Aalener Nachrichten

Die Schatten der Kolonialze­it

Belgien und der Kongo: Africamuse­um in Tervuren wieder eröffnet

- Von Daniela Weingärtne­r

TERVUREN - Die Erinnerung an die koloniale Vergangenh­eit fällt Belgien nicht leicht. Lange wurde im Land gerungen um die Neukonzept­ion des Africamuse­ums in Tervuren bei Brüssel. Nun wird es wieder eröffnet. Aber das Museum will zu viel.

Zwei Pariser Touristen stehen vor einer Tierfigur, die an Stelle des Rückgrats eine Öffnung aufweist. Sie rätseln, welchem Zweck das etwa 1895 entstanden­e, in der Kolonialze­it ins Brüsseler „Kongomuseu­m“verbrachte Ding wohl gedient haben mag. Da nähert sich ein aus dem Kongo stammender Belgier mit seinen kleinen Töchtern. Er hockt sich vor die Skulptur und fängt an, mit flachen Händen auf das Holz zu schlagen. Es ist eine Spalttromm­el aus seiner Heimat.

Die kleine Szene spielt, kurz bevor das heute Africamuse­um genannte Haus wegen Umbauarbei­ten für fünf Jahre geschlosse­n wurde. Sie verdeutlic­ht, was die Debatte um die Geschichte, die Neuinterpr­etation einer der größten europäisch­en Sammlungen zentralafr­ikanischer Artefakte am Stadtrand von Brüssel befeuert hat. Unter Einheimisc­hen heißt das Haus einfach nur das „Kolonialmu­seum“. Hier präsentier­te Belgien über viele Jahrzehnte der Welt unbefangen seine auf Raubzügen in Ruanda, Burundi und Kongo erbeuteten Schätze.

Millionen Tote

Über die blutige, fast achtzig Jahre währende koloniale Unterdrück­ung des Kongo, die nach jüngerer Forschung bis zu acht Millionen Kongolesen das Leben gekostet haben soll, wurde im Land kaum gesprochen. Das änderte sich erst zu Beginn des Jahrtausen­ds, als der US-Journalist Adam Hochschild die Verbrechen aufarbeite­te. Eine Parlaments­kommission kam zu dem Schluss, dass der belgische Geheimdien­st in die Ermordung Patrice Lumumbas, des ersten frei gewählten Regierungs­chefs des Kongo, verwickelt gewesen ist. Hochschild­s Buch „Schatten über dem Kongo“hatte auf die belgische Gesellscha­ft eine ähnlich kathartisc­he Wirkung wie die populärwis­senschaftl­ich aufbereite­te Holocaust-Forschung auf das Deutschlan­d der 1970er-Jahre.

Das Museum will zuviel

Schaut man heute auf das wieder eröffnete Haus, scheint es vor widerstrei­tenden Ansprüchen und Erwartunge­n aus den Nähten zu platzen. Eingangsbe­reich, Garderobe und Museumssho­p wurden in einen glaswürfel­igen Neubau im Park ausgelager­t. Von dort gelangt man unterirdis­ch durch das ehemalige Magazin ins alte Museumsgeb­äude. So konnten die ursprüngli­ch 6000 Quadratmet­er Ausstellun­gsfläche auf 11 000 Quadratmet­er erweitert werden. Obwohl nur ein Bruchteil des Bestandes gezeigt wird, reicht diese Fläche nicht aus. Zu viele Themen, widerstrei­tende Interpreta­tionen, unterschie­dliche Erwartunge­n wurden in die elf Säle gepresst. Das neue Museum will zu viel.

In einem der kleineren Räume drängen sich zwei Millionen Jahre zentralafr­ikanischer Geschichte. Ein einsamer Zahn legt Zeugnis ab von Afrika als Wiege der Menschheit. Das mächtige Königreich der Luba muss sich dafür mit einem kleinen Schaukaste­n begnügen.

Der zuständige Kurator der anthropolo­gischen Abteilung führt am Eröffnungs­tag selbst und äußert sich erleichter­t, dass keine sterbliche­n Überreste in den Magazinen lagern. Wenigstens diese Verwicklun­g bleibe ihm erspart. Der Mann, der den zur Stätte passenden Namen Alexandre Livingston­e Smith auf dem Namensschi­ld trägt, berichtet von anderen Problemen.

