Fantasie-Feuerwerk in Friesland
„Häuser des Jahres“dokumentieren gestalterische Originalität, handwerkliche Perfektion und sensible Innenräume
FRANKFURT - Ostrhauderfehn ist der Ortsname, den man sich merken muss. Denn hier steht, umgeben von Geest, Marsch und Moor, das „Haus des Jahres“, eine Auszeichnung, die das Deutsche Architekturmuseum (DAM) zusammen mit dem CallweyVerlag verleiht. Peter Cachola Schmal, Direktor des DAM in Frankfurt, würdigt für die Jury den originellen Klinkerbau bei Papenburg: Mit Thomas Kröger fackele „ein Großstadtarchitekt in der Provinz ein fantasievolles Feuerwerk ab“. Kröger ist im neuen Band der gut laufenden Buchreihe gleich zweimal vertreten. Es gibt noch ein kleines Haus in der Uckermark von ihm. Das sieht aus, als hätte sich Räuber Hotzenplotz den Hut ins Gesicht gezogen.
Wenn man die weiteren Bauten anschaut, die eine Auszeichnung erhalten, gewinnt man den Eindruck, die Aufgabe des Jahres hätte darin bestanden, Seen oder Wasserläufe vom Haus aus erlebbar zu machen. Die Anzahl spektakulärer Lagen ist hoch. Wer hingegen Anregungen für banale Bauaufgaben sucht, wird enttäuscht. Wie bei den eng getakteten Neubaugebieten architektonische Qualität ins Spiel gebracht werden kann, dafür gibt es gerade zwei Beispiele.
Preis spielt sehr wohl eine Rolle
Und als Alibi für billiges Bauen erhält ein Holzhaus im rotbraunen Blechmantel eine Anerkennung. Auch das steht in der Uckermark. Folgt man den Bildern müsste angesichts der Raumwirkung der Verbrauch von Antidepressiva nachkalkuliert werden. Interessant ist allerdings eine Feststellung der beiden Architekten, denen die Bauherren aus Kostengründen zwischendurch abgesprungen sind, um sich bei Fertighäusern umzutun: Es kann ein Anreiz sein, bei der Preisgestaltung von Fertighaus-Anbietern mitzuhalten. Was bei den Provisionen, die diese Branche einpreist, nicht unmöglich ist. Hier rettet ein 800 Quadratmeter großer Garten das wenig beglückende Haus.
Die Einleitung des Buches reflektiert genau dieses Verhältnis von Haus und Umgebung, von Neubau und bestehender Nachbarschaft: „Die Lage und die Nachbarschaft eines Hauses müssten eigentlich in einer eigenen Kategorie mit einem Preis bedacht werden.“
Diesen Anspruch hat die Jury schon umgesetzt: mit dem zweiten Preisträger. Dieses Haus steht in der Nähe von Chur in der Schweiz, sieht aus wie ein landwirtschaftlicher Geräteschuppen und fügt sich auf ’s Schönste ins Bild der Gemeinde wie in die Geländestruktur des Berghangs über dem Rheintal. In der Schweiz ist dieses Einfamilienhaus recht bekannt, die Medien haben es vorgestellt, die Liste der Auszeichnungen, die es bekommen hat, ist bereits lang genug. Sie gelten dem Design gleichermaßen wie dem bescheidenen Technikeinsatz und der peniblen Bauausführung.
Blitzblanke Hütte für Zermatt
Bei nähere Betrachtung ist auch dieses Haus ein besonderer Fall. Das beginnt bei der bewussten Entscheidung des Bauherrn für die Architekten. Das Büro Bearth & Deplazes hat 2009 den anspruchsvollsten Auftrag der Schweiz bewältigt, die Errichtung einer neuen Monte-Rosa-Hütte bei Zermatt auf 2800 Metern Höhe. Wobei „Hütte“nach Bergfex-Folklore klingt. Es ist eher eine blitzblanke, technisch weitgehend autarke Station, die man in der Antarktis vermuten könnte, würden die Fotografen nicht immer das Matterhorn mit ins Visier nehmen.
Dagegen sieht der Bau in Graubünden wie eine Fingerübung aus, aber er lebt von der Schlichtheit im Konzept wie von der handwerklichen Perfektion im Detail. Die Wertschätzungen des Understatements ist zwar ein Bestandteil der Schweizer Mentalität, aber keinesfalls selbstverständlich, wie andere Schweizer Bauten im Buch zeigen. Die Jury hat so nicht nur Architekten und Handwerker, sondern auch einen Bauherrn mit ungewöhnlichem Fingerspitzengefühl ausgezeichnet.
Wie in dieser Buchreihe üblich sind die Vorarlberger Architekten gut vertreten. Und mit Helena Weber ist nun auch eine Architektin aus Dornbirn dabei. Das von ihr entworfene Austragshaus im Ortskern der Gemeinde Klaus ist wunderbar sensibel gestaltet. Eine Qualität, die auch beim harmonischen Innendesign von Alexandra Bub auffällt, die eine klassisch-moderne Villa in Hamburg entworfen hat.
Baden-Württemberg war im letzten Jahr mehrfach vertreten, dieses Jahr ist es dünn. Aus der Landeshauptstadt gibt es die opulente Sanierung eines Hauses in Bestlage. Die Aussicht auf den Kessel wird über Panoramafenster und Terrassen auf mehrere Ebenen verteilt. Und gnadenvoll verdecken die Blüten in Nachbars Garten das Städtebaumassaker drunten am Hauptbahnhof. CallweyVerlag, 280 Seiten, 59,95 Euro.