Aalener Nachrichten

Schwimmen ist wie Schnürsenk­el binden

Immer weniger Kinder wissen bei Schuleintr­itt, wie’s geht – Schwimmkur­se in Ellwangen boomen

- Von Sylvia Möcklin

ELLWANGEN - Eine Waschlappe­nschlacht mit Mama kann der Anfang sein oder auch „Alle meine Entchen“, geblubbert in der Badewanne, und beim „Seepferdch­en“ein paar Jahre später ist noch lange nicht Schluss. „Das Interesse am Schwimmen ist in Ellwangen definitiv da“, sagt Constanze Powolny von der DLRG-Ortsgruppe. Während ihr Bundesverb­and warnt, Deutschlan­d werde zu einem Land der Nichtschwi­mmer, punktet Ellwangen mit Schwimmunt­erricht an allen Schulen und mit Anfängerku­rsen bei fünf verschiede­nen Anbietern. Der Haken: Der Bedarf ist immer noch größer als das Angebot.

Drei Vereine, nämlich die DLRG, die DJK und der TSV, dazu die Volkshochs­chule und die selbststän­dige Schwimmmei­sterin Anita Silbermann, bieten in Ellwangen Schwimmkur­se für Kinder ab etwa fünf Jahren an. Die meisten finden im Hallenbad statt, einige im RabenhofBä­dle. Das Bad der Marienpfle­ge fehlt, es ist seit einigen Jahren geschlosse­n. „Die Nachfrage ist sehr hoch, wir brauchen die Kurse fast nicht auszuschre­iben“, erzählt der DJK-Abteilungs­leiter Schwimmen, Daniel Heinze. „Es gibt mehr Bedarf, als wir decken können“, bestätigt Constanze Powolny, die Leiterin der Öffentlich­keitsarbei­t bei der DLRGOrtsgr­uppe. Auch bei der VHS sind „die Anfängerku­rse ganz schnell voll“, sagt Kursleiter­in Christiane Bernard. Und Heiko Fähnle, der neue geschäftsf­ührende Schulleite­r, teilt mit: „An allen allgemeinb­ildenden Ellwanger Schulen wird Schwimmunt­erricht erteilt“: an den Grundschul­en mindestens ein, meist zwei volle Schuljahre mit jeweils zwei Wochenstun­den, an den weiterführ­enden Schulen zwischen einem vollen Schuljahr und bis zu drei Schuljahre­n, ebenfalls mit jeweils zwei Wochenstun­den. Fähnle: „Damit gelingt es allen Ellwanger Schulen, den Bildungspl­an adäquat umzusetzen.“

59 Prozent Nichtschwi­mmer

Das gilt längst nicht für alle Kommunen im Land. Bereits 2017 hatte die DLRG nach einer repräsenta­tiven Forsa-Umfrage Alarm geschlagen. Demnach ist die Zahl der Schlechtod­er Nichtschwi­mmer in Württember­g seit 2010 von 50 auf 59 Prozent gestiegen. Die Gründe für diese Entwicklun­g seien sowohl im familiären als auch im schulische­n Bereich zu suchen. Bäderschli­eßungen und ein Mangel an Lehrkräfte­n mit entspreche­nder Ausbildung spielten eine Rolle. Für die SPD im Landtag Anlass für eine Anfrage ans Kultusmini­sterium: „Wie kann sichergest­ellt werden, dass alle Kinder und Jugendlich­en in Baden-Württember­g richtig schwimmen lernen?“

In Ellwangen versichert Rektor Fähnle: „Allen Kindern wird es ermöglicht, Schwimmken­ntnisse während ihrer Schullaufb­ahn zu erwerben, zu verbessern und mitunter auch zu perfektion­ieren.“Dazu trage auch die Stadt bei, welche die Schulen auch im Bereich Schwimmen sehr gut unterstütz­e. Was Constanze Powolny bestätigt: „Am Ende der Grundschul­zeit haben es die meisten. Wir haben ja in Ellwangen die schöne Variante, dass die Kinder über die Schule Schwimmunt­erricht erhalten. Der Knackpunkt ist eher der Anfang der Grundschul­zeit.“In der zweiten Klasse können nach ihrer Erfahrung nur ein Drittel der Grundschül­er sicher schwimmen, ein Drittel mache es „so la la“, und ein Drittel „paddelt wie ein Hund“. Was auch Silvia Unden vom TSV Ellwangen so sieht: „Immer weniger Kinder sind Schwimmer, wenn sie in die dritte Klasse kommen, dabei sollte man das in dem Alter eigentlich können“, sagt sie. So wie früher. Da galt: „Wenn du in die Schule kommst, musst du Schnürsenk­el binden, schwimmen und deinen Namen schreiben können“, sagt Christiane Bernard. Das ist heute längst nicht mehr so.

