Zombies an der Croisette
Terrence Malick zeigt bei den Filmfestspielen in Cannes den Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstetter als sturen Gewissenstäter
CANNES - Für einen ersten Höhepunkt in Cannes sorgte am Wochenende Terrence Malick mit seinem Film „Ein verborgenes Leben“. Ansonsten scheint das Filmfestival sein durchgängiges Thema gefunden zu haben: Zombies, Untote bevölkern die Leinwand, wobei besonders die Filme von Bertrand Bonello und Mati Diop im Gedächtnis bleiben.
Ein Mann geht seinen Weg. Davon hat das Kino schon oft erzählt. Aber diesmal ist es der Weg aufs Schafott. Der Deutsche August Diehl spielt diesen Mann, den widerständigen österreichischen Bauern Franz Jägerstetter, der 1943 in Berlin wegen Wehrkraftzersetzung hingerichtet und 2007 von der katholischen Kirche selig gesprochen wurde. „Ein verborgenes Leben“heißt der neue Film von Amerikas Regielegende Terrence Malick im Wettbewerb von Cannes. Er erzählt die Geschichte eines Mannes, der sterben will für seine Sache. Man kann den Franz Jägerstetter bewundern, man kann ihn aber auch verabscheuen, denn er lässt die Frauen seiner Familie allein zurück. Die meisten Zuschauer dürften sich schwer tun mit einer Annäherung an das Denken dieses Mannes, denn er sucht nicht, zweifelt nicht, er hat schon gefunden.
Malick, der Schöpfer so großartiger, in tausend Facetten schillernder Filmepen wie „Badlands“und „The Tree of Life“, für den er 2011 in Cannes die Goldene Palme gewann, hat einen überraschend eindeutigen, ja eindimensionalen Film gedreht. Er nähert sich seinem Helden nicht allzu psychologisch, er will nicht verständlich machen: In idyllischen Bildern, die von der Natur- und Bauernverklärung des Heimatfilms nicht weit entfernt sind, zeigt er das einfache Leben der Hauptfigur, mit Frau, Mutter, drei Töchtern. Er erzählt von dem Entschluss, den Eid auf den „Führer“zu verweigern, von dem er auch um den Preis des Todes nicht ablässt. Im Hintergrund läuft sanft die Matthäuspassion, es gibt kleine, feine Schauspieleinlagen vieler deutscher Darsteller auf der CannesLeinwand – besonders markant: der verstorbene Bruno Ganz. Aber der Film befremdet auch. Allzu fern bleibt uns der christliche Gewissenstäter, der manch heutigem Fundamentalisten zum Verwechseln ähnelt.
Untote als durchgängiges Motiv
Warum auch immer, aber es ist das Zombie-Motiv, das die ersten Festivaltage von Cannes diesmal entscheidend prägt, über alle Sektionen hinweg. Eröffnet wurde der Wettbewerb bereits mit Jim Jarmuschs Zombikomödie, und August Diehls immer etwas weltferne Jägerstetter-Figur wirkt wie ein schlafwandelnder Moral-Zombie, einer, der von einem vagen Trieb geleitet wird. Ähnlich die rächende Polizisten-Hauptfigur (Miles Teller) in Nicolas Winding Refns „Too Old to die Young“. Als eine Art US-Samurai schießt er alles über den Haufen, was sich nicht seiner reaktionären Moral fügt. Was man Refn lassen muss: Dieser Regisseur hat eine ganz spezifische unverwechselbare Ästhetik aus Voyeurismus und Fetischismus. Sein Kino ist ein Kino der Fantasien und des Fantastischen, das in seinen besten Szenen an David Lynch erinnert.
Auch die Figuren bei Jessica Hausner sind in gewissem Sinn zombifiziert. Die Österreicherin erzählt in „Little Joe“von der hochbegabten Naturwissenschaftlerin Alice (Emily Beecham), die in einem Labor genmanipulierte Pflanzen züchtet. Als die alleinerziehende Mutter ihrem begabten Zwölfjährigen eine dieser Pflanzen nach Hause mitbringt, löst sie eine Kettenreaktion aus: Die Pflanzen finden Wege, sich die Menschen Untertan zu machen, indem sie diese in roboterähnliche Sklaven ihrer Überlebensinteressen verwandeln.
Hausner hat in England gedreht, dennoch ist „Little Joe“ein durch und durch österreichischer Film geworden: Kalt, klug und gekünstelt, geprägt von einer aseptischen Ästhetik, die an einen Möchtegern-Haneke erinnert. Die schönsten Momente sind die exquisiten Kamerafahrten ins Nichts, die Hausners Stammkameramann Martin Gschlacht schon in ihrem Film „Hotel“, der 2006 in Cannes Premiere hatte, zur Perfektion führte.
Wirklich ernst nehmen das Thema Zombie zwei sehr unterschiedliche französische Filmemacher. Und sie zeigen auch, was Zombies tatsächlich mit der Gegenwart zu tun haben. Die Französin Mati Diop ist die vielleicht interessanteste Regisseurin im diesjährigen Wettbewerb. Als Schauspielerin wurde sie bekannt, ihre Kurzfilme waren ein Geheimtipp, ihr erster Langfilm landete gleich im Wettbewerb. Zunächst wirkt „Atlantique“wie die realistische Liebesgeschichte im Senegal zwischen Ada (Mama Sané) und Suleiman (Ibrahima Traoré). Eines Tages begibt sich der junge Mann auf die gefahrvolle Schiffsreise nach Europa. Und Ada soll verheiratet werden mit einem, den sie nicht liebt. Da hebt der Film ab, wird zu einer poetischen Traumreise im Trance-Tempo, erst recht, als klar wird, dass Suleiman tot ist. Doch nachts kann man am Atlantikufer den Toten begegnen, mit ihnen sogar eine Liebesnacht verbringen. Diops ist ein Filmmärchen geglückt, dass die große afrikanische Kulturtradition atmet.
Internatsgeschichte einmal anders
Von der erzählt auch Bertrand Bonello, der in seinen Film „Zombi Child“gleich mehrere Ebenen einspeist. Reale Zombie-Geschichten aus Haiti werden in einem Nebenstrang erzählt und mit der parallelen Haupt-Erzählebene verbunden. Diese spielt in der Gegenwart und erzählt von Fanny (Louise Labeque), Schülerin auf einer der edelsten Eliteschulen Frankreichs. Doch dieser Internatsfilm erweist sich als weitaus magischer als „Harry Potter“. Fanny leidet schwer an Liebeskummer und hat außerdem eine neue Freundin: Melissa (Wislanda Louimat), eine Überlebende des Erdbebens von Haiti und die einzige Schwarze auf der Schule. Und: Sie ist Enkelin eines Zombies, ihre in Paris lebende Tante eine sogenannte Mambo, die Fanny hilft, ihren Geliebten mit Zauber an sich zu binden.
Neben derartigen romantischen Passagen erzählt der Film viel von kolonialer Kultur. Insgesamt ein ganz wunderbarer Film, schwebend, modern und geprägt von Bonello-typischem Elektropop. Die Ähnlichkeiten zwischen Bonello und Diop sind frappierend: Die Sehnsucht junger Frauen, die Anrufung des verschwundenen Geliebten am Ende, und die utopischen Fantasien und Märchen des Südens in unseren Vorstellungen.