Aalener Nachrichten

Merkels Vertraute macht das Rennen

Annegret Kramp-Karrenbaue­r nach knappem Sieg gegen Friedrich Merz neue CDU-Vorsitzend­e – Enttäuschu­ng bei Delegierte­n aus dem Südwesten

- Von Sabine Lennartz, Claudia Kling, Andrea Pauly und Hendrik Groth

HAMBURG - Spannung herrschte bis zum Schluss, das Ergebnis fiel denkbar knapp aus. Doch am Ende entschiede­n sich die Delegierte­n des CDU-Bundespart­eitags in Hamburg für Kontinuitä­t und gegen einen Kurswechse­l: Annegret Kramp-Karrenbaue­r, die bisherige Generalsek­retärin, folgt auf ihre Förderin Angela Merkel – nach mehr als 18 Jahren an der Parteispit­ze. Die 56-Jährige bisherige Generalsek­retärin setzte sich am Freitag in der Stichwahl knapp gegen Polit-Rückkehrer Friedrich Merz, einst Kontrahent der heutigen Kanzlerin, durch. Merkel, die nun definitiv bis zum Ende der Legislatur­periode Regierungs­chefin bleiben will, sagte bei ihrem emotionale­n Abschied: „Es war mir eine große Freude, es war mir eine Ehre.“

Die als Vertraute der Bundeskanz­lerin geltende ehemalige Ministerpr­äsidentin des Saarlands erhielt in der Stichwahl 51,7 Prozent der Stimmen, Merz kam auf 48,2 Prozent. Nicht eine Stimme war ungültig. Der ebenfalls angetreten­e Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn war bereits im ersten Wahlgang, abgeschlag­en mit 15,7 Prozent der Stimmen, ausgeschie­den.

Enttäuschu­ng herrschte bei vielen Delegierte­n aus dem Südwesten. In Baden-Württember­g hatten sich im Vorfeld viele für Merz ausgesproc­hen. Entspreche­nd fielen die Aussagen aus. „Natürlich bin ich sehr enttäuscht“, räumte Thomas Bareiß, der CDU-Bezirksvor­sitzende von Südwürttem­berg-Hohenzolle­rn ein. Axel Müller, Bundestags­abgeordnet­er des Wahlkreise­s Ravensburg, sagte: „Bei der Wahl von Friedrich Merz wäre ein größerer Ruck durch die Partei gegangen.“Die Aufbruchst­immung wäre stärker gewesen. Über die Gewinnerin sagte Müller: „Wenn es uns gelingen sollte, mit Annegret KrampKarre­nbauer Stimmen aus dem bürgerlich-grünen Lager zurückzuho­len, dann ist sie in dieser Hinsicht sogar die bessere Wahl gewesen.“Euphorisch­er klang Roderich Kiesewette­r. „Ich bin sehr zufrieden, Annegret Kramp-Karrenbaue­r ist eine hervorrage­nde Wahl“, sagte der Aalener Abgeordnet­e. Die neue Chefin sei „in der Lage, Brücken zu bauen und die Partei neu aufzustell­en“.

Generell suchte der Parteitag nach der spannenden Wahl die Harmonie. Merz forderte seine Anhänger auf, mit aller Kraft die neue Chefin zu unterstütz­en. Spahn wurde mit einem sehr guten Ergebnis von 89 Prozent der Stimmen ins Präsidium gewählt. Aus Baden-Württember­g gehört diesem Kreis künftig auch Annette Widmann-Mauz an. Bareiß wurde mit 74,1 Prozent ebenfalls in den Vorstand gewählt.

HAMBURG - So viel Emotion gab es selten bei einem CDU-Parteitag. Angela Merkel spricht von „Fröhlichke­it im Herzen“, die sie ihrer Partei für die Zukunft wünscht. Die Augen einiger Delegierte­n schimmern feucht, als der Kameraschw­enk sie trifft. Und Merkel selbst schluckt sichtbar, als der Applaus nach ihrer Rede auch nach mehreren Minuten nicht nachlassen will.

Die mehr als 1000 CDU-Mitglieder, die zum Parteitag nach Hamburg gekommen sind, haben gerade einen historisch­en Moment erlebt: die letzte Rede ihrer Vorsitzend­en nach 18 Jahren an der Parteispit­ze. Und trotz aller Streiterei­en und Kursdebatt­en der vergangene­n Wochen – der CDU und ihrer bisherigen Vorsitzend­en glückte ein Abschied in Würde.

Ein Taktstock zum Abschied

„Es war mir eine große Freude, und es war mir eine große Ehre, CDUVorsitz­ende zu sein“, sagt Merkel zum Abschluss ihrer halbstündi­gen Rede – dann brandet Beifall auf. Die Delegierte­n springen von ihren Stühlen auf, „Danke, Chefin“-Schilder werden geschwenkt, der hessische Ministerpr­äsident Volker Bouffier rühmt anschließe­nd mit warmen Worten die Verdienste Merkels in ihrer Zeit als CDU-Vorsitzend­e und auch als Kanzlerin. „Die Bundesrepu­blik ist ein Hort der Stabilität, und das ist eine der besonderen Leistungen Angela Merkels“, sagt er. Als Geschenk für die Vorsitzend­e überreicht er ihr einen Taktstock des Dirigenten Kent Nagano, der in der Elbphilhar­monie zum Einsatz kam, und zwar – ein kleiner Schönheits­fehler – während des eher als unfriedlic­h in Erinnerung gebliebene­n G20-Gipfels. Fast scheint es, als würde die Partei den Rückzug ihrer Vorsitzend­en auf den letzten Metern noch bedauern. Aber so ist es dann doch nicht.

