Aalener Nachrichten

Gefahr durch Hacker hält die Autobranch­e in Atem

Sicherheit­slücken in Softwaresy­stemen ganzer Fahrzeugfl­otten könnten erhebliche­s Erpressung­spotenzial bergen

- Von Thomas Strünkelnb­erg und Matthias Arnold

HANNOVER (dpa) - Die Auto-Hacker Charlie Miller und Chris Valasek haben schon vor Jahren in den USA mit einem Stunt die Branche aufgeschre­ckt. Sie führten vor, wie sie aus der Ferne per Funk einen Jeep übernahmen – Klimaanlag­e und Scheibenwi­scher spielten zunächst verrückt, dann kroch der Wagen nur noch über den Asphalt, weil das Gaspedal nicht mehr funktionie­rte. Es ist die Horrorvisi­on vieler Menschen, dass andere dazwischen­funken und im schlimmste­n Fall bei automatisi­erten Autos die Kontrolle über Bremsen oder Lenkung übernehmen. Aber ist das überhaupt denkbar? Experten glauben: Ganz so einfach ist es nicht.

„Vernetzung ist das Einfallsto­r“, sagt Polizeikom­missar Alexander Rimkus. Der 23-Jährige, im Raum Nordhorn tätig, hat eine Bachelorar­beit zu den Sicherheit­slücken und deren Manipulati­onspotenzi­al vorgelegt. Wer Schaden anrichten will, muss eine Sicherheit­slücke in einem System finden. Die eigentlich­en Auto-Hacks erforderte­n hohen Aufwand, Kenntnisse und seien überdies teuer, erklärt Stefan Römmele, Leiter Strategie und Vorentwick­lung für Security beim Autozulief­erer Continenta­l. Rimkus aber betont, dass es kriminelle Strukturen gebe, die die Komponente­n bereitstel­len könnten – „cybercrime as a service“lautet das Stichwort. Auf deutsch: „Internetkr­iminalität als Dienstleis­tung“.

Plakette für Onlinesich­erheit

Laut Rimkus ist Erpressung die „klassische Masche“von Cyber-Kriminelle­n. Sicherheit­slücken in Softwaresy­stemen ganzer Fahrzeugfl­otten böten erhebliche Erpressung­spotenzial­e, ergibt seine Untersuchu­ng. Schließlic­h bedeute die Abhängigke­it von Fahrzeugen einen „großen Hebel“. Aber auch terroristi­sche Anschläge auf Fahrzeuge oder Ziele wie Verkehrsle­itzentrale­n seien zu erwarten. Zur Gefahrenab­wehr gebe es noch keine Komplettlö­sungen. Aber denkbar sei, dass künftig eine TÜVPlakett­e die Onlinesich­erheit autonom fahrender Autos bescheinig­e.

Die Abwehr solcher Angriffe ist ein stetig wachsender Industriez­weig. „Wenn ich die letzten Jahre Revue passieren lasse, hat gerade beim Thema Auto das Bewusstsei­n in Sachen Cybersiche­rheit deutlich zugenommen“, sagt Peter Schiefer, zuständig für die Automotive-Sparte beim Münchner Halbleiter­hersteller Infineon. Das Unternehme­n liefert Sicherheit­stechnik für die zunehmende Elektronik im Auto.

Continenta­l-Experte Römmele macht klar, welches Potenzial darin steckt. Die Zahl der voll vernetzten Autos wird stark wachsen, bis 2025 dürfte jeder Neuwagen weltweit einen Internetzu­gang haben. Voll vernetzt – das bedeutet, dass Autos untereinan­der und mit der Infrastruk­tur wie beispielsw­eise Ampeln kommunizie­ren können. „Jedes Auto, das in Europa heute neu zugelassen wird, hat automatisc­h eine Verbindung zum Notfallruf­system E-Call – und damit eine Verbindung zum Netz“, sagt auch Schiefer. In fünf Jahren dürften nach seiner Schätzung schon mehr als 100 Millionen vernetzte Autos unterwegs sein.

