Schwimmen ist wie Schnürsenkel binden
Immer weniger Kinder wissen bei Schuleintritt, wie’s geht – Schwimmkurse in Ellwangen boomen
ELLWANGEN - Eine Waschlappenschlacht mit Mama kann der Anfang sein oder auch „Alle meine Entchen“, geblubbert in der Badewanne, und beim „Seepferdchen“ein paar Jahre später ist noch lange nicht Schluss. „Das Interesse am Schwimmen ist in Ellwangen definitiv da“, sagt Constanze Powolny von der DLRG-Ortsgruppe. Während ihr Bundesverband warnt, Deutschland werde zu einem Land der Nichtschwimmer, punktet Ellwangen mit Schwimmunterricht an allen Schulen und mit Anfängerkursen bei fünf verschiedenen Anbietern. Der Haken: Der Bedarf ist immer noch größer als das Angebot.
Drei Vereine, nämlich die DLRG, die DJK und der TSV, dazu die Volkshochschule und die selbstständige Schwimmmeisterin Anita Silbermann, bieten in Ellwangen Schwimmkurse für Kinder ab etwa fünf Jahren an. Die meisten finden im Hallenbad statt, einige im RabenhofBädle. Das Bad der Marienpflege fehlt, es ist seit einigen Jahren geschlossen. „Die Nachfrage ist sehr hoch, wir brauchen die Kurse fast nicht auszuschreiben“, erzählt der DJK-Abteilungsleiter Schwimmen, Daniel Heinze. „Es gibt mehr Bedarf, als wir decken können“, bestätigt Constanze Powolny, die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit bei der DLRGOrtsgruppe. Auch bei der VHS sind „die Anfängerkurse ganz schnell voll“, sagt Kursleiterin Christiane Bernard. Und Heiko Fähnle, der neue geschäftsführende Schulleiter, teilt mit: „An allen allgemeinbildenden Ellwanger Schulen wird Schwimmunterricht erteilt“: an den Grundschulen mindestens ein, meist zwei volle Schuljahre mit jeweils zwei Wochenstunden, an den weiterführenden Schulen zwischen einem vollen Schuljahr und bis zu drei Schuljahren, ebenfalls mit jeweils zwei Wochenstunden. Fähnle: „Damit gelingt es allen Ellwanger Schulen, den Bildungsplan adäquat umzusetzen.“
59 Prozent Nichtschwimmer
Das gilt längst nicht für alle Kommunen im Land. Bereits 2017 hatte die DLRG nach einer repräsentativen Forsa-Umfrage Alarm geschlagen. Demnach ist die Zahl der Schlechtoder Nichtschwimmer in Württemberg seit 2010 von 50 auf 59 Prozent gestiegen. Die Gründe für diese Entwicklung seien sowohl im familiären als auch im schulischen Bereich zu suchen. Bäderschließungen und ein Mangel an Lehrkräften mit entsprechender Ausbildung spielten eine Rolle. Für die SPD im Landtag Anlass für eine Anfrage ans Kultusministerium: „Wie kann sichergestellt werden, dass alle Kinder und Jugendlichen in Baden-Württemberg richtig schwimmen lernen?“
In Ellwangen versichert Rektor Fähnle: „Allen Kindern wird es ermöglicht, Schwimmkenntnisse während ihrer Schullaufbahn zu erwerben, zu verbessern und mitunter auch zu perfektionieren.“Dazu trage auch die Stadt bei, welche die Schulen auch im Bereich Schwimmen sehr gut unterstütze. Was Constanze Powolny bestätigt: „Am Ende der Grundschulzeit haben es die meisten. Wir haben ja in Ellwangen die schöne Variante, dass die Kinder über die Schule Schwimmunterricht erhalten. Der Knackpunkt ist eher der Anfang der Grundschulzeit.“In der zweiten Klasse können nach ihrer Erfahrung nur ein Drittel der Grundschüler sicher schwimmen, ein Drittel mache es „so la la“, und ein Drittel „paddelt wie ein Hund“. Was auch Silvia Unden vom TSV Ellwangen so sieht: „Immer weniger Kinder sind Schwimmer, wenn sie in die dritte Klasse kommen, dabei sollte man das in dem Alter eigentlich können“, sagt sie. So wie früher. Da galt: „Wenn du in die Schule kommst, musst du Schnürsenkel binden, schwimmen und deinen Namen schreiben können“, sagt Christiane Bernard. Das ist heute längst nicht mehr so.
