Warum eine alte Bibel dem Feuer entging
Forschungsprojekt zu einem Buch von 1521 aus der Überlinger Leopold-Sophien-Bibliothek
ÜBERLINGEN - Bibliotheken erweisen sich oft als Horte ungehobener Schätze. Auch die bedeutende Leopold-Sophien-Bibliothek (LSB) in Überlingen mit über 50 000 Bänden gehört dazu. Dass sie mit einer hebräischen Bomberg-Bibel von 1521 aus Venedig ein kostbares Druckwerk besaß, war Eingeweihten schon lange bewusst. Aber jetzt rückt dieser Band erstmals ins Licht. Handschriftliche Anmerkungen legen nahe, dass man es hier mit einem Zeugnis aus jener bewegten Umbruchzeit zu tun hat, als reformatorischer Eifer, erbitterte katholische Gegenwehr, wissenschaftliches Interesse, humanistische Toleranz und antisemitischer Furor für ein brisantes Klima sorgten.
Was der Besitz einer Bomberg-Bibel bedeuten kann, macht eine Meldung von 2015 klar. Damals brach ein Talmud von 1519 aus der berühmten Druckerei des in Venedig heimisch gewordenen gebürtigen Flamen Daniel Bomberg – eines Christen – bei Sotheby’s mit 8,5 Millionen Euro den Weltrekord für Judaica. Nun handelte es sich dabei um ein Konvolut von acht prachtvollen Bänden. Dagegen nimmt sich das LSB-Exemplar eher unscheinbar aus. Aber man weiß es ja: Bücher haben ihre Geschichte – und diese ist durchaus interessant.
Durch die Reformation war einiges angestoßen worden auf dem Feld der Bibelübersetzungen – Übermittlung des Heilsgeschehens in der Muttersprache galt als das Gebot der Stunde. Dabei spielten die hebräischen Ausgaben eine große Rolle, weil sie – anders als die vorliegenden lateinischen Übertragungen wie zum Beispiel die „Vulgata“– den Urtext spiegelten. Allerdings hatte man es – vereinfacht dargestellt – mit zwei verschiedenen Lesarten zu tun: Es gab hebräische Bibeln für Juden, aber auch für Christen. So benutzte etwa Martin Luther für seine Übersetzung unter Mitwirkung von Philipp Melanchthon eine Ausgabe des übrigens dem alten Glauben treu bleibenden Erasmus von Rotterdam. Die Bibeln für Juden aber galten als ketzerisches Blendwerk, das es auszumerzen galt – was der antisemitischen Grundströmung der Zeit entgegenkam.
Ein Inquisitor als Retter
Auch die Bomberg-Bibel aus der LSB war für Juden gedruckt. Und ausgerechnet dieses Exemplar ist nun nachweislich mit Anmerkungen von christlicher Seite versehen – geschrieben in einer schwer entzifferbaren Mischung von Hebräisch, Lateinisch und Griechisch in winziger Schrift. Ein Hinweis an prominenter Stelle in der Ich-Form besagt, dass ein gewisser H… Lytholacertus sie von einem Kaspar Schatzger 1523 „zum Gebrauch“überreicht bekam. Dieser Schatzgeyer, abgekürzt Schatzger, war ein aus Landshut stammender Mönch und Theologe, der um 1520 bis zum Minister der oberdeutschen Franziskanerprovinz und später zum Inquisitor aufstieg. In dieser Eigenschaft hatte er gegen Ordensangehörige vorzugehen, die sich der Reformation zuwandten. Und es gehörte zu seinen Pflichten, häretische Schriften – zum Beispiel hebräische Bibeln – verbrennen zu lassen.
Warum blieb dann die BombergBibel erhalten? Eine Erklärung bietet sich an: Schatzger hatte ursprünglich mit Luthers Ideen sympathisiert und gilt heute als eher gemäßigter Vertreter der Gegenreformation. Und wie eine handschriftliche Anordnung beweist, bewahrte er auch in Mainz eine hebräische Bibel vor der Zerstörung. Hinter diesem H… Lytholacertus aber könnte sich ein bekannter Augsburger Drucker namens Heinrich Steiner verbergen – gemischt griechisch-lateinische Übersetzungen deutscher Namen (lythos = Stein) waren bei den Humanisten üblich. Da die Notiz dieses Lytholacertus und die vielen Anmerkungen im Buch nicht von derselben Hand geschrieben sind, Schatzger aber kaum Hebräisch beherrschte, kommt zwangsläufig eine dritte Person ins Spiel.
Mit Schatzger lange Zeit befreundet war der Franziskaner Konrad Pellikan. Dieser Elsässer Mönch hatte sich als Theologe und HebräischLehrer einen Namen gemacht, wandte sich aber nach 1523 der Reformation zu. Anders als sein Freund Erasmus wurde er zunächst an die nun protestantische Universität Basel berufen und ging später nach Zürich. Möglich ist nun, dass er zuvor noch mit Schatzger die Herausgabe einer vollständigen hebräischen Bibel geplant hatte und diese bei Steiner in Augsburg gedruckt werden sollte. Nach Pellikans Austritt aus dem Orden 1523 aber war das Projekt gestorben. Erst 1534 gab es eine solche erste Ausgabe nördlich der Alpen, besorgt von Sebastian Münster, dem Pellikan einst Hebräisch-Unterricht gegeben hatte. Auch er war Franziskaner, auch er konvertierte zum Luthertum – und den Älteren unter uns ist er noch ein Begriff: Einst prangte sein Konterfei auf dem 1000-Mark-Schein.
Noch haben wir es hier mit Hypothesen zu tun. Viel wird von den Ergebnissen eines Forschungsprojektes abhängen, das unter Hinzuziehung von Spezialisten bis 2021 beendet sein soll. Aber eines ist schon klar: Was gestern von einem Trio – OB Jan Zeitler, Kulturreferent Michael Brunner und Bibliothekarin Claudia Vogel – im schönen spätgotischen Überlinger Ratssaal präsentiert wurde, war wieder einmal ein beredter Beweis, wie Vorgänge vor just 400 Jahren die grauen Zellen in Schwung bringen.
Und von wegen brisante Umbruchzeit: Momentan ist es auch nicht gerade ruhig um uns herum.