Rebellion von Vancouver bis Ravensburg
Was hinter den globalen Schülerstreiks für mehr Klimaschutz steckt
RAVENSBURG - Die Rufe schallten durch die Ravensburger Altstadt, immer wieder. „Wir sind jung, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft raubt“, riefen Hunderte Schüler am vergangenen Freitagvormittag. 1500 junge Menschen waren gekommen, um für wirksameren Klimaschutz zu demonstrieren – zu einer Uhrzeit, zu der sie eigentlich im Klassenzimmer hätten sitzen müssen.
Wie am vergangenen Freitag in Ravensburg gehen seit Wochen Schüler zu Zehntausenden auf die Straße, um Parolen für eine strengere Politik gegen den menschengemachten Klimawandel zu schreien – in dutzenden deutschen Städten und auf der ganzen Welt, in Belgiens Hauptstadt Brüssel wie im kanadischen Vancouver. „Fridays for Future“, Freitage für die Zukunft, heißt die Protestbewegung. Ihr Vorbild ist die Schwedin Greta Thunberg. Aus der 16-Jährigen mit den langen Zöpfen ist in wenigen Monaten ein globaler Star geworden, eine Ikone umweltbewegter Menschen.
16-jährige Umwelt-Ikone
Thunberg will erreichen, dass sich Schweden, besser noch die Politik weltweit, stärker einsetzt gegen das Aufheizen der Erde. Mit diesem Appell wurde sie zur UN-Klimakonferenz ins polnische Kattowitz (Katowice) und zum Weltwirtschaftsforum nach Davos in die Schweiz eingeladen. Im August, nachdem der DürreSommer auch ihr Land ächzen ließ, hatte sie losgelegt mit den Protesten. Schulschwänzen gegen die Klimakatastrophe: Thunbergs Beispiel folgten Anfang September zunächst fünf Schüler im niederländischen Regierungssitz Den Haag. Ende November gingen Teenager in Australien auf die Straße, dann in Großbritannien, Kanada – und am 14. Dezember erstmals in Deutschland. Greta Thunberg gilt mittlerweile als europäisches Gesicht eines Aufbruchs ihrer Generation. Doch können die so angestoßenen Demonstrationen gar, wie „Die Zeit“andeutet, in eine „globale gesellschaftliche Bewegung“münden, die 2019 zum Wendepunkt fürs Klima macht? „Es gibt eine politische Mobilisierung bei den jungen Menschen in den letzten Jahren, die ist bemerkenswert“, stellt Martina Gille vom Deutschen Jugendinstitut in München fest. „Das haben eigene Studien und die Auswertungen der regelmäßig stattfindenden Allbus-Erhebungen ergeben, die alle zwei Jahre gemacht werden.“Allerdings sei das wachsende Politikinteresse auch bei Erwachsenen zu beobachten, sagt die Sozialforscherin. Der Trend gehe also in die gleiche Richtung.
„Auch früher haben junge Leute schon protestiert, etwa gegen neue Atomwaffen in Europa, Waldsterben oder AKWs“, ordnet der Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg, Professor Ulrich Reinhardt, 48, ein. „Natürlich spielt auch das Happening als solches für die junge Generation eine Rolle: Man ist mit anderen bei einer Aktion – und dieses ist für viele attraktiver als zur Schule gehen“, sagt er. „Nichtsdestotrotz haben wir jetzt eine Generation, die politisch interessierter ist als noch die Generation davor.“
Globale Seelenverwandte
Ein neues Phänomen ist laut Experten erkennbar an der Protestbewegung für mehr Klimaschutz: Dass Nähe und Distanz neu definiert werden. „Die junge Generation spricht mit einer Stimme, und das global“, sagt Professor Reinhardt. Ähnlich wie Forscherin Gille vom Jugendinstitut vermutet er, dass sich die Teilnehmer der Proteste über Grenzen hinweg recht ähnlich sind, was Bildung und sozialen Hintergrund angehe – auch wenn es zu früh für Zahlen sei. Und dass die Unterschiede zwischen armen und reichen Stadtteilen in Deutschland größer sein könnten als zwischen Mittelstandskindern in Metropolen weltweit.
„Die jungen Leute, die sich jetzt besonders einsetzen, ob aus den USA, Spanien, England oder Deutschland, sind sehr gut miteinander vergleichbar. Entsprechend sind die Unterschiede innerhalb der Länder größer als zwischen den Ländern“, befindet Ulrich Reinhardt.
In der Region werden die Schulstreiks für den Klimaschutz weitergehen. In Ravensburg ist für den 15. März die nächste Demo geplant. Im Ostalbkreis soll es schon an diesem Freitag weitergehen mit den „Fridays for Future“. Die Proteste sollen an wöchentlich wechselnden Orten stattfinden. Diesmal zunächst in Schwäbisch Gmünd, dann Aalen und schließlich Ellwangen.