Grüne zwischen Euphorie und Ungewissheit
Parteispitze fordert bei Parteitag Einsatz im Wahlkampf – Keine Festlegung auf Kommissionspräsidenten
BERLIN - Umfragewerte top, Stimmung euphorisch – der Europawahlparteitag der Grünen am Wochenende in Berlin wirkte wie eine vorgezogene Wahlparty. Parteichefin Annalena Baerbock scheint aber Restzweifel zu haben, ob am Sonntag alles so kommt wie erhofft. Den Delegierten rief sie zu: „Wir müssen Stimmungen in Stimmen umsetzen.“
Schon oft standen die Grünen in Umfragen gut da, bevor sie am Wahlabend eine Enttäuschung erlebten. Derzeit werden Werte von bis zu 19 Prozent bei der Europawahl vorhergesagt. Das wäre fast eine Verdopplung gegenüber den 10,7 Prozent von 2014. „Es reicht aber nicht, wenn die Leute uns gut finden“, sagte Spitzenkandidatin Ska Keller. „Wir müssen auch das Runde ins Eckige kriegen.“Mit den wichtigsten Grünen-Forderungen – mehr Anstrengung fürs Weltklima, Bekämpfung der Steuerflucht – scheint die Partei den Nerv vieler Wähler zu treffen. Eine wichtige Frage lässt die Ökopartei bisher unbeantwortet: Wem würden die Grünen zum Amt des Kommissionspräsidenten verhelfen? Auch der langjährige Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer will sich nicht festlegen. „Wir werden zuerst schauen, mit wem wir grüne Inhalte durchsetzen können, bevor wir uns in einem weiteren Schritt personell festlegen“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“.
Die brandenburgische GrünenChefin Petra Budke betonte ebenfalls, dass sie keinen Favoriten habe. Zwar wünsche sie sich eine Frau als Nachfolgerin des Christdemokraten Jean-Claude Juncker an der Spitze der EU-Kommission – und nannte außer der grünen Spitzenkandidatin Keller, die aber wohl chancenlos ist, auch die liberale Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. „Doch mit ihr ließen sich zum Beispiel unsere Forderungen nach Mindestlöhnen für ganz Europa und nach einem gemeinsamen Vorgehen gegen die Jugendarbeitslosigkeit kaum umsetzen“, sagte Budke der „Schwäbischen Zeitung“.
Aber wenn nicht Vestager, wer soll’s dann werden – der Konservative Manfred Weber, der Sozialdemokrat Frans Timmermans? Führende Grüne schließen nichts aus.