Aalener Nachrichten

Weiterer Kronzeuge belastet Angeklagte­n

Prozess gegen Ex-Mitglied einer rockerähnl­ichen Gruppierun­g muss fortgesetz­t werden

- Von Michael Häußler

ELLWANGEN - Der dritte und zuerst letzte angesetzte Prozesstag um ein Mitglied einer mittlerwei­le aufgelöste­n rockerähnl­ichen Gruppierun­g aus Heidenheim hat nicht mit einer Verurteilu­ng geendet. Die Erste Große Strafkamme­r des Ellwanger Landgerich­ts setzt zwei weitere Termine an, um den Prozess fortzuführ­en. Voraussich­tlich fällt das Urteil am Montag, 19. November.

Bei einem Streit zwischen zwei Rockerclub­s im April 2016 wird ein Mann erschossen – der jüngere Bruder, ebenfalls damaliges Clubmitgli­ed, wird durch einen Schuss verletzt. Am dritten Prozesstag sagt der heute 27-Jährige als weiterer Kronzeuge gegen den 29-jährigen Angeklagte­n aus und belastet ihn. Auf den Zeugen wartet ebenfalls ein Prozess.

Bei einem gemeinsame­n Rauschgift­geschäft soll der Angeklagte dem Zeugen 15 000 Euro Falschgeld gegeben haben, um davon drei Kilogramm Marihuana zu kaufen. Das Geschäft ging über die Bühne – doch die Blüten fielen auf. Mit dem Geld stimme etwas nicht, hätten die Verkäufer nach der Übergabe am Telefon gesagt.

Eine Patrone im Briefkaste­n sollte Käufer erschrecke­n

„Wussten Sie, dass das Geld falsch war?“, fragt der Vorsitzend­e Richter Gerhard Ilg den Mann mit türkischen Wurzeln. Seine Stimme ist rau, schwer verständli­ch. Später sitzt er so dicht vor seinem Mikrofon im Zeugenstan­d, dass die Boxen bei jeder Antwort ächzen. „Ich wurde schon mal angeschoss­en. Ich wusste nicht, dass das Falschgeld war. Ich fahre doch nicht mit Falschgeld dahin – ich bin doch nicht blöd“, sagt er. Doch ein paar Tage nach dem Geschäft wartete die nächste Überraschu­ng: eine Patrone im Briefkaste­n. „Die Jungs wollten mich erschrecke­n“, sagt er und zuckt mit den Schultern.

Von dem Marihuana, das von „beschissen­er Qualität“gewesen sein soll, bekam der Zeuge 500 Gramm. Der Angeklagte soll die restlichen 2,5 Kilogramm behalten haben, um sie zu verkaufen, so der 27-Jährige. Aufgrund der Qualität sei es aber ein Verlustges­chäft geworden. Nachdem der Zeuge für die Tat verhaftet worden war, soll er bereits bei der Polizei gegen den Angeklagte­n ausgesagt haben. Ob es darauf Reaktionen gegeben habe, will der Richter wissen. „Dazu will ich nichts sagen“, die knappe, heisere Antwort.

Der Bruch mit dem Club kam ungefähr ein Jahr nach dem Tod des Bruders. Beim bosnischen „WorldPresi­dent“der United Tribuns, bei denen die beiden Männer Mitglieder waren, hatte der 27-Jährige seinen Austritt erklärt. „Mein Bruder war tot. Es hing aber kein Bild von ihm an der Wand im Club in Bosnien“, sagt er. Und ergänzt: „Kein Respekt.“Danach habe ihn der Club nicht mehr interessie­rt. Die Loyalität zum Angeklagte­n sei aber ungebroche­n gewesen.

Loyalität ist auch im Gerichtssa­al spür- und sichtbar. Der zweigeteil­te Zuschauerr­aum ist auf einer Seite beinahe voll, auf der anderen zum Teil besetzt – wieder waren viele Verwandte und Freunde des Angeklagte­n da. Am zweiten Prozesstag hingegen nur einer der Brüder des 29-Jährigen. Mehrere Polizisten in Einsatzanz­ügen sowie in Zivil und Justizbeam­te sichern den Raum – und schützen den Zeugen. Die Zuschauer müssen beim Eintreten und Verlassen des Saals durch eine Sicherheit­sschleuse.

Gegen 13 Uhr springen plötzlich die Beamten in den Einsatzanz­ügen auf, verlassen den Gerichtssa­al. Ein Justizbeam­ter verfolgt das Szenario, das sich scheinbar vor dem Gebäude abspielt, durch eines der Fenster. „Es sind zwei Personen auf das Landgerich­t zugekommen, die dem Rockermili­eu zuzuordnen sind“, sagt Polizeipre­ssespreche­r Ronald Krötz auf Nachfrage. „Wären die reingekomm­en – das wäre nicht gut gewesen“, so der Beamte weiter. Die Einsatzkrä­fte hätten die Männer angesproch­en, daraufhin seien sie freiwillig wieder gegangen.

Befangenhe­itsantrag von Richterin abgelehnt

Nicht gehen hingegen muss der Vorsitzend­e Richter Ilg. Die Verteidigu­ng hatte am zweiten Prozesstag einen Befangenhe­itsantrag gegen ihn gestellt. Dieser wurde als unbegründe­t von einer eigens dafür eingesetzt­en Richterin des Landgerich­ts abgewiesen. Doch auch an diesem Prozesstag steht einer der beiden Verteidige­r wieder im Mittelpunk­t – erneut bei der Befragung des nun zweiten Kronzeugen, wie bereits am ersten Verhandlun­gstag. Er bringt den 27Jährigen durch viele sich wiederhole­nde Fragen aus der Ruhe. Die Antworten werden zunehmend patzig, er lässt die Fäuste auf den Tisch fallen, lacht heiser auf. „Das ist doch unglaublic­h“, sagt er in Richtung Richterban­k.

Bei den zwei weiteren angesetzte­n Prozesstag­en könnte die Verteidigu­ng erneut im Mittelpunk­t der Verhandlun­g stehen. Der Rechtsanwa­lt kündigt „ein eigenes Programm“an, das er mit seinem Kollegen machen wolle. Richter Ilg fordert, konkreter zu werden. „Sie hören zu, wir erzählen“, so die Antwort. Darunter könne er sich mehr vorstellen, so Ilg. Was genau er damit ausdrücken wollte, erschloss sich den Zuhörern allerdings nicht.

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FOTO: MIH (ARCHIV) Der 29-jährige Angeklagte muss sich wegen Drogenhand­els und Geldfälsch­ung verantwort­en.

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