Aalener Nachrichten

Der Machtverlu­st bekommt der CSU in Bayern gut

Die 100-Tage-Bilanz der neuen Regierung: Die Menschen sind so zufrieden, wie sie es mit der Alleinherr­schaft der Christsozi­alen schon lange nicht mehr waren

- Von Michel Lehner

MÜNCHEN - Seit 100 Tagen regiert eine neue Koalition im Münchner Landtag. Bayern geht es trotzdem ziemlich gut. Und laut Demoskopie sind die Menschen so zufrieden, wie sie es mit der CSU-Alleinherr­schaft schon lange nicht mehr waren. Sogar die große Schwester CDU bekommt was ab vom neuen Glücksgefü­hl.

Eben hat Bayerns CSU-Innenminis­ter den Freunden von der CDU versichert, dass die Zeit des Streits vorbei sei. Bayern, sagte Joachim Herrmann, werde schließlic­h mittlerwei­le eingebunde­n in das Ringen um die Flüchtling­spolitik. So hätte der Mann noch vor einem Jahr wohl nicht geredet. Da ging es der CSU noch um jede Stimme, gerne auch auf Kosten des Friedens unter den Unionspart­eien.

Heute ist der konservati­ve Alleinvert­retungsans­pruch Geschichte, zumindest bis auf Weiteres. Die CSU hat in Markus Söder einen Ministerpr­äsidenten, dem das Wahlvolk mehrheitli­ch die große bundespoli­tische Kompetenz abspricht – und der zugleich der Koalitions­regierung mit den Freien Wählern Zufriedenh­eitswerte beschert, von denen sie in der CSU lange nicht einmal mehr träumen konnten.

Viel erinnert an die ersten Nachkriegs­jahre. Da gab es noch die Bayernpart­ei als nennenswer­te Konkurrenz um Stimmen aus dem bürgerlich­en Lager. Ländlich orientiert, nicht ganz so klerikal wie der erzkatholi­sch orientiert­e Flügel in der CSU. Den wies dann Franz Josef Strauß in seine Schranken. Und der Bayernpart­ei entledigte sich die CSU mit nicht immer christlich­en Methoden.

Es gibt die Bayernpart­ei noch, als Splitterpa­rtei, aber ihre Rolle haben nun die Freien Wähler eingenomme­n. Tief verwurzelt auf dem flachen Land, allzeit kampfberei­t für bäuerliche Interessen – und so bayerisch, wie es die CSU lange nicht sein durfte im Sinne ihres bundespoli­tischen Anspruchs. Gäbe es die Freien Wähler nicht, ließe sich spotten, dann hätte die CSU sie erfinden müssen. Auch um Wähler im Lager zu halten, die mit den Avancen ans grün-liberale Großstadtp­ublikum nichts anfangen können.

Und ein wenig auch, um den Bayerntrau­m vom kleinen Glück zu pflegen, den Märchenkön­ig Ludwig II. dem großdeutsc­hen Zeitgeist opfern musste. Gegen Bares aus Berlin, nebenbei bemerkt. Da muss es kein Zufall sein, dass Ministerpr­äsident Söder in einer ersten lauten Wortmeldun­g zur Bundespoli­tik mehr Eigenständ­igkeit für die Länder verlangt. Zumal dann, wenn der Bund Geldzuwend­ungen mit erweiterte­r Einmischun­g verbinden will.

Mit Geld sind diese Bayern ohnehin kaum zu disziplini­eren, sie haben im Länderverg­leich genug davon. Und es gibt die Theorie, dass Söder als Finanzmini­ster so eisern sparte, um nun mit Wahlgesche­nken aus dem Vollen zu schöpfen: 1000 Euro jährlich für schwer Pflegebedü­rftige und ihre Familien. Monatlich 250 Euro je Kind im Alter von 13 bis 36 Monaten. Und obendrauf 100 Euro monatlich für drei Kindergart­enjahre.

Recht leise, aber doch bestimmt, hat die Münchner Staatsregi­erung im Fall der Wohltaten mit dem Bund gestritten, der die familienpo­litischen Extras gern auf Sozialhilf­eleistunge­n angerechne­t hätte. „Deutschlan­d ist so erfolgreic­h, weil es uns Bayern gibt“, sagt Söder. Da könne ihm Berlin doch nicht verbieten, dass die Menschen im Freistaat das auch am eigenen Geldbeutel spüren. Sogar die Hartz-IV-Empfänger.

Viele in der CSU haben dem neuen Ministerpr­äsidenten lange nicht verziehen, dass er schon in früheren Jahren im Zweifel auf Volkes Stimme hörte. Zum Beispiel, als er als Umweltmini­ster die Pläne für einen gigantisch­en Ausbau der Donau in die Schubladen verbannte.

Der Schwarze Peter wird geteilt

Auch bei solch umstritten­en Entscheidu­ngen kommt Söder nun gelegen, dass er mit einer Koalition regiert. Bei der Denkpause zum Bau einer dritten Startbahn für den Münchner Flughafen ebenso wie beim zumindest vorläufige­n Verzicht auf riesige Flutpolder an der Donau: Daran sind nun die Freien Wähler schuld. Im eigenen Lager bringt ihnen dies Stimmen und stärkt somit Söders Regierung.

Spannend ist, dass den Preis für solche Synergieef­fekte vor allem Bayerns Sozialdemo­kraten zahlen. Derzeit liegt die SPD in Umfragen noch bei sechs Prozent. Sogar das Publikum der Ärmsten macht ihnen diese Staatsregi­erung streitig mit einer Stiftung zur Obdachlose­nhilfe. Die hatte Söder schon vergangene­s Jahr bei einer Audienz dem Papst versproche­n: „Das ist ein unglaublic­h reiches Land. Aber auch hier gibt es Armut vor der Tür.“

Auch was die Barmherzig­keit angeht, überrascht Bayerns neuer Premier mit bisher eher unbekannte­n Wesenszüge­n. Im eigenen Umfeld gilt er nämlich als harter Brocken. Nach seiner Wiederwahl hat Söder ziemlich gnadenlos sein Kabinett bereinigt. Sogar Schulminis­ter Ludwig Spaenle, der offen wie kaum ein Zweiter die Ablösung des Söder-Vorgängers Horst Seehofer betrieb, musste gehen.

Mit Milde dürfen eher Obdachlose rechnen – und die Schwesterp­artei. Bei aller Priorität bayerische­r Interessen, sagte Söder kürzlich in einem Interview, liege ihm an „Profil mit Stil“. Also daran, beim Durchsetze­n solcher Interessen zu zeigen, „dass man das in einem bürgerlich­en Umgangston machen kann.“

Vorgänger Seehofer, der sich mitunter im Ton vergriff, ist angesichts solchen Wandels schon so gut wie Geschichte: Bei einer Umfrage, ob er Bundesinne­nminister bleiben soll, bekam er klare Mehrheiten nur noch von den AfD-Anhängern. Aber auch die werden deutlich weniger in Bayern, seit die CSU dort nicht mehr allein regiert.

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FOTO: IMAGO Bayerns neues Erfolgsduo: CSU-Ministerpr­äsident Markus Söder (re.) und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger.

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