„Größe ist ein ganz wichtiges Thema“
Rolls-Royce-Power-Systems-Chef Andreas Schell über die Nationale Maritime Konferenz und globalen Wettbewerb
RAVENSBURG - Trotz jahrzehntelanger Konkurrenz von Schiffbauern aus Südkorea und Reedern aus China ist die maritime Wirtschaft in Deutschland noch immer eine Milliardenbranche. Dabei hat vor allem die Zulieferindustrie ihre Heimat nicht an Nord- und Ostsee, sondern in Baden-Württemberg und Bayern. Der größte Zulieferer, der Motorenbauer Rolls-Royce Power Systems (RRPS), hat seinen Sitz in Friedrichshafen am Bodensee, wo sich am Mittwoch und Donnerstag die Nationale Maritime Konferenz trifft. Benjamin Wagener hat RRPS-Chef Andreas Schell gesprochen und ihn gefragt, was von der Zusammenkunft zu erwarten ist.
Herr Schell, die maritime Industrie verortet man in Deutschland üblicherweise vor allem an Nord- und Ostsee. Nun treffen sich die Vertreter der Branche am Bodensee. Was ist der Grund?
Die Zulieferer der maritimen Branche generieren 42 Prozent ihres Umsatzes in Baden-Württemberg und Bayern. Deshalb gibt es ein großes Interesse daran, die politischen Vertreter im Süden zusammenzubringen. Das war auch mir persönlich ein großes Anliegen. Für uns als Region ist es sehr wichtig, solch ein renommiertes Treffen von Politik und Wirtschaft auch einmal an den Bodensee zu holen. Wir wollen uns präsentieren als bedeutenden Wirtschaftsstandort für die maritime Industrie.
Vor allem die Zulieferer der Branche kommen aus Baden-Württemberg und Bayern. Was liefern die im Süden beheimateten Firmen?
Hier ist ganz besonders die Antriebstechnologie zu nennen. Da haben wir hier in Baden-Württemberg mit ZF und RRPS zwei bedeutende Vertreter. Daneben gibt es unter anderem beispielsweise Elektrik- oder Elektronikhersteller, die in der maritimen Industrie als Zulieferer auftreten.
RRPS ist der größte deutsche Zulieferer für die maritime Industrie. Wie hoch ist der Umsatz mit Produkten für die Branche?
Wir haben 2018 rund 1,1 Milliarden Euro umgesetzt mit Produkten für die maritime Industrie. Das sind 45 Prozent des in Baden-Württemberg generierten Gesamtumsatzes dieser Branche. Das ist schon eine große Nummer – und rund ein Drittel unseres Gesamtumsatzes.
Wer sind die Kunden? Werften und Schiffsbauer oder Reeder?
Wir verkaufen natürlich an Schiffsbauer und Werften. Bei Jachten, also Luxusobjekten, entscheidet der Kunde, der das Schiff kauft, stark mit. Der Endkunde ist also in die Verkaufsgespräche involviert. Im Behördengeschäft gibt es öffentliche Ausschreibungen, an denen man oft über Konsortien teilnimmt. Es gibt aber auch Beispiele wie bei Hafenschleppern. Da verhandelt man mit den späteren Betreibern, die die Motoren für ihre Flotten ordern.
Kommen Ihre Kunden aus dem Inland oder aus dem Ausland?
Wir verkaufen in alle Regionen der Welt. In den USA sind wir immens stark im Bereich Sportfischerboote und Jachten, aber auch in der Küstenund Binnenschifffahrt. Europa ist nach wie vor unser stärkster Marinemarkt, dort sind wir in allen Bereichen tätig. In Asien sind Schnellfähren ein großes Thema für uns. Unsere norwegische Tochter baut vor allem Motoren für Schiffe, die Offshore-Plattformen versorgen, also Ölbohrinseln, Lachsfarmen oder Windparks.
Viele Schiffstypen, die Sie ausstatten, fahren vor allem in küstennahen Gewässern, wo die Abgasvorgaben immer strenger werden. Wie können Sie diese Vorgaben einhalten?
Wir haben uns im maritimen Sektor an die Spitze des Themas Abgasnachbehandlung gesetzt. Wir versuchen, den Kunden immer eine Lösung anzubieten, die den Betrieb der Motoren in sensitiven Umgebungen ermöglicht.
Was ist der Schiffsantrieb der Zukunft – Diesel, Gas oder Elektro? Oder sind es Hybridlösungen?
