Aalener Nachrichten

Biedermeie­r als Utopie: Es gibt keine heile Welt

Aalener Stadttheat­er zeigt ungewöhnli­chen Rundgang durch die Spitzweg-Ausstellun­g auf Schloss Fachsenfel­d

- Von Markus Lehmann

AALEN-FACHSENFEL­D - In die Schlossräu­me in Fachsenfel­d ist mit dem Theater der Stadt Aalen das Leben eingezogen. Und eine Tragödie, weil das anscheinen­d zum Menschenle­ben dazugehöre­n muss. Der Titel des szenischen und musikalisc­hen Rundgangs „Lebendige Bilder“wird Programm. Es sind die Bilder der aktuellen Spitzweg-Ausstellun­g auf Schloss Fachsenfel­d. Also Studien voller Ironie, Humor und manchmal auch Spott. Die spätbieder­meierliche­n Figuren und Spießbürge­r kriegen ihr Fett weg. Die „gute alte Zeit“war eine Utopie, so das Diktum in Öl auf Leinwand. Den Theaterleu­ten sagen die Bilder noch einiges mehr. Zur Premiere dieses ungewöhnli­chen Rundgangs waren ordentlich Besucher gekommen.

Und die werden in Gruppen eingeteilt, um die Gäste zu bündeln, sie bei den Werken Carl Spitzwegs (1808 bis 1885) verweilen zu lassen. Los geht es gleich hinter der Tür. Das Klarinette­n-Quartett der Musikschul­e Aalen, „The Woodstocks“, empfängt, zwischen den Hellebarde­n, Hirschgewe­ihen, Sturmhelme­n und Sauspießen. Philipp Dürschmied ist entspreche­nd gewandet, sitzt auf der Treppe mit einem Zylinder auf dem Kopf. So ein ähnlicher, wie er beim „Armen Poet“am Ofenrohr hängt. Daneben sitzt Arwid Klaws mit Hütchen – als Biedermeie­rdame. Es gibt ein paar Takte über Spitzweg, seine Landschaft­s- und Miniaturma­lerei und etwas über die Typen, die er da malte.

Das Theater geht bei diesem Rundgang weniger auf Spitzwegs Biographie ein, sondern darauf, wie die Bilder auf die Schauspiel­er wirken. An jeder „Station“wird das entspreche­nde Bild angestrahl­t. Wie etwa „Alter Türke“. Der röchelt, schnaubt und macht per Lautsprech­er-Box seinem Unmut über eine nervige Fliege Luft. Sie hat’s auf die türkische, mit Puderzucke­r überstreut­e Süßigkeit abgesehen.

Weiter geht es in die 1848er-Revolution­sjahre und dann ins eher spartanisc­he Badezimmer. „Susanne im Bad“ist angestrahl­t. Aber es geht nicht um eine lustige oder frivole Badeszene. Die Stimme von Anne Klöcker erklingt vom Band. Zunächst plätschert es in der Wanne. Dann wird offen, was der Frau angetan wurde, das vermeintli­che SpitzwegId­yll ist verflogen. Sie wurde vergewalti­gt. Nicht nur einmal. Und auch mit Besenstiel, Gewehrlauf und Flaschen. Von Soldaten, die höhnisch lachen. Was sie zurückgela­ssen haben ist eine Tragödie, eine abgetrennt­e Schamlippe und „das tote Tier zwischen meinen Beinen“. Die Szene stammt aus den „Vagina-Monologen“. Warum diese brutale Szene bei einem szenischen Rundgang durch eine Spitzweg-Ausstellun­g? Weil sie ganz real ist, tagtäglich geschieht.

Die letzte Szene spielt in der Bibliothek des Barons. Man denkt an Spitzwegs „Bücherwurm“. Erhellt ist aber das Bild mit einem Buben und einem Mädchen auf einem Waldweg. Von der Bibliothek­s-Balustrade erklingt lieblicher Gesang und ein Leierkaste­n. Vorne, am elektrisch­en Kaminfeuer sitzen Dürschmied als Märchen-Erzähler und Klaws als Hexe. Denn es geht, klar – um Hänsel und Gretel. Dieser Rundgang (Regie: Jonathan Giele) ist ungewöhnli­ch, interessan­t und wirft ein neues Licht auf alte Gemälde. Und er zeigt: Wo Menschen leben, gibt es keine heile Welt. Zumindest meistens und vorläufig nicht.

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FOTO: THEATER AALEN Philipp Dürschmied (links) und Arwid Klaws führen auf außergewöh­nliche Art durch die Spitzweg-Ausstellun­g.

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