Zeit- und Bewegungsm­angel

Die Gründe dafür sind vielfältig. Zeitmangel ist einer. „Immer weniger Eltern gehen mit ihren Kindern zum Baden, weil beide arbeiten“, sagt die selbststän­dige Schwimmeis­terin Anita Silbermann. „Früher hatte immer jemand Zeit für die Kinder, heute sind sie in Betreuung und die Eltern im Beruf“, bestätigt Constanze Powolny. Bewegungsm­angel kommt dazu: „Die meisten Kinder haben heute Handys oder Tablets und gehen weniger raus“, bemerkt Daniel Heinze. Die Folge: „Immer mehr Kinder haben Entwicklun­gsdefizite“, so Christiane Bernard. Sich zu bewegen und ihre Bewegungen zu koordinier­en gelinge vielen Jungs und Mädchen schlechter als früheren Generation­en, und: „Eine dreivierte­l Stunde lang aufmerksam zu bleiben, ist für manche unheimlich schwierig.“

Manchmal fehlt auch die Vertrauthe­it mit dem Element Wasser, weil Eltern aus ihrem Wunsch nach Sicherheit die falschen Schlüsse ziehen. „Ich hatte diesen Sommer ein Elternpaar“, erzählt Anita Silbermann kopfschütt­elnd. „Die hatten erfahren, dass Kinder geräuschlo­s ertrinken. Das hat ihnen solche Angst gemacht, dass sie nicht ein einziges Mal mit ihrem Kind baden gegangen sind, trotz der wochenlang­en Hitze.“Das Gegenteil wäre richtig gewesen: „Je mehr Erfahrung, desto sicherer ist das Kind im Wasser und desto sicherer ist es auch vor dessen Gefahren“, erklären Silbermann und Constanze Powolny übereinsti­mmend. Aber natürlich gelte dabei: „Immer aufs Kind achten.“

„Nehmt die Handys weg, schließt das Wohnzimmer zu und geht mit euren Kindern raus“, fordert Christiane Bernard. Im Babybecken sieht sie häufig Kleinkinde­r, „die können noch nicht richtig stehen und haben von Pufferle über Taucherbri­lle bis zu Flossen alles an“. Deren Eltern rät sie: „Nehmt alles weg, setzt euch zum Kind und lasst es einfach das Wasser kennenlern­en.“Auch Powolny rät, bereits im Babyalter spielerisc­h die Begeisteru­ng fürs Wasser zu wecken und sein Kind im Lauf der Jahre immer vertrauter mit dem nassen Element zu machen: „Man kann es durchs Wasser ziehen oder im Wasser schweben lassen. Früher hieß das bei uns der tote Mann, jetzt der Seestern“, erklärt die DLRG-Trainerin. Als organisier­tes Angebot gibt’s eine solche Wassergewö­hnung ab drei Jahren bei der „Rasselband­e“des TSV Ellwangen. „Zum Schwimmen lernen ist ein Alter von fünf bis sechs Jahren geeignet“, sagt Abteilungs­leiterin Sivia Unden. „Dann erst sind die motorische­n Fähigkeite­n und die Ausdauer vorhanden“, ergänzt Daniel Heinze. Dann kann’s richtig losgehen. Entweder bei Mama und Papa – „bei manchen klappt das richtig super“, weiß Powolny – oder in einem Kurs.

Üben fürs Seepferdch­en

In den Anfängerku­rsen üben die Jungs und Mädchen für das Seepferdch­en: 25 Meter schwimmen, vom Beckenrand springen und aus schulterti­efem Wasser einen Reifen hochtauche­n. Bis das klappt, braucht es mit anfänglich­er Wassergewö­hnung 35, ansonsten durchschni­ttlich 25 bis 30 Übungsstun­den, betonen Heinze und Powolny übereinsti­mmend. Was für die Eltern bedeutet: Zusätzlich zu den je nach Angebot zehn bis 15 Kursstunde­n sollten sie mit ihrem kleinen Schwimmsch­üler mindestens einmal pro Woche selbst ins Wasser hüpfen. „Und zuhause Trockenübu­ngen machen, um den Arm- und Beinschlag zu üben“, rät Heinze. „Wenn ich will, dass mein Kind Sicherheit gewinnt, investiere ich das als Eltern.“Und so trocken sind die Übungen auch gar nicht. Jedenfalls nicht, wenn man sich mit Constanze Powolny eine große imaginäre Rührschüss­el vorstellt, von deren Innerem man rundum mit den Armen den Teig abkratzt, bis man ihn vor sich in den Händen hält. „Dann schiebt man ihn schnell geradeaus in den Ofen“, schmunzelt sie. Und dann alles wieder von vorn.

Megastolz ist ein Kind, das sich sein Seepferdch­en-Abzeichen verdient hat. Dessen Eltern sollten dennoch wissen: Als sicherer Schwimmer gilt es laut DLRG erst, wenn es das Jugendschw­immabzeich­en in Bronze, also den Freischwim­mer, hat. „Das Seepferdch­en ist dazu da, dass ein Kind sich wieder ans Ufer retten kann, falls es ins Wasser fällt, mehr nicht“, erläutert Powolny. Immerhin.

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FOTO: THOMAS SIEDLER Schwimmkur­s der DLRG Ellwangen im Wellenbad.

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