses Konzept seit Langem kritisch. Ihrer Ansicht nach verstärkt es den Güterverkehr deutlich, weil Unternehmen die Autobahn auf Kosten der Allgemeinheit als Lagerplatz missbrauchen. Die Bürger zahlen demnach für den Straßenbau ebenso wie für Umweltfolgen durch Abgase.
Grüne setzen auf Lkw-Maut
Von politischer Seite aus hoffen insbesondere die Grünen, die Wirtschaft durch eine Lkw-Maut zum Umdenken bringen zu können. „Nur mit einer deutlichen Erhöhung der Mautsätze kann der ungebremsten Zunahme des Lkw-Verkehrs auf unseren Straßen Einhalt geboten und der Gütertransport verstärkt auf die Schiene verlagert werden“, betonte jüngst erneut Oliver Krischer, Vizechef der grünen Bundestagsfraktion und einer der führenden Verkehrsexperten der Partei.
Die bisherige, seit 2005 existierende Lkw-Maut hat keine entsprechenden Auswirkungen gezeitigt. Unternehmen haben im Zweifelsfall Zusatzkosten auf den Endverbraucher abgewälzt. Ansonsten scheint es die Logistik darauf anzulegen, die Tragfähigkeit des deutschen Verkehrswesens bis zum Exzess auszutesten. Tatsächlich drängt sich längst nicht nur an solchen Hauptstrecken wie zwischen Heilbronn und Mannheim der Gedanke auf, Deutschland werde durch den Lkw-Verkehr bis über das Erträgliche hinaus belastet.
Auch Bundesstraßen betroffen
Selbst dort, wo naiv betrachtet mangels großer Industriekomplexe mit wenig Gütertransport zu rechnen wäre, gibt es böse Lkw-Überraschungen – etwa im Westallgäu. Auf wichtigeren Straßen durch die idyllische Urlaubslandschaft steckt man oft genug fluchend in seinem Pkw hinter Lastwagenkolonnen fest. „Drecksbrummi“liegt einem auf den Lippen. Überholen bedeutet russisches Roulette, weil die Strecken kurvig und unübersichtlich sind. Am Bodensee ist die B31 eine längst überregional bekannte Staustrecke. Ähnliches gilt für die Donautalstraße von Ulm Richtung Sigmaringen.
Die Liste ließe sich fast endlos verlängern. Hinzu kommt, dass die vielen Fernfahrer auch abseits der Autobahnen Parkplätze für die vorgeschriebene Rast brauchen. Jeder auffindbare Winkel wird offenbar dankbar von müden Fahrern angenommen. So hat sich manch wackerer Jägersmann abends schon gewundert: kein Rehbock vor dem Hochsitz, dafür ein Sattelschlepper illegalerweise auf dem Waldweg. Ein Blick auf die Zahlen erklärt die verzweifelte Suche nach Abstellplätzen. Bundesweit fehlen an den Fernstraßen rund 40 000 Lkw-Parkplätze, meldet der ADAC. Allein in Baden-Württemberg sind es nach Schätzungen des Verkehrsministeriums rund 2500 nicht vorhandene Abstellmöglichkeiten.
„Immer muss man nach einem Parkplatz suchen. Überschreitet der Fahrer die gesetzlich vorgeschriebene Fahrzeit, ist er dran“, schimpft Vlada Markovic auf der Raststätte Wunnenstein Ost. Der Bundesbürger lebt in Stuttgart und fährt mit seinem Sattelschlepper Salat. „Ständig gibt es Zeitdruck und Überstunden“, stimmt er ins allgemeine Klagelied der Fernfahrer mit ein. Deutsche stemmen sich wegen der Missstände immer seltener in die Fahrerkabinen hoch. Der Job gilt als unattraktiv, auch mit Blick auf den Monatslohn – 2400 Euro netto inklusive Zulagen findet Markovic bescheiden.
Gleichzeitig tun sich diverse hiesige Speditionen mit der Branchenentwicklung schwer. Mit dem reinen Transport von A nach B ist kaum noch etwas verdient. Dies hat unter anderem mit der osteuropäischen Billigkonkurrenz zu tun. So erbringen ausländische Lastwagen inzwischen knapp die Hälfte der jährlichen Lkw-Fahrleistung auf Deutschlands Fernstraßen. Dies lässt sich auf Wunnenstein Ost nachvollziehen. Neben Markovics Truck stehen zig Lkw mit fremden Kennzeichen. Besonders oft vertreten: Lkw aus Polen. Deren Fahrer kommen dem polnischen Verkehrsministerium zufolge auf bestenfalls 1000 Euro netto im Monat. „Davon müssen wir aber auch alles zahlen, was wir persönlich unterwegs brauchen“, berichten Jan Symanzik und Viktor Nowak, zwei Fahrer, die mit ihren 40 Tonnern von Barcelona aus heim nach Stettin wollen.
Der bescheiden gefüllte Geldbeutel bedeutet, dass sie sparen – an allem. Hotelübernachtungen fallen flach. Das Führerhaus wird zum trauten Heim, die Verpflegung von daheim mitgebracht. So haben sich die beiden Polen gerade auf der Raststätte vor ihren Sattelschleppern zum Grillen niedergelassen. Fettes Fleisch brutzelt auf dem Rost. Die Fahrer schütten Billigbier in sich hinein. „Macht nichts. Es geht erst morgen weiter“, meint Nowak. Symanzik zieht seine Brieftasche heraus, zeigt ein Foto von seiner Frau und den drei kleinen Kindern. „Meine Familie. Sie ist immer alleine“, sagt der kleine Mann mit sichtbarem Bauchansatz traurig.
Aber vielleicht, so hofft er, reiche es ihm nach einer weiteren Frachtaufnahme in den folgenden drei Tagen bis Stettin. Mag sein. Immerhin dürfte Nowak und seinem Kumpel Symanzik die Stauhölle Richtung Mannheim erspart bleiben. Beim Weinsberger Kreuz geht es für die Polen auf der Heimfahrt rechts ab nach Würzburg. Allerspätestens am Autobahnkreuz Biebelried droht dann aber erneut Übles: Auch der Name Biebelried fällt fast tagtäglich im Staubericht.
„Überschreitet der Fahrer die gesetzlich vorgeschriebene Fahrzeit, ist er dran.“ Herbert Uttenhofer, 55-jähriger Fernfahrer „Diese Entwicklung ist ein Spiegel der ökonomischen Entwicklung.“ Andrea Marongiu, Geschäftsführer des Verbandes Spedition und Logistik