Zehntausende demonstrieren für Agrarwende
Landwirte und Bürger gingen am Wochenende gegen Riesenställe und zu viel Unkrautgift auf die Straßen
BERLIN/TÜBINGEN (dpa) - Angeführt von rund 170 Traktoren haben mehrere zehntausend Menschen in Berlin für eine Wende zu mehr Umweltund Tierschutz in der Landwirtschaft demonstriert. Unter dem Motto „Wir haben Agrarindustrie satt“zogen nach Veranstalterangaben am Samstag rund 35 000 Menschen durch das Regierungsviertel – parallel zur Ermährungsmesse Grüne Woche. Eine ebenfalls in der Hauptstadt tagende AgrarministerKonferenz sprach sich für eine stärkere weltweite Kooperation bei der Digitalisierung der Landwirtschaft aus. Sie soll bei einer schonenderen Produktion und dem Kampf gegen Hunger helfen.
Zu der Demonstration für eine Agrarwende hatte ein Bündnis von Landwirten, Tier- und Umweltschützern aufgerufen. An der Agrarminister-Konferenz im Außenministerium übergaben sie eine Protestnote. Darin stand, dass „bäuerliche Arbeit auf den Äckern und Feldern und in den Ställen etwas sehr Wertvolles und vor allem Schützenswertes“sei. Das Bündnis fordert auch für die Verhandlungen zur künftigen EU-Agrarfinanzierung mehr Klima- und Naturschutz, mehr Unterstützung für kleinere Höfe und artgerechte Tierhaltung.
Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) wandte sich mit Blick auf die Demonstration gegen Polarisierungen. Es sei eine Herausforderung, die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. „Wir werden sie nicht satt machen mit einem Teilausstieg aus der landwirtschaftlichen Produktion.“Es komme auf eine nachhaltigere, effizientere und umweltgerechtere Produktion an. „Aber wir brauchen den Landwirt.“Es gehe nicht mit einem Gegeneinander und mit Pauschalisierungen.
Die Agrarminister-Konferenz mit Regierungsvertretern aus 74 Staaten beschloss einen Anstoß für mehr Kooperation bei der Digitalisierung. Die Welternährungsorganisation FAO solle nun ein Konzept für einen globalen „Digitalrat“ausarbeiten, wie Gastgeberin Klöckner sagte. Er soll Länder beraten und den Erfahrungsaustausch vorantreiben. Ziel seien gemeinsame Lösungen, um den Technologie-Zugang auch für Kleinbauern zu verbessern. GrünenAgrarpolitiker Harald Ebner forderte ein weitergehendes Umsteuern: „Wer Digitalisierung nur innerhalb des bestehenden Systems denkt, verschenkt ihr Potenzial.“
EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis zeigte sich offen für das von der Bundesregierung geplante staatliche Tierwohl-Label für Fleisch aus besserer Haltung. Er sei für jegliche Maßnahmen und auch Kennzeichnungen, um den Tierschutz zu erhöhen. Generell müsse man vorsichtig sein, keine Barrieren im EU-Binnenmarkt zu schaffen.
Für eine klimafreundliche Landwirtschaft sind auch in Tübingen zahlreiche Menschen auf die Straße gegangen. Die Polizei zählte bei einer Demonstration rund 2500 Teilnehmer. Aufgerufen hatten Umweltschutzverbände. Die Veranstaltung des BUND Neckar-Alb in Tübingen stand unter dem Motto: „Wir haben es satt!“.