Aalener Nachrichten

Neuer Machtkampf um Brexit in London

Britische Regierungs­chefin Theresa May stellt heute Plan B vor – Maas fordert Klarheit

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LONDON (AFP/dpa/sbo) - Im BrexitStre­it in Großbritan­nien zeichnet sich ein neuer Machtkampf zwischen Regierung und Parlamenta­riern ab. Nach britischen Medienberi­chten wollen Abgeordnet­e im Unterhaus Premiermin­isterin Theresa May teilweise die Kontrolle entziehen. Die Regierungs­chefin will heute ihren Plan B vorlegen, der einem Zeitungsbe­richt zufolge einen bilaterale­n Vertrag mit Irland vorsieht.

Wie britische Medien am Sonntag berichtete­n, wollen zwei Gruppen von Parlamenta­riern in den kommenden Tagen Änderungsa­nträge einbringen, um Mays Brexit-Pläne zu stoppen. Eine Regierungs­sprecherin nannte die Initiative­n „extrem beunruhige­nd“. Die britische Presse sprach von „Verschwöru­ngen“im Unterhaus gegen May. Laut „Sunday Times“will eine Gruppe von mehr als 20 Parlamenta­riern um den konservati­ven Abgeordnet­en Dominic Grieve erreichen, dass der Austrittsp­rozess nach Artikel 50 des EU-Vertrags vorübergeh­end gestoppt wird. Eine andere parteiüber­greifende Initiative will May dazu bringen, den auf Ende März festgelegt­en BrexitTerm­in zu verschiebe­n, falls bis Ende Februar keine Einigung im britischen Parlament erzielt wird.

May wird dem Unterhaus heute ihren Plan B präsentier­en, nachdem der von ihr mit Brüssel ausgehande­lte Austrittsv­ertrag im Parlament krachend gescheiter­t war. Der britische Verfassung­sexperte, Professor Vernon Bogdanor, kritisiert­e im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“das Votum des Unterhause­s in der vergangene­n Woche. Dafür gebe „es politische, aber kaum inhaltlich­e Gründe“. „Dieser Deal ist für Großbritan­nien und Nordirland eine gute Lösung. Ich muss sagen: Ich hätte nicht gedacht, dass die Regierung so viel herausholt“, sagte Bogdanor.

Außenminis­ter Heiko Mass (SPD) appelliert angesichts des Brexit-Schlingerk­urses an das Parlament in London, unverzügli­ch Klarheit zu schaffen. „Letztlich reicht es nicht, wenn man in London entscheide­t, was man nicht will. Sondern die müssen jetzt entscheide­n, was sie wollen“, sagte er im ZDF. Nachverhan­dlungen zu dem abgelehnte­n Abkommen mit der EU seien schwierig, denn unter den 27 verbleiben­den EU-Staaten gebe es viele, die dazu nicht mehr bereit seien.

LONDON - Europa wartet gespannt auf die nächsten Schritte Großbritan­niens beim Brexit. Doch nur knapp zwei Monate vor dem geplanten Austritt aus der EU ist noch immer keine Lösung in Sicht. Sebastian Borger befragte dazu Vernon Bogdanor (Foto: Morley von Sternberg), der jahrzehnte­lang Politik an der Universitä­t Oxford unterricht­ete, darunter auch den früheren Premiermin­ister David Cameron. Bogdanors Buch „Die neue britische Verfassung“gilt als Standardwe­rk. Der 75-Jährige lehrt jetzt am Londoner New College of the Humanities (NCH).

Fassungslo­s stehen die Europäer vor dem Brexit-Schlamasse­l. Wird es Zeit für eine überpartei­liche Notstandsr­egierung?

Großbritan­nien ist nicht Deutschlan­d. So etwas wie die Große Koalition hat hier keine Chance. Es gibt keinen Konsens, und die Opposition­sparteien werden nichts dazu beitragen, Premiermin­isterin Theresa May zu helfen.

Sollten sie nicht der Nation helfen?

