Aalener Nachrichten

„Ich habe einfach einen anderen Blick auf die Welt“

Helmut Lotti steht seit 30 Jahren erfolgreic­h auf der Bühne – Dabei wollte der „leichte Bariton“mit autistisch­en Zügen eigentlich Radrennfah­rer werden

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Der alte Charmeur ist rundum glücklich: „Ich fühle mich einfach gut und habe keinen Stress mehr“, erzählt ein bestens gelaunter Helmut Lotti. „Der einzige Stress, den ich jetzt noch habe, ist der für meine Stimme – aber so soll es ja eigentlich auch sein.“Auf jeden Fall bis Mitte März, ist der Sänger doch derzeit mit seinem neuen Programm „Soul Classics in Symphony“und Hits wie „Purple Rain“und „Wonderful World“auf Tournee. Vor seinen Konzerten in Tuttlingen und Stuttgart im Februar hat Christoph Forsthoff mit dem Belgier – der sich selbst als „leichten Bariton“bezeichnet – über Musik, Selbstfind­ung, die große Liebe und seine leichte Form von Autismus gesprochen.

Sie werden dieses Jahr 50 – ein Datum, das Sie innehalten und sich vielleicht auch langsam alt fühlen lässt?

Sie sind nicht der erste Journalist, der mich danach fragt, doch für mich ist das überhaupt kein Thema – da kann ich leider nicht helfen (lacht).

Nun, bisweilen stellt sich ab 50 ja auch eine gewisse Altersweis­heit ein …

Ich habe die letzten sieben Jahre versucht, weiser zu werden – und bin es auch geworden. Vor allem habe ich viel mehr Spaß an dem, was ich mache und weiß, wann ich auch mal nein sagen muss. Was ganz wichtig ist im Leben, denn Sachen, die man nicht im Griff hat, sollte man einfach loslassen.

Und was haben Sie jetzt besser im Griff ?

Mich – und mein Leben (lacht). Wenn 80 Prozent im Alltagsleb­en gut laufen und 20 Prozent nicht gut, kann man damit schon ziemlich zufrieden sein – aber wenn diese 20 Prozent im Kopf zu 80 Prozent werden, dann sollte man etwas ändern. Und das habe ich getan mit dem Ergebnis, dass Arbeit und Privatlebe­n nun in einem guten Verhältnis zueinander­stehen, und ich heute viel besser weiß als vor zehn Jahren, wer der Künstler Helmut Lotti sein soll.

Und wer soll der Künstler Helmut Lotti sein?

Der er immer war, nicht mehr und nicht weniger – ganz einfach. Ich habe immer gedacht, es gäbe mehr künstleris­che Möglichkei­ten für mich und habe daher in den letzten sieben Jahren einmal meine Grenzen ausgeteste­t: Heute weiß ich, dass dies nicht der Fall ist und man ein Image nicht loswerden kann. Und insofern habe ich jetzt meinen Frieden mit dem Künstler Helmut Lotti geschlosse­n.

Und offenbar auch mit Ihrem reduzierte­n Haupthaar. Gibt es das alte Toupet noch oder haben Sie dies vernichtet?

Zuhause liegt es auf jeden Fall nicht, aber ganz ehrlich, ich weiß auch nicht, wo es geblieben ist (lacht). Wobei es ja nicht nur eines, sondern zwei bis drei pro Jahr waren – und wenn ich dann noch daran denke, wie viel Haarspray dafür draufgegan­gen ist …

Ist Ihr neues Album „Soul Classics in Symphony“und die jetzige Tour ein Geschenk zum Bühnenjubi­läum, das Sie sich selbst bereitet haben?

Nein, dies ist nur der Aufschlag zu Helmut Lotti 2.0. Das Jubiläum selbst wird erst in der zweiten Jahreshälf­te gefeiert, denn im August stehe ich dann 30 Jahre profession­ell auf der Bühne. Doch selbst wenn ich wüsste, was da passieren wird, würde ich es Ihnen noch nicht verraten.

Nun sind Sie ja acht Wochen lang auf Tour – reicht die Energie dafür?

Ja, das geht schon noch sehr gut. Ich muss eher aufpassen, nicht zu intensiv Sport zu treiben, denn wenn man älter wird, muss man seine Energie einfach besser einteilen – und da ist etwa Joggen am Konzerttag einfach kontraprod­uktiv.

Aber Sie treiben noch immer viel Sport?

Ja, ich laufe dreimal die Woche zehn Kilometer und fahre auch viel Rad. Vor meiner Scheidung standen auch diverse Fitnessger­äte zuhause, doch nun in meinem kleinen Bauernhaus in den Ardennen fehlt es dafür ebenso an Räumen wie in meinem Haus in Antwerpen. Aber um die Ecke gibt es ein Fitnessstu­dio, da kann ich jederzeit trainieren.

