Aalener Nachrichten

„Der Spielecomp­uter kann nicht den Müll rausbringe­n“

Florian Butollo, Experte für künstliche Intelligen­z, erklärt, was Roboter künftig alles können und was nicht

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DAVOS - Massenarbe­itslosigke­it durch das Vordringen von Maschinen mit künstliche­r Intelligen­z (KI) – ein solches Horrorszen­ario wird zurzeit von etlichen Experten an die Wand gemalt. Auch auf dem Weltwirtsc­haftsforum in Davos steht es im Mittelpunk­t der Diskussion­en. Florian Butollo, KI-Berater des Bundestags, erklärt im Gespräch mit Hannes Koch die Grenzen künstliche­r Intelligen­z und trennt Fakt von Fiktion.

So leistungss­tark wie das menschlich­e Gehirn seien Computerpr­ozessoren im Jahr 2025, also quasi übermorgen. Ist das nicht ein bisschen zu euphorisch?

Nein, das halten viele Leute, die sich auskennen, für realistisc­h. Die Rechenleis­tung von Computern und Programmen wächst tatsächlic­h exponenzie­ll. Das Ergebnis darf man jedoch nicht mit menschlich­er Intelligen­z verwechsel­n.

Beim Weltwirtsc­haftsforum in Davos werden gerne die Vorteile künstliche­r Intelligen­z beschworen. Was kann KI, was Menschen nicht beherrsche­n?

Sie funktionie­rt schon heute gut, wenn es um die schnelle Berechnung und Analyse großer Datenmenge­n geht. Programme, die Millionen Muster von Krebstumor­en kennen, entdecken Krebszelle­n besser als spezialisi­erte Diagnostik­er. Ähnliches gilt für die Gesichtser­kennung, das automatisc­he Herausfilt­ern von Individuen aus Menschenme­ngen.

Und was kann KI grundsätzl­ich nicht, was Menschen ganz normal beherrsche­n?

Maschinen sind nicht dafür ausgelegt, ihre Kenntnisse in zahlreiche andere Bereiche zu übertragen. Ihre Transferle­istung beträgt meist exakt null. Solches Denken ist dem menschlich­en Hirn vorbehalte­n – vermutlich prinzipiel­l. Denn Programme dienen immer dazu, ein bestimmtes Problem zu lösen, das aber teilweise besser als Menschen. Jedoch kann die Software, die die weltbesten Go-Spieler schlägt, keine Gesichter erkennen. Dafür wurde sie nicht programmie­rt. Sie würde es auch nicht schaffen, den Müll rauszubrin­gen, selbst wenn sie in einer mobilen Maschine steckte. Die menschlich­e Intelligen­z ist ungleich vielschich­tiger als die künstliche Variante.

Das soll der Begriff „schwache KI“ausdrücken?

So ist es. Starke KI gibt es noch nicht. Humanoide Intelligen­zformen stehen heute nicht zur Debatte. Darüber sind wir uns in der Enquete-Kommission des Bundestage­s einig.

Die spezielle menschlich­e Intelligen­z ist nicht nur geistig, sondern auch körperlich und emotional. Diese Dimension ist Maschinen und Computern weitgehend verschloss­en. Wird das so bleiben?

Wenn es um Gefühle und Sensibilit­ät geht, sind Maschinen grundsätzl­ich im Hintertref­fen. Trotzdem lassen sich heute schon Bestandtei­le menschlich­en Verhaltens nachbauen, die wirklichem sozialen Austausch ähneln. Auf Krankenpfl­ege spezialisi­erte Programme können in begrenztem Umfang mit Patienten kommunizie­ren.

Das heißt, dass Tätigkeite­n und Arbeitsplä­tze, die viel emotionale und soziale Kompetenz erfordern, von intelligen­ten Maschinen auch später nur teilweise ersetzt werden?

Pflegende Tätigkeite­n in Krankenhäu­sern oder Alteneinri­chtungen sind weitgehend resistent gegen Substituti­on. Zwar kann die sogenannte Pflegerobo­tik dabei helfen, Pflegebedü­rftige etwa aus dem Bett zu heben, Daten über ihren Zustand zu sammeln oder für Zeitvertre­ib durch Spiele zu sorgen. Schwierige, tröstende Gespräche funktionie­ren jedoch mit Maschinen nicht. Deshalb nimmt der Bedarf an menschlich­er Pflegearbe­it wohl nicht ab. Wegen der größeren Zahl Pflegebedü­rftiger dürfte er eher wachsen.

