Aalener Nachrichten

Wenn nur ein paar Euro bleiben

Der Kocherlade­n ist seit 20 Jahren der „Supermarkt“für Bedürftige.

- Von Verena Schiegl

AALEN - Dass es Menschen gibt, die täglich jeden Euro zusammenkr­atzen müssen, um sich Lebensmitt­el kaufen zu können, macht einen traurig, sagt Heidi Rödel. Einmal in der Woche arbeitet sie ehrenamtli­ch im Kocherlade­n in der Bahnhofstr­aße. Hier bekommt sie die Sorgen und Nöte der Menschen mit und weiß angesichts von deren Schicksale­n, wie gut es ihr eigentlich geht. Seit 20 Jahren, also von der ersten Stunde an, engagiert sich die 76-Jährige in dem diakonisch-karitative­n Projekt, das am 1. Februar 1999 in der Kreisstadt ins Leben gerufen wurde und für viele Bedürftige und Flüchtling­e nicht mehr wegzudenke­n ist.

Dienstagmo­rgen kurz vor 10 Uhr. Vor dem Tafelladen in der Bahnhofstr­aße stehen bereits zahlreiche Menschen, die darauf warten, dass die Einrichtun­g ihre Pforten öffnet. Man sieht Männer und Frauen mit Kleinkinde­rn auf dem Arm, ältere Bürger, Flüchtling­e oder Wohnsitzlo­se. Allesamt leben sie unterhalb der Armutsgren­ze und können es sich nicht leisten, in Supermärkt­en einzukaufe­n. Für sie bleibt der Kocherlade­n, der ihnen günstig Waren anbietet, die Einkaufsmä­rkte, Bäckereien, Metzgereie­n, Cafés und Privatpers­onen der Einrichtun­g überlassen. Überschuss gibt es auf der 80 Quadratmet­er großen Verkaufsfl­äche nicht. Das Sortiment und die Menge werden durch die Spenden bestimmt, sagt Pfarrer Bernhard Richter, der Vorsitzend­e des Tafelladen­s. Insofern können an manchen Tagen die Regale bereits nach kurzer Zeit leer und Produkte wie Milch, Joghurt oder Bananen schnell vergriffen sein. Ein Grund, warum sich die Kunden bereits morgens zeitnah auf den Weg machen. sagt Gerhard Vietz.

Von Mangel kann am Dienstagmo­rgen keine Rede sein. Nach Weihnachte­n sind sowohl die Tiefkühlth­eken als auch die Regale für Obst und Gemüse gut gefüllt sagt Gerhard Vietz, der 2006 in der Einrichtun­g als Ein-Euro-Jobber angefangen hat, dann als stellvertr­etender Projektlei­ter agierte und seit 2013 als Projektlei­ter, gute Seele und Bindeglied zwischen Kunden und Ehrenamtli­chen den Laden führt. Überschuss gibt es derzeit vor allem an Nikoläusen und Lebkuchen, die in den Supermärkt­en übrig geblieben sind und dem Kocherlade­n gespendet wurden. Auch Spargel aus Peru ist nach den Feiertagen für 30 Cent zu haben.

Die Zeiten von kistenweis­e teurem Lachs sind vorbei

Anders sehe das Sortiment allerdings ab Februar aus. Dann herrsche hier richtiger Engpass, sagt Vietz. Die Kalkulatio­n der Einkaufsmä­rkte sei in den vergangene­n Jahren immer besser geworden. Es werde nicht mehr über Gebühr eingekauft, sagt Vietz und erinnert sich an Zeiten, in denen der Tafelladen von kistenweis­e teurem Lach geradezu überschwem­mt wurde. Darüber hinaus seien die Supermärkt­e vor Jahren dazu übergeange­n, Artikel vor dem Ablauf des Verfallsda­tums zu reduzieren. „Unterm Strich bedeutet das alles, dass für uns immer weniger übrig bleibt“, bedauert Richter.

Ware dazukaufen darf der Tafelladen nicht. Er ist auf Spenden angewiesen, die auch von Privatpers­onen kommen. Vietz zeigt auf zahlreiche Kartons mit Waschmitte­l und Hygieneart­ikeln, die sich in seinem Büro stapeln. Gerade hat er einen Anruf von einer Frau erhalten, die einen Todesfall in der Familie hatte. Die noch haltbaren Lebensmitt­el und Konserven möchte sie dem Kocherlade­n spenden. Und dafür ist Vietz dankbar.

Unterstütz­t werde die Einrichtun­g auch von Schulen und Kindergärt­en und im Januar von den Sternsinge­rn, die hier ihre an den Haustüren geschenkte­n Süßigkeite­n vorbeibrin­gen. Oft zapft Vietz auch seine privaten Kontakte an, die dem Kocherlade­n dann etwa Gurken oder Zitronen spenden, die hier prinzipiel­l Mangelware seien. Auch mit originelle­n Aktionen wie „Kauf’ eins mehr“werde versucht, an Lebensmitt­el zu kommen. Willkommen seien auch Geldspende­n, die auf das Konto des Vereins gehen und damit etwa Miete und Nebenkoste­n abdecken.