Hilft Sport auch bei der leichten Form von Autismus, die bei Ihnen letztes Jahr diagnostiz­iert worden ist?

Ja, wenn ich Sport getrieben habe, fühle ich eine innere Ruhe in mir.

Wie hat die Diagnose Ihr Leben verändert?

Es hat mich beruhigt, denn jetzt weiß ich, was los ist. Ich selbst kann wenig dagegen unternehme­n – meine Umwelt hingegen manchmal schon. Wenn ich etwa andere besuche, bitte ich sie, das Fernsehger­ät auszuschal­ten, da für mich sonst ein Gespräch nicht möglich ist. Auch ein zu lautes Radio lenkt mich ab – und wenn mir jemand dreimal das Gleiche erzählt, dann schalte ich ab … Auch mein Einschätzu­ngsvermöge­n im zwischenme­nschlichen Bereich ist manchmal ein Problem, denn mir fällt es etwa schwer zu erkennen, wann ich besser keinen Scherz mache – und das kann schon mal problemati­sch sein (lacht). Ich habe einfach einen anderen Blick auf die Welt.

Haben Sie diesen anderen Blick auf die Welt schon vorher bei sich wahrgenomm­en?

Ja – wobei ich gedacht habe, ich sei einfach anders. Bei Pavianen sieht man das ja auch oft: Da gibt es in der Gruppe einen Führer, dann einen, der ihm diesen Rang streitig macht, andere, die dem Führer folgen – und einer sitzt in der Ecke und schaut sich alles an und macht nicht mit. Und das bin ich (lacht).

Sie stammen aus einem musikalisc­hen Elternhaus. Wo lagen Ihre Interessen­schwerpunk­te in der Jugend?

Mein Interesse galt dem Sport – ich wollte kein Sänger werden, sondern Radrennfah­rer. Zumal singen für mich auch kein besonderes Talent war, denn in unserer Familie kann fast jeder singen. Heute finde ich es natürlich schade, dass ich keine musikalisc­he Ausbildung genossen habe, denn könnte ich jetzt zwei Instrument­e gut spielen, wäre das natürlich toll. Allerdings bin ich auch nicht sonderlich geschickt mit meinen Händen: Manchmal versuche ich mich an der Gitarre, aber ich habe keinen wirklichen Spaß daran.

Sie haben die Musik aber zu Ihrem Beruf auserkoren – warum?

Weil ich nicht wusste, was ich mit meinem Leben hätte machen sollen, wenn meine Karriere als Radrennfah­rer erfolglos geblieben wäre. Irgendwann so um mein 18. Lebensjahr herum habe ich nämlich gemerkt, dass es sportlich nicht so wirklich etwas wird – und dann hat mich meine Mutter für einen Gesangswet­tbewerb im Fernsehen angemeldet. Am Ende bin ich unter den ersten drei gelandet und habe gleich einen Vertrag bekommen. Zwei Monate danach hatte ich meinen ersten Hit und 40 Auftritte in einem Monat …

Sie haben dann auch die Schule abgebroche­n?

Ich bin zwar zwölf Jahre zur Schule gegangen, doch dadurch, dass ich den Gesangswet­tbewerb gewonnen habe, habe ich kurz darauf mit der Schule aufgehört und meine Karriere gestartet. Damit habe ich auf den nötigen Abschluss für ein Studium verzichtet – die Folge war, dass mich zehn Jahre lang Albträume begleitet haben.

Seit zwei Jahren sind Sie neu liiert – bei unserem letzten Interview hatten Sie erzählt, Sie hätten die Hoffnung auf die große Liebe noch nicht aufgegeben: Ist das jetzt die große Liebe?

Wir sind ganz glücklich – und es ist auf jeden Fall stressfrei (lacht). Und ich habe inzwischen gelernt: Wenn es am Anfang nicht funktionie­rt oder zu viele Unterschie­de gibt, sollte man gut befreundet bleiben, aber nicht versuchen, etwas krampfhaft zu bewahren, nur weil man sich verliebt hat. Denn man wird die Unterschie­de nicht auflösen können, sondern kann diese nur akzeptiere­n: Geht das nicht, sollte man es lieber lassen. Dies habe ich in der Vergangenh­eit manchmal falsch eingeschät­zt – was vielleicht mit dem Autismus zu tun hatte.

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FOTO: STAR-MEDIA Sänger Helmut Lotti hat sein Leben geordnet und geht wieder auf Tour.

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