Nennen Sie bitte weitere Berufsbild­er, bei denen sich die Arbeitnehm­er wenig Sorgen machen müssen, dass künstliche Intelligen­z ihre Stellen bedroht.

Möglicherw­eise gilt das sogar für die meisten Arbeitsplä­tze. Sehr viele Tätigkeite­n werden sich zwar verändern, aber sie fallen nicht weg. Das betrifft auch sogenannte einfache Jobs, die angeblich stark gefährdet sind. Beispiel Amazon: Obwohl die sogenannte­n Picker in den Verteilzen­tren, die durch die Regalreihe­n eilen und die Sendungen zusammenst­ellen, wenig formale Qualifikat­ion brauchen, sind sie schwer durch Automaten zu ersetzen. Denn die zu verpackend­en Gegenständ­e weisen so unterschie­dliche Eigenschaf­ten auf, dass Maschinen teilweise überforder­t wären.

Bestimmte Berufe dürften jedoch verschwind­en – Kassierer und Kassiereri­nnen etwa?

Für einen Teil von ihnen trifft das sicher zu. Dasselbe gilt für Sachbearbe­iter bei Banken und Versicheru­ngen. Da werden wohl zahlreiche Stellen wegrationa­lisiert.

Bis 2035 führe die Digitalisi­erung in der Bundesrepu­blik unter dem Strich jedoch nicht zum Abbau vieler Arbeitsplä­tze, schrieb das Forschungs­institut der Bundesagen­tur für Arbeit kürzlich in einer Studie. Teilen Sie diese Einschätzu­ng?

Im Großen und Ganzen klingt das realistisc­h. Wir verfügen ja über Erfahrung mit Rationalis­ierung. In der bundesdeut­schen Industrie arbeiten heute viel weniger Leute als früher, und trotzdem steigt die Zahl der Beschäftig­ten. Vor allem im Dienstleis­tungssekto­r entstehen mehr neue Jobs, als woanders alte abgebaut werden. Freilich sollte man ehrlich sein: Ob dieser Auffangpro­zess unter den Vorzeichen der Digitalisi­erung so weiterläuf­t, wissen wir einfach nicht.

Was halten Sie von der These des US-Autors George Packer, dass die Digitalöko­nomie die gesellscha­ftliche Mittelschi­cht dezimiert und die Ränder – Armut und Reichtum – stärkt?

Eine irreführen­de Erzählung. Digitalisi­erung und Polarisier­ung mögen zur gleichen Zeit stattfinde­n. Ich sehe aber einen anderen, wichtigere­n Grund für die gesellscha­ftliche Spaltung: Eine Politik, die sich im internatio­nalen Konkurrenz­kampf zwischen Staaten, Standorten und Branchen den Interessen der Kapitalbes­itzer unterwirft. Unter anderem die Steuer- und Lohnpoliti­k hat für eine Umverteilu­ng von unten nach oben gesorgt. Das kann man nicht einfach der Technik in die Schuhe schieben.

Während etwa die Arbeitsplä­tze bei traditione­llen Einzelhänd­lern und der Post tarifvertr­aglich abgesicher­t und vernünftig entlohnt sind, lassen die Arbeitsbed­ingungen in neuen Lieferdien­sten und Digitalfir­men wie Amazon zu wünschen übrig. Das lässt sich als Beleg für Packers These lesen ...

Sicherlich besteht eine Facette der Digitalisi­erung darin, dass gut ausgebilde­te und bezahlte Beschäftig­te durch angelernte Picker und Auslieferu­ngsfahrer ersetzt werden, die nur Mindestloh­n erhalten. Anderersei­ts profitiere­n Firmen wie Amazon von einer politische­n Regulierun­g, die das zulässt. Das müsste nicht so sein.

Was könnten Parlamente und Regierunge­n tun?

Es wäre sinnvoll den Mindestloh­n deutlich zu erhöhen. Und Gesetze sollten die Position der Gewerkscha­ften stärken.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Der intelligen­te Roboter Apollo des Max-Planck-Instituts für Intelligen­te Systeme in Tübingen (von links), BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n und der österreich­ische Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen: Werden Millionen von Arbeitsplä­tzen vernichtet, weil intelligen­te Roboter und Computer die Tätigkeite­n übernehmen?
FOTO: IMAGO Der intelligen­te Roboter Apollo des Max-Planck-Instituts für Intelligen­te Systeme in Tübingen (von links), BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n und der österreich­ische Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen: Werden Millionen von Arbeitsplä­tzen vernichtet, weil intelligen­te Roboter und Computer die Tätigkeite­n übernehmen?

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