Wir müssen uns als Industrie in der Antriebstechnik auf eine Vielzahl von Systemen einstellen. Da wird auch der Diesel in der Zukunft weiterhin eine Rolle spielen. Aber ich betone: ein sauberer Diesel mit einer modernen Abgasnachbehandlung, der alle Emissionsrichtlinien erfüllt. Dann wird es alternative Kraftstoffe geben, da ist an erster Stelle Gas zu nennen. Wir haben jetzt 8- und 16Zylinder-Gasmotoren, die auch für den Einsatz im Wattenmeer geeignet sind und bald auch auf dem Bodensee eine Fähre antreiben. Zudem wird es auch in der maritimen Industrie einen Raum für hybride Antriebe geben, bei der ich weniger Kraftstoff verbrauche, weil ein Teil der Antriebsleistung aus einer zuvor intelligent geladenen Batterie kommt.
RRPS arbeitet am Projekt „Methquest“, bei dem methanbasierte Kraftstoffe aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden sollen. Wie funktioniert das und wie umweltfreundlich wäre die Technik?
Da geht es um synthetisch generierte Kraftstoffe. Ich nutze einen elektrochemischen Prozess und produziere mit Strom synthetisches Gas. Bei der Gasverbrennung, die mein Schiff antreibt, entsteht zwar wieder Kohlendioxid, aber bei der Herstellung dieses Gases hat man der Umwelt Kohlendioxid entzogen, sodass der Prozess im gesamten Kreislauf insgesamt klimaneutral ist. Die elektrische Energie kann aus erneuerbaren Quellen wie Sonne oder Wind stammen.
Klingt gut, funktioniert das auch?
Ja, das funktioniert. Aber es liegt noch viel Arbeit vor uns, das Projekt ist in einem Vorentwicklungsstadium. Wir sind noch lange nicht in der Serienproduktion, aber das Bundeswirtschaftsministerium vertraut der Technologie so sehr, dass es ein Forschungsprojekt finanziert. Wir haben bei dem Projekt die Gesamkoordination übernommen.
Werften und Reeder aus Asien setzen die deutsche maritime Wirtschaft seit Jahrzehnten unter Druck. Wie schlagkräftig sind die Unternehmen noch? Ist der Schiffbau und die Schiffbauindustrie in Deutschland und Europa dem Untergang geweiht?
Man muss hier einmal die Größe der maritimen Wirtschaft benennen: Wir reden hier von einem Wirtschaftszweig, der in Deutschland im Jahr einen Umsatz von 50 Milliarden Euro macht und an der direkt und indirekt 400 000 Arbeitsplätze hängen. Die Branche ist nicht so oft im Rampenlicht wie die Automobilindustrie oder die Luft- und Raumfahrt, aber sie ist eine sehr bedeutende Branche. Wir brauchen natürlich attraktive Bedingungen hier am Standort Deutschland und aus diesem Grund führt die Nationale Maritime Konferenz ja auch den Dialog mit der Politik.
Was erhoffen Sie sich von der Konferenz in dieser Woche?
Wir sprechen nicht umsonst von der maritimen Energiewende. Dafür braucht es Ingenieurstechnik und Spitzentechnologie – und da ist ein Land wie Deutschland noch immer führend. Wir sind ja in keiner schlechten Position: Wenn man Spitzentechnologie in der Antriebstechnik weltweit sucht, kommt man noch immer zu Unternehmen wie RRPS. Das gilt auch für andere Bereiche – wie Spezialschiffbau oder die großen Kreuzfahrtschiffe, die weiterhin in Norddeutschland hergestellt werden. Es ist nicht so, dass wir nicht wettbewerbsfähig sind. Natürlich ist es für uns schwierig, in Bereichen zu konkurrieren, in denen wir uns kaum von Wettbewerbern aus Asien absetzen. Aber die maritime Energiewende offeriert uns Chancen und Möglichkeiten, die wir nutzen müssen.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat gerade seine Industriestrategie vorgestellt – unter anderem will er Wettbewerber in Europa zusammenschließen, um sie für den Kampf gegen die Konkurrenz in Fernost zu wappnen. Könnte das der maritimen Industrie in Deutschland helfen?
Es ist sehr wichtig, dass wir in Europa wettbewerbsfähige Unternehmen haben. Dazu gehört die Differenzierung über Spitzentechnologie. Aber um heute im globalen Kontext erfolgreich zu sein, ist auch das Thema Größe ein ganz wichtiges. Und hier muss Europa lernen, seinen Platz in der globalen Weltordnung zu definieren und einzunehmen.