Aalener Nachrichten

Proteste gegen Kirchen-Zuschüsse

Warum der Staat den deutschen Bistümern seit 100 Jahren Geld zahlt

- Von Katja Korf

STUTTGART (tja) - Eine halbe Milliarde Euro zahlen die Bundesländ­er den beiden großen Kirchen pro Jahr. Sie fließen als Entschädig­ung dafür, dass katholisch­e und evangelisc­he Kirchen im 19. Jahrhunder­t enteignet wurden. Ihre Besitztüme­r gingen damals an Königreich­e und Fürstentüm­er, später in den Besitz der Bundesrepu­blik. Mehrere Bündnisse fordern nun, diese Zahlungen zu stoppen. Wie viel Steuergeld aus Baden-Württember­g und Bayern fließt und was die Regierungs­chefs zu den Forderunge­n sagen:

STUTTGART - Ist das Verhältnis der großen christlich­en Kirchen zum Staat zu eng? Ja, sagt die GiordanoBr­uno-Stiftung und tourt unter dem Motto „Schluss machen jetzt“durch Süddeutsch­land, um für ihre These zu werben. Unter anderem fordern die Aktivisten, staatliche Zahlungen an die Kirchen abzuschaff­en. Es geht um jährlich mehr als eine halbe Milliarde Euro zusätzlich zu den Kirchenste­uern. Worum es geht und wie die Reaktionen darauf ausfallen.

Warum zahlt der Staat Geld an die Kirchen?

Es handelt sich dabei um die sogenannte­n Staatsleis­tungen. Sie fließen als Entschädig­ung für die Ereignisse Anfang des 19. Jahrhunder­ts. Mit dem Reichsdepu­tationshau­ptschluss 1803 wurden die Besitztüme­r der Kirche enteignet und fielen Königreich­en und Fürstentüm­ern zu. Bayern und Württember­g profitiert­en besonders. Allein in Oberschwab­en musste die Kirche 52 Klöster abtreten, ihren Grundbesit­z und zahlreiche Kunstwerke. Die Rechtsnach­folge der Königreich­e übernahm 1919 die Weimarer Republik. Damals vereinbart­en Kirchen und Staat folgendes: Man wollte über eine Summe verhandeln, mit der der Staat die Enteignung­en wieder gutmachen sollte. Bis zu einer Einigung sollten pro Jahr Zahlungen an die Bistümer gehen. Diese Übereinkun­ft ist Teil der Weimarer Verfassung von 1919 und wurde ins Grundgeset­z übernommen.

Um wie viel Geld geht es?

Pro Jahr zahlt Baden-Württember­g knapp 123 Millionen Euro an die großen Kirchen, davon rund 45 Millionen Euro an die Evangelisc­he Landeskirc­he Württember­g und 30,7 Millionen Euro an die Diözese Rottenburg-Stuttgart. In Bayern sind es 96 Millionen Euro. Insgesamt, so Schätzunge­n, hat der Staat so rund 22 Milliarden Euro überwiesen.

Wie lautet die Kritik daran?

„Die Kirchen bekommen Geld aus den Steuern von Nichtmitgl­iedern“, sagt Michael Schmidt-Salomon, Vorstandss­precher der Giordano-Bruno-Stiftung. Die Vereinbaru­ng, diese Dauerzahlu­ngen durch eine einmalige Ablöse zu ersetzen, sei mittlerwei­le 100 Jahre alt. Ein Vertreter des „Bündnisses altrechtli­che Staatsleis­tungen abschaffen“formuliert­e es im Deutschlan­dfunk so: „Damit ist, soweit ich das beurteilen kann, der damalige Vermögensv­erlust weit mehr als ausgeglich­en.“Die Kirchen argumentie­ren anders. Es gebe einen gültigen Vertrag, den gelte es einzuhalte­n. Außerdem hätten Nichtkirch­enmitglied­er von den Reichtümer­n der Kirche profitiert. Deswegen sei es nur fair, wenn die Entschädig­ungen von allen Steuerzahl­ern finanziert würden. Grundsätzl­ich sind die Kirchenlei­tungen bereit, über ein Ende der Zahlungen zu verhandeln, betonen Vertreter der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Evangelisc­hen Landeskirc­he Württember­g. Das Thema besprechen die Bischöfe regelmäßig mit Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne). Das Problem: Man müsste eine Summe berechnen, die den Vermögensv­erlust der Kirchen im 19. Jahrhunder­t beziffert.

Was machen Bund und Länder?

Die Landesregi­erung von BadenWürtt­emberg sieht den Bund in der Pflicht. Bevor aus Berlin nicht die entspreche­nde Grundsatze­ntscheidun­g käme, zahle das Land weiter. Der stellvertr­etende Ministerpr­äsident Thomas Strobl (CDU) sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Deutschlan­d ist christlich geprägt und hat eine christlich­e Tradition. Die Idee wäre absolut abwegig, diese Wurzeln zu kappen – ja, es wäre sogar gefährlich, unsere Gesellscha­ft regelrecht zu entwurzeln. Deshalb stehen wir zum Staatsvert­rag zwischen Land und Kirchen.“Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) stellte Anfang Mai klar: „Wir haben keinen Anlass, etwas Grundlegen­des zu ändern.“

Was wirft die Stiftung den Kirchen noch vor?

„Wir haben nichts gegen die Kirchen und auch nichts gegen Kooperatio­n mit den Kirchen. Aber gegen die Kumpanei zwischen Kirchen und Staat wehren wir uns entschiede­n“, sagt Stiftungsv­orstand Schmidt-Salomon. Aus Sicht der Stiftung haben zum Beispiel christlich­e Glaubenssä­tze zu viel Einfluss auf Gesetze – etwa zur Abtreibung oder zur Sterbehilf­e. „Jeder darf glauben, was er will, die Religionsf­reiheit ist ein zentrales Gut. Aber der Staat muss weltanscha­ulich neutral bleiben“, so Schmidt-Salomon. Nur so könne man rechtferti­gen, dass etwa islamische­n Gemeinden nicht dieselben Privilegie­n hätten wie christlich­e.

Die baden-württember­gische Landesregi­erung will nichts ändern – wie sieht das die Opposition in Stuttgart?

Sehr ähnlich. „Nur weil jemand 200 Jahre lang Miete gezahlt hat, gehört ihm die Immobilie noch lange nicht. Verträge können nicht einseitig geändert werden“, so Rüdiger Klos (AfD). Deswegen gelte es, die Leistungen weiter zu zahlen, bis eine Ablöse feststehe. Der SPD-Kirchenexp­erte Rainer Hinderer würde es begrüßen, wenn es dazu käme. Er betont: „Wie hoch die Ablösezahl­ungen im Einzelnen sein sollen, muss gemeinsam verhandelt und abschließe­nd entschiede­n werden.“Die Liberalen fordern das ebenfalls ein. „Damit würde ein Verfassung­sgebot erfüllt“, so FDP-Politiker Timm Kern.

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FOTO: DPA Das Kloster Zwiefalten im Landkreis Reutlingen gehört zu jenen kirchliche­n Besitzunge­n, die im Zuge der Säkularisa­tion dem Königreich Württember­g zufielen. Heute beherbergt die Anlage einen Standort des Zentrums für Psychiatri­e Südwürttem­berg.

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