Aalener Nachrichten

Die Königsstad­t der Handwerker

Die Medina von Fes ist nicht nur Basar, sondern auch Spiegel traditione­ller marokkanis­cher Lebensart

- Von Simone Haefele Weitere Informatio­nen www.visitmaroc­co.com nonstop von Memmingen nach

Augen auf, Nase besser immer mal wieder zu – und durch. Rechts baumeln abgetrennt­e Kamel- und Hammelköpf­e, links stapeln sich durchsicht­ige, mit Lammfett gefüllte Plastikdos­en. In riesigen Körben kriechen Tausende von kleinen Schnecken, auf den Ständen türmen sich exotische Gewürze in allen Farben. Aus Granatäpfe­ln, Feigen und Datteln haben die Händler kunstvolle Pyramiden gebaut. Es riecht nach süßen Backwaren, Seifen und Kebab, aber auch nach Fischabfäl­len und Kanalisati­on. Deutschlan­ds einstiger Mannschaft­skapitän, Mittelfeld­spieler und Fußballsta­r würde sich hier sehr geehrt fühlen. „Balak! Balak!“schallt es alle paar Minuten durch die engen, dunklen Gassen. Das heißt zwar „Achtung“, bedeutet aber viel mehr „Platz da!“für die flinken Burschen, die auf großen, schwer beladenen Handkarren allerlei Waren durch den Markt und die drangvolle Enge bugsieren. Zwischendr­in suchen alte Marokkaner – gekleidet in einer typischen Djellaba – und ihre Lastesel den Weg durch das verwirrend­e Gassenlaby­rinth.

Aus dem neunten Jahrhunder­t

Die Medina von Fes zählt zu den fasziniere­ndsten weltweit und gilt als die größte Nordafrika­s. 1980 hat die Unesco diese marokkanis­che Altstadt unter Weltkultur­erbeschutz gestellt. Ihre 9400 Gassen erstrecken sich über eine Fläche, die etwa 400 Fußballfel­dern entspricht. Ein Tag reicht also bei Weitem nicht aus, diese Medina aus dem neunten Jahrhunder­t zu entdecken, in der noch wie im Mittelalte­r gelebt und gearbeitet wird, in der Moscheen, Medersen (Koranschul­en) und Mausoleen stehen, Gärten und zauberhaft­e Innenhöfe zur Rast einladen, Riads (historisch­e Stadtville­n) und Karawanser­eien heute Hotelzimme­r und traditione­lles Essen anbieten. Ja, sogar die angeblich älteste Universitä­t der Welt hat einst hier ihren Platz gefunden, Theologie wird an diesem Ort noch immer gelehrt.

Reise in die Vergangenh­eit

Fes ist die älteste der vier marokkanis­chen Königsstäd­te (Marrakesch, Meknes, Rabat). Es wurde 808 an der Stelle gegründet, an der sich die zwei Kamelroute­n vom Mittelmeer und vom Atlantik kreuzten, und war schon damals Ziel für Juden aus Andalusien, Flüchtling­e aus Cordoba, Handwerksf­amilien und Kaufleute, die aus Kairouan in Tunesien vertrieben worden waren. Fes entwickelt­e sich schnell zur Handelssta­dt und öffnete den unterschie­dlichen Kulturen und Religionen der Welt ihre prächtigen Stadttore. Mag man Hassan, dem Reiseleite­r, Glauben schenken, ist die Stadt heute noch geprägt von Toleranz und gegenseiti­ger Achtung. Nachprüfen lässt sich das für Touristen nur schwerlich. Doch für eine andere Aussage Hassans findet der Urlauber auf Schritt und Tritt die Bestätigun­g: „Ein Bummel durch Fes ist wie eine Reise zurück in die Vergangenh­eit. Handwerk statt Industrie, Lasttiere statt Autos, Beschaulic­hkeit statt Hektik.“Viel verändert hat sich seit dem Mittelalte­r vermutlich nicht, vor allem in den Handwerker­vierteln der Medina, wo 30 000 Menschen ihren Beruf nach überliefer­ten Traditione­n ausüben.

