Aalener Nachrichten

Zehn Jahre und ein Monat Haft wegen Totschlags

Im Steinheime­r Prozess um eine tödliche Messerstec­herei verneint das Schwurgeri­cht Mordmerkma­le

- Von Josef Schneider

ELLWANGEN / STEINHEIM - Im Prozess gegen einen 46-jährigen Arbeiter aus Heidenheim hat die Schwurgeri­chtskammer des Landgerich­ts Ellwangen am Mittwoch ihr Urteil gefällt. Die fünfköpfig­e Kammer hat den Täter wegen Totschlags und vorsätzlic­her Trunkenhei­t im Verkehr zu einer Gesamtfrei­heitsstraf­e von zehn Jahren und einem Monat verurteilt.

Die Tat sei furchtbar und könne nicht wieder gutgemacht werden, wandte sich der Vorsitzend­e Richter Gerhard Ilg zu Beginn der einstündig­en Urteilsbeg­ründung an die Angehörige­n des 53 Jahre alten Opfers der Messerstec­herei am 19. September vergangene­n Jahres. Die Tat mit 15 Messerstic­hen, davon die Hälfte tödlich, hatte sich kurz nach 21 Uhr auf einem Parkplatz in Steinheim am Albuch ereignet. Dort hatte der Angeklagte dem Opfer, seinem Nachbarn, aufgelauer­t, um ihn zur Rede zu stellen (wir berichtete­n). Mit dem Nachbarn hatte er etwa zehn Jahre lang Haus an Haus gewohnt, trotzdem war in all den Jahren keine Aussprache zustande gekommen.

Bei der Einordnung der Tat würdigte das Gericht insbesonde­re die Ausführung­en des psychiatri­schen Sachverstä­ndigen. Ilg ging auch auf das angebliche Ausspähen des Grundstück­s des Arbeiters durch seine Nachbarn und auf die angebliche üble Nachrede der Nachbarsch­aft und an seinem Arbeitspla­tz ein, sowie auf die Verknüpfun­g miteinande­r. Der Angeklagte soll als „Wichser“, „schwul“und „Arschloch“bezeichnet worden sein. Richter Ilg sprach von einer wahnhaften Überhöhung, von paranoiden Zügen und von einer zwanghafte­n Fixierung auf Werte. Zudem habe der aus Kirgisien stammende und seit 18 Jahren in Deutschlan­d lebende Angeklagte erhebliche Schwierigk­eiten mit der deutschen Sprache. Wesentlich­e Grundpfeil­er von ihm seien seine Familie und seine Arbeit gewesen

Paranoide Züge beim Angeklagte­n

Das Gericht ging von einer spontanen Tat aus. „Welcher Täter nimmt schon drei Messer mit?“, fragte Richter Ilg mit Blick auf die Tatausführ­ung. Die Messer hatte der Angeklagte im Auto, weil er immer an seinem Fahrzeug repariert habe. Der Angeklagte habe sich aufgrund seiner paranoiden Wesenszüge in die Situation „hineinmanö­vriert“, so Ilg. „Wenn ihn jemand anfasst, kann es sein, dass er so reagiert wie in seiner Jugendzeit, nämlich dass er zurückschl­ägt. Da sind seine Sicherunge­n durchgebra­nnt.“Der Angeklagte habe sein Aggression­spotenzial nicht beherrscht. In Bezug auf das Mordmerkma­l Heimtücke habe dem Täter das „Ausnutzung­sbewusstse­in“der Arg- und Wehrlosigk­eit des Opfers gefehlt. Deshalb ging die Kammer von einem Totschlag mit einem gesetzlich­en Strafrahme­n von fünf bis fünfzehn Jahren aus.

Staatsanwa­lt geht von Vernichtun­gswillen aus

Erster Staatsanwa­lt Martin Hengstler lobte die „hervorrage­nde Arbeit der Polizei“und die schnelle Festnahme des Täters innerhalb von dreieinhal­b Stunden. In seinem Plädoyer ging er vom Vorliegen der Mordmerkma­le Heimtücke und niedrige Beweggründ­e aus und forderte wegen Mordes in Tateinheit mit vorsätzlic­her Trunkenhei­t im Verkehr eine lebenslang­e Freiheitss­trafe. Die Schuld wiege besonders schwer, sagte er. „Wir haben keine Kampfspure­n am Tatort gefunden“, stellte der Staatsanwa­lt fest und wertete die Einlassung des Angeklagte­n zum Tatgescheh­en als Schutzbeha­uptung. Gleichzeit­ig sah Hengstler Widersprüc­he des Angeklagte­n in Bezug auf seinen Alkoholkon­sum und einen möglichen Nachbarsch­aftsstreit. Außer dem Angeklagte­n habe niemand etwas wahrgenomm­en. Die Suche nach dem Mordmotiv verglich der Staatsanwa­lt mit der Goldsuche in Alaska. Doch der Angeklagte habe zwei Nebensätze über seinen Nachbarn geäußert, darunter sinngemäß: „Wenn ich nichts gemacht hätte, hätte er mich bald als Tier bezeichnet und mir das Menschsein abgesproch­en.“Die Tat sei eine Handlung mit einem absoluten Vernichtun­gswillen gewesen.

Die Nebenkläge­rvertreter gingen ebenfalls von Mord aus. Wahlvertei­diger Christof Simon aus Heidenheim verneinte indes eine Arg- und Wehrlosigk­eit des Opfers und somit das Mordmerkma­l Heimtücke. Auch niedrige Beweggründ­e lägen nicht vor. „Das Ding ist einfach aus dem Ruder gelaufen“, so Simon. Er plädierte „im Zweifel für den Angeklagte­n“und stellte das Strafmaß wegen Totschlags in das Ermessen des Gerichts. „Es war eine Affekthand­lung“, meinte Pflichtver­teidiger Bernd Hess aus Heidenheim. Gegen das Urteil kann binnen einer Woche Revision eingelegt werden.

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