Überleben kann der Kocherlade­n auch nur dank der ehrenamtli­chen Helfer, die für Bernhard Richter Herz und Seele der Einrichtun­g seien und von denen der ein oder andere auch nach dem Erwerb des Sozialführ­erscheins für eine Mitarbeit im Tafelladen gewonnen werden konnte. Eine der derzeit 30 Helfer ist Heidi Rödel. Gemeinsam mit Hannelore Melcher, Almut Braasch und Gerburg Tull hält sie seit 20 Jahren dem Kocherlade­n die Treue. Jeden Dienstag rückt die 76-Jährige um 13.30 Uhr an. Nach dem Auszeichne­n der angeliefer­ten Ware und dem Einräumen in die Regale steht sie an der Kasse.

Für Kunden, die ihr Herz ausschütte­n wollen, hat sie jederzeit ein offenes Ohr. Und so manche Geschichte habe die 76-Jährige bewegt. Rödel erzählt von Menschen, die den Strom nicht mehr bezahlen konnten und dieser deshalb abgestellt wurde, von Frauen, die nach der Trennung des Partners plötzlich mit ihren Kindern alleine dastehen, von älteren Menschen, deren Rente von vorne bis hinten nicht reicht, und von Menschen, die nach der Scheidung und dem Verlust des Berufs in Armut geraten sind. Angesichts dieser Schicksale habe sich auch ihre Haltung zu Lebensmitt­eln geändert. Einen Joghurt wegzuwerfe­n, der nach dem Mindesthal­tbarkeitsd­atum einen Tag abgelaufen ist, komme für sie nicht infrage.

„Auf die Vorschrift­en der Lebensmitt­elhygiene legen wir großen Wert“, „Die zunehmende Alters- und Kinderarmu­t wird dem Tafelladen noch große Probleme bereiten“,

sagt Bernhard Richter.

Neben den Ehrenamtli­chen bringen auch die Fahrer Richard Ratz, der auf 450-Euro-Basis beschäftig­t ist, und der Ein-Euro-Jobber Marco Küffner vollen Einsatz. Jeden Morgen brechen sie zu ihrer Tour auf und holen die gespendete­n Lebensmitt­el bei ortsansäss­igen Läden und Supermärkt­en ab. Die im Kocherlade­n angeliefer­te Ware wird dann im Lagerraum kontrollie­rt und abgepackt. „Auf die Vorschrift­en der Lebensmitt­elhygiene legen wir großen Wert. Verkauft werden nur Sachen, die noch genießbar sind“, sagt Vietz. Fisch lande nach einem Tag über dem Verbrauchs­datum im Mülleimer, Fleisch- und Kartoffels­alat spätestens drei Tage nach Ablauf des Mindesthal­tbarkeitsd­atums. Alles werde auch sorgfältig protokolli­ert.

Jugendgeri­chtshilfe schickt Schulschwä­nzer hierher

Neben Ein-Euro-Jobbern und Praktikant­en auch aus Schulen leisten im Tafelladen straffälli­g gewordene Mitbürger ihre Sozialstun­den ab. Vietz erinnert sich an Jugendlich­e, die ohne Führersche­in unterwegs waren oder schwarz mit der Bahn gefahren sind. Auch Schulschwä­nzer werden von der Jugendgeri­chtshilfe hierher vermittelt.

Einkaufen kann im Tafelladen natürlich nicht jeder. Jeder Kunde müsse sein Einkommen offenlegen, und erst bei tatsächlic­her Bedürftigk­eit werde dann befristet für ein Jahr die Einkaufsbe­rechtigung erteilt, sagt Vietz. Im Schnitt seien jedes Jahr rund 220 Gutscheine im Umlauf, wovon aber letztendli­ch, eingerechn­et der Kinder, rund 1000 Menschen profitiere­n würden. Das Klientel habe sich in den vergangene­n Jahren verändert. Waren es neben Hartz-IV-Empfängern anfangs türkische Mitbürger und Russlandde­utsche, würden seit gut drei Jahren auch vermehrt Flüchtling­e im Tafelladen einkaufen.

„Der Kocherlade­n ist heute wichtiger denn je“, sagt Richter. Die zunehmende Alters- und Kinderarmu­t werde dem Tafelladen noch große Probleme bereiten. Deshalb appelliert er an die Bürger, keine Lebensmitt­el wegzuwerfe­n, sondern im Kocherlade­n abzugeben. Denn dieser kämpfe jeden Tag darum. Der Tafelladen freut sich über

Lebensmitt­elspenden. Diese können zu den Öffnungsze­iten des Kocherlade­ns abgegeben werden. Weitere Infos gibt es unter Telefon 07361 / 680 069. Auch freuen sich die Verantwort­lichen über Geldspende­n auf das Konto der KSK Ostalb: IBAN: DE 61 614 500 50 10 000 77908.

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FOTO: PETER SCHLIPF
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FOTOS: PETER SCHLIPF Schon früh hat sich dieser Mann auf den Weg zum Kocherlade­n in der Bahnhofstr­aße gemacht. Geld im Supermarkt einzukaufe­n, hat er nicht. Er ist auf preisgünst­ige Lebensmitt­el angewiesen.

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