Zeitenwenden der deutschen Geschichte
Beeindruckende Gedenkveranstaltung zum 9. November der Musikschule und der Museumsfreunde in Neresheim
NERESHEIM - An die Zeitenwenden in der deutschen Geschichte des letzten Jahrhunderts, die jeweils im 9. November kulminierten, haben die Museumsfreunde und die Musikschule Neresheim in einer gelungenen Veranstaltung erinnert. Dabei kamen die Sternstunden der Ausrufung der Republik 1918 und des Mauerfalls 1989 ebenso zur Sprache wie die dunkelste Stunde, als 1938 die Synagogen brannten und die Judenverfolgung in Deutschland schreckliche Ausmaße anzunehmen begann und in der Schoah endete.
Es war ein Abend, der – der Intention von Holger Fedyna entsprechend – nachdenklich machte. Der aber auch in Musikschulleiter Benjamin Zierold einen Zeitzeugen hatte, der aus eigenem Erleben authentisch berichten konnte, wie es war, als vor 29 Jahren die Mauer fiel und Deutschland wieder eins wurde. Dies demonstrierte er auch musikalisch: Er begann, indem er auf seiner Geige die einstige DDR-Hymne „Auferstanden aus Ruinen“spielte, und mit der deutschen Nationalhymne „Einigkeit und Recht und Freiheit“endete.
Fedyna und seine Mitstreiter hatten für den gut besuchten Abend im katholischen Gemeindezentrum eine ansprechende Mischung aus einem historischen Abriss, aus Berichten von Zeitzeugen und aus Musikstücken der jeweiligen Epoche zusammengestellt. Dieser Schicksalstag der Deutschen, wie er oft genannt werde, zeige Chancen auf, sagte der Stadtarchivar, aber auch die brachiale Gewalt, der jüdische Mitbürger ausgesetzt gewesen seien.
„Es dreht sich der Magen um“
Deswegen drehe es ihm den Magen um, wenn man feststellen müsse, wie weit verbreitet antisemitische Einstellungen heutzutage wieder seien. Daher solle der Abend nachdenklich machen und er solle nicht neutral sein. Er solle nämlich zeigen, dass es keine bessere Staatsform gebe als die Demokratie und dass man gegen niemanden gewalttätig werden dürfe.
In seinem geschichtlichen Abriss zum Sturz der Monarchie vor 100 Jahren schilderte Fedyna eindrucksvoll die Zustände zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts und wie es zum Ersten Weltkrieg gekommen war. Er erinnerte weiter an die Wahlen zur Nationalversammlung 1919, an denen erstmals Frauen teilnehmen durften. Im Oberamt Neresheim war damals die katholische Zentrumspartei mit knapp 73 Prozent die führende Kraft und blieb es trotz des Drucks der Nazis bis zur Machtergreifung Hitlers.
Musik als Kontrast
Das Bild rundeten Gaby Harsch, Gerhard Ihle und Benjamin Zierold ab, die aus Tagebuchaufzeichnungen von Zeitzeugen lasen. Den Kontrast zu diesen schweren Texten bildete die Musik der „Goldenen Zwanziger“, aus der Hans-Peter Blank zwei ins Ohr gehende Kostproben beschwingt auf der Klarinette präsentierte.
Düster wurde es, als es um 1938 ging, die Tage der Pogrome gegen jüdische Einrichtungen und vor allem Gotteshäuser. Fedyna rief in Erinnerung, dass auch Synagogen in der Region betroffen waren, in Wallerstein, in Nördlingen, und natürlich in Oberdorf (über die Geschehnisse dort haben wir am Freitag ausführlich berichtet).
Erinnerung an Pfarrer von Jan
Hierher gehörte auch die Geschichte des aus Schweindorf stammenden Pfarrers Julius von Jan, der damals in Oberlenningen wirkte. Der Geistliche sprach nach den Ausschreitungen gegen Juden in einer Predigt mutig das Unrecht an, was für ihn böse Folgen hatte: Er wurde von einem Mob übel misshandelt und seine Kirchenleitung ließ ihn im Stich. Sie sprach von einer unzulässigen Kritik in der Predigt an der aktuellen Politik. Auch hier ein Kontrast: Die Klezmermusik, die Hans-Peter Blank anschließend auf der Klarinette spielte, kam heiter und beschwingt daher.
Auf dem Arm von Honecker
Die Zeit des Mauerfalls vor 29 Jahren brachte der Musikschulleiter mit Erzählungen aus seinem Leben in seiner Heimatstadt Chemnitz, in der DDR als Karl-Marx-Stadt bekannt, seinen Zuhörern näher. Etwa, wenn er erzählte, dass der seinerzeitige Staatsratsvorsitzende und SED-Chef Erich Honecker bei einem „Bad in der Menge“ausgerechnet den kleinen Benjamin auf den Arm nahm. Zierolds Familie lebte im selben Mehrfamilienhaus wie die Familie des späteren Eislaufstars Katharina Witt. „In der DDR eine eigene Meinung zu haben, war gefährlich“, erzählte er. Wie kompliziert Demokratie sein könne, hätten die DDR-Bürger nie gelernt, denn die Meinung sei ihnen vorgegeben worden.
Die Eltern voller Angst
Und die Montagsdemonstrationen im Vorfeld des Mauerfalls waren den Eltern Zierold suspekt: Sie hatten schlicht Angst vor der Staatsmacht. Die wurde noch viel größer, als Benjamin Zierold und seine Schwester – an den Montagsdemos teilzunehmen hatten ihnen die Eltern verboten – die (west-)deutsche Nationalhymne spielten, als der Zug direkt vor ihrem Fenster vorbeizog. In diesem Moment kamen die Eltern nach Hause. „Ich habe sie nie so voller Angst gesehen“, erzählte Benjamin Zierold, „und Vater sagte: ,Wollt ihr uns ins Gefängnis bringen? Man weiß doch nicht, in welche Richtung das geht!’“
Somit hatte Neresheims Bürgermeister Thomas Hägele Recht behalten. Er hatte nämlich anfangs in seinem Grußwort gesagt, dies werde sicher ein hochinteressanter Abend. Im Übrigen kündigte das Stadtoberhaupt für das kommende Jahr einen „tollen Kulturkalender“in Neresheim an.