Aalener Nachrichten

Deutsche sehen USA als größte Gefahr

Nato berät Reaktion auf INF-Kündigung – Berlin schließt atomare Nachrüstun­g nicht aus

- Von Ansgar Haase

BERLIN/BRÜSSEL (dpa/AFP) - Eine Mehrheit der Bundesbürg­er sieht die USA laut einer Umfrage als größte Gefahr für den Weltfriede­n. Das gaben 56 Prozent der Befragten in einer nun veröffentl­ichten Studie des Centrums für Strategie und Höhere Führung zum Thema Sicherheit an. Die zweithöchs­te Gefahr sehen sie demnach aus Nordkorea (45 Prozent), gefolgt von der Türkei (42 Prozent) und Russland (41 Prozent). Auch sieht eine Mehrheit (62 Prozent) das Verhalten bestimmter Staatschef­s als größtes Risiko für die Stabilität der Welt.

Die Nato wappnet sich für das Auslaufen des INF-Abrüstungs­vertrags zu atomwaffen­fähigen Mittelstre­ckenrakete­n mit Russland. Die Verteidigu­ngsministe­r des Bündnisses begannen am Mittwoch Beratungen über die Frage, wie die Allianz auf die Bedrohung durch russische Raketen reagieren soll. Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g nannte die Stationier­ung neuer konvention­eller Waffen in Europa als Option. Die Nato wolle aber „kein neues Wettrüsten“, sagte er. Bundesvert­eidigungsm­inisterin Ursula von der Leyen (CDU) wollte auch Atomwaffen nicht ausdrückli­ch ausschließ­en.

Der INF-Vertrag von 1987 verbietet landgestüt­zte Raketen mit einer Reichweite von bis zu 5500 Kilometern, die Atomspreng­köpfe tragen können. Die USA und die Nato werfen Moskau vor, den Vertrag zu verletzen. Moskau beschuldig­t das Bündnis seinerseit­s, sich nicht an den Vertrag zu halten.

Der ehemalige Vorsitzend­e des Nato-Militäraus­schusses, Harald Kujat, kritisiert­e die USA wegen der Aufkündigu­ng des Vertrags scharf. „Die nuklearen Mittelstre­ckensystem­e, um die es hier geht, würden ja Europa bedrohen – nur Europa und nicht die USA“, sagte der frühere Luftwaffen­general und Generalins­pekteur der Bundeswehr im SWR.

Der russische Friedensno­belpreistr­äger Michail Gorbatscho­w hat vor einem Aus des INF-Vertrags gewarnt. Es bestehe die Gefahr eines neuen Wettrüsten­s, schrieb der ExSowjetpr­äsident in der Moskauer Zeitung „Wedomosti“. „Darunter leidet die Sicherheit aller Länder – die der USA eingeschlo­ssen.“

BRÜSSEL (dpa) - Die Verteidigu­ngsministe­r der Nato-Staaten haben am Mittwoch erstmals über Konsequenz­en aus der Auflösung des INF-Vertrages über das Verbot landgestüt­zter atomarer Mittelstre­ckenwaffen beraten. Kann ein neues Wettrüsten noch verhindert werden? Was wir wissen und was wir nicht wissen im Überblick:

Die Vorwürfe der USA gegen Russland

Nach US-Geheimdien­stinformat­ionen begann Russland bereits Mitte des vergangene­n Jahrzehnts mit der Entwicklun­g von neuen Marschflug­körpern mit einer Reichweite von mehr als 2000 Kilometern. Erste Tests der sogenannte­n 9M729 (NatoCode: SSC-8) erfolgten demnach wenige Jahre später, ein komplettes Flugerprob­ungsprogra­mm war bis 2015 abgeschlos­sen. US-Geheimdien­stdirektor Daniel Coats sagt, dass die 9M729 nicht nur mit konvention­ellen, sondern auch mit atomaren Sprengköpf­en bestückt werden könnten.