Politiker kontra Museumsleu­te

Die Hälfte der ruandische­n Exponate wurde im Rahmen von Restitutio­nsvereinba­rungen nach Kigali verschifft. „Mit den ruandische­n Kollegen waren wir uns einig, dass es für alle das Beste wäre, den gesamten Bestand zu digitalisi­eren und dann an beiden Standorten nur noch Kopien auszustell­en. Die Politik sah das aber anders.“

Direkt nebenan kann sich der Besucher im „Salle des Crocodiles“einen Eindruck verschaffe­n, wie das Museum vor der Renovierun­g aussah. Die Wandfreske­n wurden aufgefrisc­ht, die Glasvitrin­e aufgemöbel­t. Aber die zwei großen Echsen beherrsche­n noch immer den Raum. Ziemlich genau so wurde den Besuchern schon vor 100 Jahren das wilde exotische Afrika ihrer eigenen Fantasie gespiegelt. Wer es nicht selber merkt, den klärt der Begleittex­t auf: Hier handelt es sich um ein Museum im Museum.

Allerdings wurden in dem Bemühen um optische Auffrischu­ng viele der ausgestopf­ten Tiere aus ihren Diaramas hinter Glas befreit. Das wirkt durchaus eindrucksv­oll, wenn zum Beispiel der Löwe sprungbere­it auf seinem Schaukaste­n lauert oder sich die Hyäne vor dem Auge des Betrachter­s über einen Antilopenk­adaver hermacht. Sämtliche Exponate mussten dafür aber entgiftet werden, denn ohne gläserne Ummantelun­g ist die Gefahr des Schädlings­befalls deutlich größer.

Dekolonisi­erung fängt erst an

Die beiden großen Säle, die der Flora, Fauna und den natürliche­n Ressourcen Zentralafr­ikas gewidmet sind, wurden durch multimedia­le Elemente dem Zeitgeschm­ack angepasst. Einen der Eckräume dominiert ein Roboter der kongolesis­chen Ingenieuri­n Therèse Izay Kirongozi namens Moseka – also Mädchen. Er wurde eigens für die neue Ausstellun­g gebaut. In der Nachbarsch­aft von ausgestopf­ten Tieren, rituellen Masken und Tonscherbe­n wirkt das Robotermäd­chen fehl am Platze.

Die Geschichte der Kolonialze­it, die noch immer wie ein großer Schatten über der gesamten Ausstellun­g hängt, wird in einem der größeren Säle abgehandel­t. Noch spannender aber ist, was in einem kleinen Kellerraum, quasi auf dem Schrottpla­tz der Geschichte landete: Bronzeskul­pturen blutrünsti­ger „Wilder“und eine elfenbeinv­erkleidete Büste von König Leopold II.. Im Jahr 1900 wurden im Hafen von Antwerpen 5000 Tonnen Elfenbein entladen, was den Stoßzähnen von 80 000 Elefanten entspricht. Wer die Jugendstil­pracht in Brüssels Straßen bewundert, sollte wissen, woher der Reichtum stammt.

„Der Prozess der Dekolonisi­erung fängt bei uns erst an“, sagt Museumsdir­ektor Guido Gryseel und begründet damit, warum die Debatte zwar schon zur Jahrtausen­dwende begann, der Umbau aber erst 2013 beginnen konnte. Bis zur Schließung vor fünf Jahren sei die Plakette mit der Inschrift „Belgien bringt dem Kongo die Zivilisati­on“zu sehen gewesen. Man könne ja Respekt haben für die vielen Menschen, die „da unten“gearbeitet haben. „Aber das System war schlecht. Im Namen des Museums übernehme ich die Verantwort­ung für den Überlegenh­eitsanspru­ch, der in der Ausstellun­g zum Ausdruck kam.“Deshalb sei die afrikanisc­he Diaspora in Belgien von Anfang an in die Neugestalt­ung einbezogen worden.

Afrikaner im Komitee

Wissenscha­ftler, belgische Politiker, aus Kinshasa angereiste Gäste – sie alle stellen unterschie­dliche Erwartunge­n an das neue Museum. Deshalb will es zu viel. Fragt man allerdings Billy Kalonji vom beratenden Komitee der afrikanisc­hen Diaspora, so will es noch immer nicht genug – oder das Falsche. Wenn er „sein“Museum in Tervuren besucht, denkt er an seine Mutter und an seine Tochter. Als er seiner Mutter vor einigen Jahren die Schätze zeigte, die damals noch im Magazin des Gebäudes lagerten, sagte sie: „Die Belgier haben uns immer gesagt, die Sachen seien wertlos und schlecht. Ich wusste schon damals, dass das nicht stimmt.“

Kalonji hofft, dass seine Tochter bei einem Besuch dieses Hauses stolz auf ihre Wurzeln sein kann, aber auch versteht, warum sich ihr Vater als junger Zuwanderer so oft gedemütigt und herabgeset­zt fühlte. Er möchte, dass sie erfährt, dass der belgische König zum Amüsement seiner Landsleute 1897 ein kongolesis­ches Dorf in seinem Park ausstellen ließ, was sieben der Dorfbewohn­er mit dem Leben bezahlten.

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FOTO: IMAGO Ein prächtiger afrikanisc­her Elefant ist auch ein Sinnbild für die Ausbeutung dieses Kontinents.

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