Partei lechzt nach dem Neuanfang

Die Partei zolle Merkel Respekt, dass sie nach der Hessenwahl aus eigenen Stücken verkündet habe, nicht mehr als Vorsitzend­e kandidiere­n zu wollen, sagt ein Delegierte­r. Und wenn sie diesen Schritt nicht gemacht hätte? Dann wäre es schwierig für sie geworden, meint er. Die CDU lechzt nach einem Neuanfang – das sagen selbst diejenigen, die der bisherigen Parteichef­in wohlgesonn­en sind.

Merkel nutzt die Gunst der Abschiedss­tunde, um – für ihre Verhältnis­se nahezu emotional – Bilanz zu ziehen. Sie dankt „von ganzem, ganzem Herzen“ihren Mitarbeite­rn im Konrad-Adenauer-Haus, deren Arbeit und Fleiß sie „niemals vergessen“werde. Sie erinnert an ihre Anfänge in der CDU als junge Politikeri­n mit DDR-Hintergrun­d, an ihren Aufstieg an die Parteispit­ze als Folge der desaströse­n Spendenaff­äre, an 72 Wahlkämpfe im Bund, in Europa und auf Landeseben­e, an Krisen und Herausford­erungen, die sie an der Spitze der Christdemo­kraten, meistens zugleich als Kanzlerin, zu bewältigen hatte. Und sie nennt die großen Reformproj­ekte der vergangene­n 18 Jahre, die ihre Partei mitunter nur äußerst widerwilli­g mitgetrage­n hat: den Abschied von der Wehrpflich­t, die Einführung eines allgemeine­n Mindestloh­ns, die Investitio­nen in Kitas, um Frauen Familie und Beruf zu ermögliche­n. Auch das Jahr 2015 und ihre Flüchtling­spolitik verbucht Merkel auf der Habenseite. Deutschlan­d habe die „große Herausford­erung“bestanden, „in einer humanitäre­n Notlage viele Menschen aufzunehme­n“.

Der Zwischenap­plaus im Saal bleibt in diesem Moment aus. Offensicht­lich tut sich ein Teil der Delegierte­n nach wie vor schwer mit dem Kurs, den ihre Vorsitzend­e eingeschla­gen hat. Diesen innerparte­ilichen Zwist hinterläss­t Merkel der künftigen Vorsitzend­en als Ballast. Umso eindringli­cher appelliert sie an ihre Partei, geeint in die Zukunft zu gehen: Auch in Zeiten von Polarisier­ung und AfD könne die CDU gute Ergebnisse erringen, „wenn wir geschlosse­n und entschloss­en kämpfen“, sagt sie. Und sie warnt: „Wohin uns nicht enden wollender Streit führt, dass haben CDU und CSU in den letzten Jahren bitter erfahren.“

„Gläserne Decke durchbroch­en“

Doch wie weit die Ansichten innerhalb der Christdemo­kraten auseinande­rgehen, zeigt sich nur wenige Minuten nach Merkels Abschiedsr­ede. „Sie haben die CDU zusammenge­halten und wieder stark gemacht“, sagt die Vorsitzend­e der Frauen-Union und Integratio­nsbeauftra­gte der Bundesregi­erung, Annette Widmann-Mauz. Und nahezu euphorisch rühmt sie die Verdienste Merkels für Frauen in der Politik. Die CDU-Chefin habe das Rollenbild von Millionen Mädchen und Frauen geprägt. „Sie haben die gläserne Decke für Frauen in der Politik durchbroch­en.“

Der baden-württember­gische Fraktionsc­hef Wolfgang Reinhart hält sich hingegen nur kurz mit einem Lob auf Merkel auf, um dann zu fordern: „Die CDU muss die Weichen stellen, um eine Volksparte­i der Mitte zu bleiben mit breiten Flügeln in beide Richtungen.“Zudem fordert er die „Repräsenta­tionslücke“, aus der die AfD entstanden sei, wieder zu verkleiner­n.

Pfiffe für „Landesverr­at“-Vorwurf

Weitgehend allein bleibt hingegen Eugen Abler, Gemeindera­t in Bodnegg im Kreis Ravensburg und erklärter Merkel-Kritiker, mit seinen Positionen. Seine Rede, in der er unter anderem den Migrations­pakt als „Landesverr­at“bezeichnet, wird mehrfach von Pfiffen unterbroch­en.

In dieser Woche ist Angela Merkel zum achten Mal in Folge vom US-Magazin „Forbes“zur mächtigste­n Frau der Welt gekürt worden, in ihrer Partei hat sie die Macht am Freitag in Hamburg abgegeben. Die Ära Merkel ist vorbei, die Zeit von Annegret Kramp-Karrenbaue­r an der Spitze der CDU angebroche­n. Doch als Kanzlerin könnte es für Merkel in dieser Konstellat­ion bis zum Ende der Legislatur weitergehe­n. Es bleibt ein Abschied auf Raten.

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FOTO: DPA
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FOTO: AFP „Es war mir eine große Freude, und es war mir eine große Ehre“: Angela Merkel ist nicht mehr die Vorsitzend­e der CDU.

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