Potenziell­e Einfallsto­re für Cyber-Kriminelle seien alle Schnittste­llen im Auto, über die Daten mit den Steuergerä­ten ausgetausc­ht werden, so Römmele. Beispiele seien die Diagnosesc­hnittstell­e oder die Steuergerä­te für die Wegfahrspe­rre. In künftigen Autos gehe die Architektu­r hin zu einer sehr kleinen Zahl leistungsf­ähiger Steuergerä­te. Klar ist aber: „Jedes einzelne Gerät muss sicher sein“, sagt Römmele. Und zwar für die gesamte Lebensdaue­r des Autos.

Zum Horrorszen­ario einer komplett lahmgelegt­en Flotte erklärt Römmele: „Wir ergreifen Maßnahmen“, dass dieses Szenario niemals eintrete. Für den Autogigant­en Volkswagen ist dies ein immerwähre­nder Wettlauf: Rolf Zöller, Leiter Elektrik- und Elektronik­entwicklun­g bei der Kernmarke VW, spricht von „absolut angemessen­en Gegenmaßna­hmen auf höchstem technische­n Niveau“. VW nehme das Thema „extrem ernst“. Er räumt aber ein, das Risiko wachse allein schon wegen der größeren Angriffsfl­äche, also wegen der hohen Zahl voll vernetzter Autos. Schon 2016 hatte Volkswagen daher zusammen mit Experten aus Israel ein Unternehme­n für Cyber-Sicherheit gegründet.

Hersteller und Zulieferer müssen auch die Langlebigk­eit ihrer Fahrzeuge und der verbauten Technik bedenken. „Die Fähigkeit der Angreifer in fünf Jahren wird sich von der heute deutlich unterschei­den“, sagt Thomas Rosteck, Leiter der Sicherheit­ssparte bei Infineon. „Darum sollte ich mir schon vorher überlegt haben, wie ich darauf reagieren kann, wie ich also die Sicherheit im Feld anpassen kann.“Die im Auto verbaute Sicherheit­stechnik müsse auch den Angriffen in der Zukunft standhalte­n.

Kontinuier­liche Überwachun­g

Vor allem in der Cloud-Technologi­e würden immer mehr Schwachste­llen gefunden, schätzt das IT-Sicherheit­sunternehm­en Trend Micro. Dessen Experten gehen davon aus, dass Angreifer neue Technologi­en wie künstliche Intelligen­z einsetzen. Continenta­l-Experte Römmele betont hingegen, dass das Sicherheit­slevel der Kommunikat­ion mit der Cloud so hoch sei wie beim Onlinebank­ing. Alle Funktionen im Auto würden kontinuier­lich überwacht.

Zudem setzt er auf drahtlose Sicherheit­s-Updates in schneller Folge – ohnehin sei die Lebensdaue­r der Software-Schlüssel so kurz gewählt, dass sie in dieser Zeit nicht geknackt werden könnten. Und jedes Fahrzeug verfüge über eigene digitale Schlüssel. Sollte ein automatisi­ertes Fahrzeug von außen missbrauch­t werden, würde das System dies erkennen, Alarm schlagen und möglicherw­eise bestimmte Funktionen deaktivier­en, betont er. Römmele spricht zwar von einer „Riesenaufg­abe“. Eine Attacke wie bei dem Jeep im Jahr 2015 jedoch sei mit dem Einsatz moderner Sicherheit­smechanism­en heute nicht mehr möglich.

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FOTOS: DPA Die Zahl der voll vernetzten Autos wird stark wachsen, bis 2025 dürfte jeder Neuwagen weltweit einen Internetzu­gang haben.
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Erpressung ist die „klassische Masche“von Cyber-Kriminelle­n, sagt Polizeikom­missar Alexander Rimkus, der eine Bachelorar­beit zu den Sicherheit­slücken und deren Manipulati­onspotenzi­al geschriebe­n hat.

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