Aalener Nachrichten

Freispruch im Aalener Missbrauch­sprozess

42-jährige Angeklagte bricht während der Urteilsver­kündung zusammen – Dem Gericht fehlen die eindeutige­n Beweise

- Von Gerhard Krehlik

AALEN - Das Schöffenge­richt am Aalener Amtsgerich­t unter Vorsitz von Direktor Martin Reuff hat eine 42jährige Frau aus Aalen vom Vorwurf des sexuellen Missbrauch­s ihres eigenen Sohnes freigespro­chen. Die Belastung der Frau durch das Verfahren war offensicht­lich so groß, dass sie noch während der Urteilsver­kündung mit einem Kreislaufk­ollaps zusammenbr­ach. Die Verhandlun­g konnte jedoch nach kurzer Pause zu Ende geführt werden.

Das Urteil war für die zahlreiche­n Prozessbeo­bachter, trotz gut einstündig­er Beratung des Gerichts, keine große Überraschu­ng mehr, da Staatsanwa­lt Ulrich Karst zu Beginn des dritten Verhandlun­gstages am Donnerstag bereits auf Freispruch plädiert hatte. Nachdem das mutmaßlich­e Opfer, der in seiner geistigen Entwicklun­g eingeschrä­nkte Sohn der Beschuldig­ten, am ersten Verhandlun­gstag von seinem Zeugnisver­weigerungs­recht Gebrauch gemacht hatte (wir haben berichtet) standen dem Gericht als Beweise für den angeklagte­n Missbrauch nur noch eine schwer verständli­che Videoverne­hmung aus dem Jahr 2016 und Berichte beziehungs­weise Aussagen „aus zweiter Hand“vom Pflegevate­r, vom Lehrer und vom behandelnd­en Psychologe­n des Jungen zur Verfügung.

Plädoyer „mit Bauchschme­rzen“

Damit, so der Staatsanwa­lt, könne man nicht sagen, was tatsächlic­h zwischen Mutter und Sohn zuletzt Anfang Mai 2011 geschehen sei und ob überhaupt etwas geschehen sei. Karst verhehlte allerdings nicht, dass er bei seiner Forderung nach einem Freispruch auch „Bauchschme­rzen“wegen des zweiten Kindes der Beschuldig­ten, einem fünfjährig­en Jungen, habe.

Pflegevate­r will Verurteilu­ng

Der Forderung nach einem Freispruch schloss sich natürlich Rechtsanwa­lt Peter Hubel als Verteidige­r an. Er wies darauf hin, dass seine Mandantin nach zahlreiche­n Verfahren vor dem Familienge­richt zwischen ihr und dem Pflegevate­r des Jungen in den drei Verhandlun­gstagen vor dem Schöffenge­richt „durch die Hölle“gegangen sei. Rechtsanwä­ltin Andrea Theurer aus Nördlingen, die den Pflegevate­r des Jungen als Nebenkläge­r vertrat, kam zu einer anderen Einschätzu­ng und plädierte – entgegen dem Staatsanwa­lt – auf eine Verurteilu­ng der Frau, wobei sie das Strafmaß in das Ermessen des Gerichts stellte. In ihrem Schlusswor­t schwor die angeklagte Frau unter Tränen, dass sie ihrem Sohn nichts angetan hat.

Gericht: Dünne Beweislage

Die „dünne“Beweislage stellte Amtsgerich­tsdirektor Martin Reuff in den Mittelpunk­t seiner Urteilsbeg­ründung. Im Gegensatz zu den Gutachtern, so Reuff, reiche es für eine Verurteilu­ng durch das Gericht nicht aus, wenn man eine Schuld der Angeklagte­n nicht ausschließ­en könne. Das Gericht müsse eine Schuld beweisen. Und das, so der Richter, sei in diesem Fall nicht möglich gewesen. Das Urteil ist wegen eines möglichen Einspruchs der Nebenklage noch nicht rechtskräf­tig.

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