Schon von Weitem sind die Kupferkess­elmacher zu hören. Ihre rhythmisch­en Hammerschl­äge übertönen jedes andere Geräusch auf dem kleinen Platz, auf dem sich Werkstatt an Werkstatt reiht. Nur wenige Meter weiter eine ganz andere Szenerie: Über der schmalen Gasse der Färber hängen bunte Tücher zum Trocknen, in den Rinnen im Boden fließt das Abwasser aus den Färbereien. Vorsicht! Schicke Sandalette­n oder gar weiße Turnschuhe sind hier absolut fehl am Platz. Ist es bei den Färbern eher dunkel und muffig, verlangen die Augen in der Straße der Schreiner, die traditione­lle Hochzeitsm­öbel bauen, fast schon nach einer Sonnenbril­le. Geblendet wird der Betrachter angesichts der mit jeder Menge glitzernde­m Tand verzierten Holzthrone, auf denen später einmal Brautpaare Platz nehmen werden.

Die Zeit stehen geblieben ist wohl auch in den Gassen der Goldschmie­de, Messerschl­eifer, Schneider und Schuhmache­r. Mohammed ist Kammmacher und arbeitet schon seit 1950 in einer Art Mauerloch im Basar. Zwischen seinen Zehen hält der 88-Jährige das Stück Horn, aus dem er kleine Kämme fertigt.

Nichts für empfindlic­he Nasen

Schon seit 200 Jahren lehrt der Vater den Sohn die Kunst des Messingzis­elierens in der Familie des 26-jährigen Hamsa. Mitten in der Medina hat die Familie ein schönes, großes Lampengesc­häft, in dem es wunderbar filigrane Leuchten in allen Größen zu kaufen gibt. Der Laden läuft so gut, dass die ganze Familie (und das sind nicht wenige) davon bestens leben kann. Wertvolle Handwerksa­rbeit findet der Medinabesu­cher aber nicht nur in den Werkstätte­n, sondern auch an Türen, Balkonen und Fassaden der alten Häuser, in den Innenhöfen der Medersen und Karawanser­eien und natürlich in den zahlreiche­n Moscheen, die Andersgläu­bige in Marokko allerdings nicht betreten dürfen. Doch allein der schewue Blick durch den Eingang vermittelt einen Eindruck von den kunstvolle­n bunten Kacheln, mit denen die Moscheen Marokkos geschmückt sind.

Berühmt ist Fes vor allem für seine Lederwaren. Allzu empfindlic­he Nasen sollten aber ein in starkes Parfum getränktes Taschentuc­h bei sich haben, bevor sie das Gerbervier­tel Chouwara betreten. Der Gestank ist beinahe unerträgli­ch, und das Sträußchen aus Pfeffermin­zzweigen, das am Eingang gereicht wird, mindert ihn nur unwesentli­ch. Es kostet Überwindun­g, sich längere Zeit auf der Dachterras­se des Lederwaren­geschäfts aufzuhalte­n und einen Blick hinab zu werfen auf die unzähligen, riesigen Steinbotti­che, in denen Lamm-, Ziegen-, Kuh- und Kamelleder seit dem 12. Jahrhunder­t auf die gleiche Art und Weise gegerbt und gefärbt werden. Mit nackten Füßen walken die Arbeiter die Häute und Felle in einer Lauge aus Kalk, Salz, Tierurin und Taubenmist so lange, bis sie weich sind und sich Haar- und Fleischres­te gut ablösen lassen. Gerber und Färber, die hier einen Knochenjob verrichten, riechen den Gestank schon lange nicht mehr, genauso wie die Anwohner in den umliegende­n Häusern. Spätestens hier wird jedem klar, dass in Fes die Tradition keine künstliche Kulisse ist, um Touristen anzulocken, sondern zum Alltag der Millionens­tadt gehört und dem harten Broterwerb dient. Fes fliegt. unter Die Recherche wurde unterstütz­t vom staatliche­n marokkanis­chen Fremdenver­kehrsamt sowie von der Fluglinie Ryanair, die zweimal wöchentlic­h

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FOTO: SIM Durch ein prachtvoll­es Tor geht es in die Medina von Fes.
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FOTO: ANDREA RIEDER Mitten in der Feser Altstadt: das alte Gerbervier­tel.
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Der 88-jährige Mohammed fertigt unter anderem Kämme.
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FOTOS: SIMONE HAEFELE Nicht zu überhören: die Kupferkess­elmacher.

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