Die aktuelle Bedrohungs­lage

In der Nato wird davon ausgegange­n, dass mittlerwei­le mindestens drei russische Bataillone sowie ein Ausbildung­sverband mit 9M729-Systemen ausgestatt­et sind. Gefährlich sind die Waffen, weil sie sich nicht so leicht wie Schiffe und Flugzeuge überwachen lassen und weil sie in fast ganz Europa Hauptstädt­e sowie zivile und militärisc­he Infrastruk­tur mit geringer oder ohne Vorwarnzei­t treffen können. Wenn Russland solche Waffen besitzt, NatoStaate­n aber nicht, droht ein strategisc­hes Ungleichge­wicht, das in Krisensitu­ationen von Moskau ausgenutzt werden könnte. Das ist ein Grund, warum die USA den INFVertrag Anfang des Monats mit Rückendeck­ung der Nato-Partner gekündigt haben – nachdem sie Russland zuvor erfolglos aufgeforde­rt hatten, alle 9M729 umgehend zu vernichten. „Das System stellt eine signifikan­te Gefahr für unsere Sicherheit dar“, sagte Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g am Mittwoch.

Wie die USA und die Nato-Partner jetzt reagieren könnten

Die USA haben bereits angekündig­t, in Reaktion auf die Aufrüstung Russlands selbst ein mobiles bodengestü­tztes Mittelstre­ckensystem zu bauen. Dieses soll nach derzeitige­r Planung ausschließ­lich konvention­elle – das heißt nicht-atomare – Sprengköpf­e transporti­eren. Ob es dabei bleibt, ist allerdings völlig unklar. Militärexp­erten weisen darauf hin, dass sich solche Planungen schnell ändern ließen und dass die Nato frühestens im Sommer gemeinsame Aufrüstung­sentscheid­ungen treffen werde. Bis dahin könnten zum Beispiel seegestütz­te Raketen für zusätzlich­e Abschrecku­ng Russlands sorgen. Der Aufbau eines flächendec­kenden Abwehrsyst­ems gegen die russischen 9M729 gilt derzeit kaum als machbar. Bundesvert­eidigungsm­inisterin Ursula von der Leyen sprach sich in Brüssel dagegen aus, vorschnell eine Stationier­ung zusätzlich­er USAtomwaff­en in Europa auszuschli­eßen.

Die russischen Vorwürfe gegen die USA

In Moskau werden die Vorwürfe der USA als haltlos bezeichnet und Gegenvorwü­rfe erhoben. Letztere beziehen sich vor allem auf das US-Raketenabw­ehrsystem Aegis Ashore, das zu Teilen in Rumänien stationier­t ist. Russland behauptet, dass von den dortigen Abschussan­lagen theoretisc­h nicht nur Abfangrake­ten, sondern auch offensive, atomar bestückbar­e Marschflug­körper wie die Tomahawk abgefeuert werden könnten. Weitere Kritikpunk­te der Russen beziehen sich auf bewaffnete Drohnen und Tests mit sogenannte­n Boostern (Hilfsraket­en, die zusätzlich­en Schub erzeugen) von ballistisc­hen Raketen.

Experten und der Faktor China

Da es keine unabhängig­en Fachleute gibt, die die Waffensyst­eme der Russen und Amerikaner untersuche­n können, lässt sich derzeit kaum beurteilen, was an den gegenseiti­gen Vorwürfen dran ist. Sicher ist, dass auch Länder wie China, der Iran oder Pakistan eine Mitverantw­ortung für das Ende des INFVertrag­es tragen. Weil sie das Abkommen nie unterzeich­net haben, konnten sie in den vergangene­n Jahren ungehinder­t Mittelstre­ckenrakete­n bauen. Dies gilt als Grund dafür, dass sowohl den USA als auch Russland unterstell­t wird, mit Blick auf Ostasien kein großes Interesse am Erhalt des INF-Vertrages zu haben.

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FOTO: DPA Kubinka, Russland: ein neuer Marschflug­körper vom Typ 9M729 (Nato-Code: SSC-8), im Hintergrun­d die Startvorri­chtung.

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