Zeit- und Bewegungsmangel
Die Gründe dafür sind vielfältig. Zeitmangel ist einer. „Immer weniger Eltern gehen mit ihren Kindern zum Baden, weil beide arbeiten“, sagt die selbstständige Schwimmeisterin Anita Silbermann. „Früher hatte immer jemand Zeit für die Kinder, heute sind sie in Betreuung und die Eltern im Beruf“, bestätigt Constanze Powolny. Bewegungsmangel kommt dazu: „Die meisten Kinder haben heute Handys oder Tablets und gehen weniger raus“, bemerkt Daniel Heinze. Die Folge: „Immer mehr Kinder haben Entwicklungsdefizite“, so Christiane Bernard. Sich zu bewegen und ihre Bewegungen zu koordinieren gelinge vielen Jungs und Mädchen schlechter als früheren Generationen, und: „Eine dreiviertel Stunde lang aufmerksam zu bleiben, ist für manche unheimlich schwierig.“
Manchmal fehlt auch die Vertrautheit mit dem Element Wasser, weil Eltern aus ihrem Wunsch nach Sicherheit die falschen Schlüsse ziehen. „Ich hatte diesen Sommer ein Elternpaar“, erzählt Anita Silbermann kopfschüttelnd. „Die hatten erfahren, dass Kinder geräuschlos ertrinken. Das hat ihnen solche Angst gemacht, dass sie nicht ein einziges Mal mit ihrem Kind baden gegangen sind, trotz der wochenlangen Hitze.“Das Gegenteil wäre richtig gewesen: „Je mehr Erfahrung, desto sicherer ist das Kind im Wasser und desto sicherer ist es auch vor dessen Gefahren“, erklären Silbermann und Constanze Powolny übereinstimmend. Aber natürlich gelte dabei: „Immer aufs Kind achten.“
„Nehmt die Handys weg, schließt das Wohnzimmer zu und geht mit euren Kindern raus“, fordert Christiane Bernard. Im Babybecken sieht sie häufig Kleinkinder, „die können noch nicht richtig stehen und haben von Pufferle über Taucherbrille bis zu Flossen alles an“. Deren Eltern rät sie: „Nehmt alles weg, setzt euch zum Kind und lasst es einfach das Wasser kennenlernen.“Auch Powolny rät, bereits im Babyalter spielerisch die Begeisterung fürs Wasser zu wecken und sein Kind im Lauf der Jahre immer vertrauter mit dem nassen Element zu machen: „Man kann es durchs Wasser ziehen oder im Wasser schweben lassen. Früher hieß das bei uns der tote Mann, jetzt der Seestern“, erklärt die DLRG-Trainerin. Als organisiertes Angebot gibt’s eine solche Wassergewöhnung ab drei Jahren bei der „Rasselbande“des TSV Ellwangen. „Zum Schwimmen lernen ist ein Alter von fünf bis sechs Jahren geeignet“, sagt Abteilungsleiterin Sivia Unden. „Dann erst sind die motorischen Fähigkeiten und die Ausdauer vorhanden“, ergänzt Daniel Heinze. Dann kann’s richtig losgehen. Entweder bei Mama und Papa – „bei manchen klappt das richtig super“, weiß Powolny – oder in einem Kurs.
Üben fürs Seepferdchen
In den Anfängerkursen üben die Jungs und Mädchen für das Seepferdchen: 25 Meter schwimmen, vom Beckenrand springen und aus schultertiefem Wasser einen Reifen hochtauchen. Bis das klappt, braucht es mit anfänglicher Wassergewöhnung 35, ansonsten durchschnittlich 25 bis 30 Übungsstunden, betonen Heinze und Powolny übereinstimmend. Was für die Eltern bedeutet: Zusätzlich zu den je nach Angebot zehn bis 15 Kursstunden sollten sie mit ihrem kleinen Schwimmschüler mindestens einmal pro Woche selbst ins Wasser hüpfen. „Und zuhause Trockenübungen machen, um den Arm- und Beinschlag zu üben“, rät Heinze. „Wenn ich will, dass mein Kind Sicherheit gewinnt, investiere ich das als Eltern.“Und so trocken sind die Übungen auch gar nicht. Jedenfalls nicht, wenn man sich mit Constanze Powolny eine große imaginäre Rührschüssel vorstellt, von deren Innerem man rundum mit den Armen den Teig abkratzt, bis man ihn vor sich in den Händen hält. „Dann schiebt man ihn schnell geradeaus in den Ofen“, schmunzelt sie. Und dann alles wieder von vorn.
Megastolz ist ein Kind, das sich sein Seepferdchen-Abzeichen verdient hat. Dessen Eltern sollten dennoch wissen: Als sicherer Schwimmer gilt es laut DLRG erst, wenn es das Jugendschwimmabzeichen in Bronze, also den Freischwimmer, hat. „Das Seepferdchen ist dazu da, dass ein Kind sich wieder ans Ufer retten kann, falls es ins Wasser fällt, mehr nicht“, erläutert Powolny. Immerhin.