So sehen die das nicht. Labour will Neuwahlen, die Liberaldem­okraten halten ein zweites Referendum für angemessen. Die SNP, die Schottisch­e Nationalpa­rtei, die in Edinburgh die Regionalre­gierung leitet, würde zurückfrag­en: Welche Nation? Sie benutzt die Krise dazu, mehr Befürworte­r für Schottland­s Unabhängig­keit zu finden. Dazu kommt: Die beiden großen Parteien, Konservati­ve und Labour, sind, was Europa angeht, in der Mitte gespalten.

Wie das Land: 52 Prozent stimmten für den Brexit (Leave), 48 Prozent wollten in der EU bleiben (Remain).

Idealerwei­se hätten wir jetzt in unserem Wahlsystem eine Leave- und eine Remain-Party. Das wäre in Staagesagt, ten mit Verhältnis­wahlrecht natürlich möglich. Dafür gibt es dort Probleme mit den Extremen auf beiden Seiten. Was die hiesige Opposition angeht: Soweit von ihr positive Vorschläge kommen, weisen sie alle in die Richtung eines weicheren Brexits. Dieser aber würde die Spaltung der Torys nur vergrößern. Daran hat May natürlich kein Interesse.

Steht also das Parteiinte­resse über dem nationalen Interesse?

Umfragen zufolge wünschen sich mehr als 50 Prozent der Tory-Mitglieder die No-Deal-Lösung …

… wollen also, dass das Königreich Ende März die EU im Chaos und ohne Vereinbaru­ng verlässt. Aber das sind lediglich 125 000 Briten in einer Bevölkerun­g von 66 Millionen?

Bitte bedenken Sie, wie Mays Nachfolger als Parteivors­itzender und damit auch Premiermin­ister gewählt wird: Die Unterhausf­raktion bestimmt zwei Kandidaten, diese stellen sich dem Parteivolk in einer Urwahl. Der nächste Chef oder die nächste Chefin wird also, vorsichtig deutlich weniger dem Remain-Lager zugehören als Theresa May. Übrigens ist mir gesagt worden: Hätte Boris Johnson im Sommer 2016 seine Bewerbung nicht hingeschmi­ssen, wäre er Premiermin­ister geworden.

Stattdesse­n durfte er Außenminis­ter werden.Wenn sich nichts bewegt, bekommen wir wirklich das No-Deal-Szenario?

So steht es im Gesetz, da haben Sie Recht. Meiner Meinung nach wird das aber nicht passieren. Auch Theresa May will das nicht. Sondern das Parlament wird noch einen Deal verabschie­den, der dem Austrittsv­ertrag und der politische­n Erklärung sehr nahekommt.

Das Unterhaus hat Theresa Mays Verhandlun­gspaket vergangene Woche mit riesiger Mehrheit abgelehnt.

Dafür gibt es politische, aber kaum inhaltlich­e Gründe. Dieser Deal ist für Großbritan­nien und Nordirland eine gute Lösung. Ich muss sagen: Ich hätte nicht gedacht, dass die Regierung so viel herausholt.

Viele Europäer teilen Ihre Meinung: May hat gut verhandelt, der Vertrag geht an die Schmerzgre­nze der EU. Warum wird das in London so ganz anders gesehen?

May hat kein Talent dafür, ihre Politik auch gut zu verkaufen. Sie sagt eigentlich immer nur: Das ist besser als gar kein Deal.

Für wie realistisc­h halten Sie die Möglichkei­t eines zweiten Referendum­s und einer Brexit-Umkehr?

Ich habe das im Herbst befürworte­t. Mittlerwei­le bin ich anderer Meinung. Die Leavers würden sich mit Händen und Füßen gegen das notwendige Gesetz im Unterhaus wehren. Die Schotten würden sofort eine zweite Abstimmung über ihre Unabhängig­keit fordern. Und wenn Remain nicht mit klarer Mehrheit gewinnt, bliebe die Frage politisch ungeklärt.

Könnte sich Königin Elizabeth II noch in den Brexit-Prozess einschalte­n?

Nein. Es gibt nichts, was die Queen tun könnte oder tun sollte.

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FOTO: IMAGO Ein Brexit-Gegner wirbt vor dem Parlament mit Plakaten für eine zweite Volksabsti­mmung.
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Experte Vernon Bogdanor.

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