Popsängerin
Die Sängerin füllt in der Türkei mühelos Stadien. Millionen Menschen folgen der Künstlerin auch in den sozialen Medien, wo sie Konzerte ankündigt und Fotos hochlädt. Vor einigen Tagen tippte sie dort eine persönliche Nachricht ein: „Ich weiß kaum, wie ich anfangen soll, also sage ich es besser direkt: Ich bin Opfer von häuslicher Gewalt geworden.“
Die Einzelheiten sickerten aus dem Polizeiprotokoll durch: Demnach wurde Gencoglu von ihrem Lebensgefährten, dem bekannten Schauspieler Ahmet Kural, nachts in seiner Villa verprügelt, herumgeschleift und mit dem Kopf an die Wand geschlagen. Ein ärztliches Attest bescheinigte ihr Ödeme am Schädel, Blut im Urin, Abschürfungen an den Gliedern und im Gesicht sowie blaue Flecken am ganzen Körper. Nachbarn hörten ihre Schreie in der Nacht. „Das ist eine vernichtende Erfahrung, die augenblicklich alles auslöscht, was man im Leben erreicht hat“, schrieb Sila Gencoglu. „Es war ein Augenblick, in dem ich in die Augen all der vielen Frauen in diesem Land geblickt habe, die das erleiden.“
Auf dem Papier haben türkische Frauen alle Rechte: Das Wahlrecht besitzen sie seit 1930, und das Zivilrecht wurde in den letzten 20 Jahren mehrfach zu ihren Gunsten nachgebessert. Auch die Gesetze zum Schutz vor häuslicher Gewalt können internationalen Vergleichen durchaus standhalten. In der Praxis sieht es aber anders aus: Nach offiziellen Angaben, die das türkische Innenministerium jetzt erstmals vorlegte, werden in der Türkei monatlich 20 Frauen von Männern totgeschlagen. Aktivistinnen schätzen die Dunkelziffer höher, da viele Fälle als Selbstmord getarnt werden. Monatlich werden fast 15 000 Fälle von häuslicher Gewalt registriert, das sind nahezu 500 verprügelte Frauen pro Tag – ohne die Dunkelziffer. Frauenrechtlerinnen hoffen, dass Gencoglu andere Frauen ermutigt, die Gewalt nicht mehr schweigend zu ertragen. Susanne Güsten