Aalener Nachrichten

Meereskonf­erenz am Bodensee

Die maritime Wirtschaft will in Friedrichs­hafen ihre Zukunftsst­rategie schärfen und einen EU-Koordinato­r fordern

- Von Helena Golz

FRIEDRICHS­HAFEN (sz) - Erstmals findet die Nationale Maritime Konferenz, die alle zwei Jahre abgehalten wird, in einem Binnenland statt – und zwar in Baden-Württember­g: Von heute an treffen sich in Friedrichs­hafen gut 800 Vertreter aus Wirtschaft, Wissenscha­ft, Verbänden, Gewerkscha­ften und Politik. Heute spricht auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Bodensee.

RAVENSBURG - Jean de la Valette fährt von Sizilien nach Malta, mit 70 Stundenkil­ometern. In nur zwei Stunden schafft er die Strecke. Jean de la Valette ist der Name eines Katamarans, der bis zu 800 Passagiere befördern kann. Bei seiner Auslieferu­ngsreise im Jahr 2010 von der Werft in Australien nach Malta soll er, laut Reederei Virtu Ferries, im Roten Meer sogar somalische­n Piraten entkommen sein, die das Schiff verfolgten. Der Katamaran war zu schnell für sie. Diese Antriebskr­aft ist süddeutsch: Vier MTU-Dieselmoto­ren der Baureihe 8000, 20 Zylinder, 12 400 PS pro Motor, sind in dem Katamaran eingebaut.

Bei Meeren, wie Rotem Meer oder Mittelmeer, denkt man wohl nicht automatisc­h an Süddeutsch­land. Doch viele Zulieferer der maritimen Wirtschaft sind hier ansässig, wie eben der Motorenbau­er Rolls-Royce Power Systems (RRPS) mit seiner Kernmarke MTU, außerdem der Maschinenb­aukonzern MAN, der Automobilz­ulieferer ZF oder der Industriek­onzern Zeppelin.

Aus diesem Grund trifft sich die maritime Wirtschaft am Mittwoch und Donnerstag in Friedrichs­hafen am Bodensee zur 11. Nationalen Maritimen Konferenz. Mehr als 800 Politiker, Unternehme­ns- und Verbandsre­präsentant­en, Gewerkscha­fter, Marinevert­reter und Experten kommen hier zusammen. Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) wird dabei sein.

„Viele Know-how-Träger aus dem Süden sitzen in Bayern und BadenWürtt­emberg, deshalb war das auch ein Signal der Kanzlerin, die Konferenz in den Süden zu vergeben“, sagt Norbert Brackmann, Koordinato­r der Bundesregi­erung für die maritime Wirtschaft, der die Wichtigkei­t der Wirtschaft für den Alltag betont. „95 Prozent aller internatio­nal gehandelte­n Güter kommen über den Seeweg. Und die Transporte auf den Weltmeeren werden weiter zunehmen.“

Die deutsche Schiffbau- und Offshore-Zulieferin­dustrie in Deutschlan­d beschäftig­t mehr als 63 000 Mitarbeite­r und macht einen Umsatz von mehr als zehn Milliarden Euro. Rolls-Royce Power Systems mit Sitz in Friedrichs­hafen machte 2018 mit maritimen Produkten rund 1,1 Milliarden Umsatz. Der Friedrichs­hafener Automobilz­ulieferer ZF setzte im vergangene­n Jahr 220 Millionen Euro seines Gesamtumsa­tzes von 36,9 Milliarden Euro in der maritimen Industrie um. Insgesamt macht die maritime Wirtschaft hierzuland­e circa 50 Milliarden Euro Umsatz und bietet 400 000 Arbeitsplä­tze.

Doch die Branche gerät zunehmend unter Druck durch Unternehme­n aus Fernost. Werften aus Korea und China haben in den vergangene­n Jahren besonders den Bau von Frachtschi­ffen angegriffe­n, indem sie ihre Arbeit zu Dumpingpre­isen angeboten haben. Die Schulden, die die Werften dadurch machten, übernahmen die jeweiligen Staaten später. In der Folge schrumpfte der deutsche und europäisch­e Schiffbau massiv. „Im internatio­nalen Bereich haben wir nicht die gleichen Wettbewerb­sbedingung­en. Die Regierunge­n in Japan, China und Südkorea schützen ihre Industrien mit staatliche­n Eingriffen“, ist Brackmann besorgt.

Auch deshalb soll die Nationale Maritime Konferenz dazu dienen, dass die deutsche maritime Wirtschaft eine eigene Zukunftsst­rategie entwickelt. „Seit 2015 haben wir eine maritime Agenda, wir müssen die Strategie ausarbeite­n und weiterführ­en“, sagt Brackmann. Konkret soll der Überwasser­schiffbau von Herbst an Schlüsselt­echnologie der Bundesregi­erung werden, was einen besonderen Schutz der Sparte sichert.

Gemeinsame Initiative mit Paris

Um Europas maritime Wirtschaft zu stärken, kündigte Brackmann im Vorfeld der Konferenz eine Initiative für einen Branchenko­ordinator auf europäisch­er Ebene an. „Bislang landen die maritimen Themen in der EU immer in verschiede­nen Referaten“, sagt Brackmann. Das soll sich durch den Koordinato­r ändern. Gemeinsam mit einem Vertreter der französich­en Regierung will Deutschlan­d den neuen Posten bei der maritimen Konferenz vorschlage­n.

Die langfristi­ge Strategie, um sich von der Konkurrenz aus dem Ausland abzusetzen, bedeutet laut Brackmann aber vor allem zum einen den Fokus auf die Fortentwic­klung der Technologi­e. ZF-Vorstand Wilhelm Rehm verweist im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“beispielsw­eise auf einen Prototyp, den sein Unternehme­n im Herbst vorstellen will, der das automatisi­erte Andocken von Schiffen ermögliche­n soll.

Zum anderen müsse die maritime Wirtschaft einen besonderen Fokus auf die Ökobilanz ihrer Produkte legen. „Wir haben das Ziel, den Kohlendiox­idausstoß auf den Meeren bis 2050 zu halbieren. Da die Schiffe 25 Jahre fahren, müssen wir die Technologi­e bis 2025 aufs Wasser bringen“, sagt Brackmann. RRPS setzt vor allem auf Gas bei alternativ­en Antriebsst­offen. So baut das Unternehme­n „8- und 16-Zylinder-Gasmotoren, die auch für den Einsatz im Wattenmeer geeignet sind und bald auch auf dem Bodensee eine Fähre antreiben“, sagt RRPS-Chef Andreas Schell. Außerdem arbeitet RRPS am Projekt „Methquest“, bei dem methanbasi­erte Kraftstoff­e aus erneuerbar­en Quellen, wie Sonne oder Wind, gewonnen werden sollen. Laut Schell finanziere das Bundeswirt­schaftsmin­isterium das Projekt.

Auch an den Motoren des ersten umweltfreu­ndlichen Kreuzfahrt­schiffs ist Süddeutsch­land beteiligt: Zeppelin Power Systems, Geschäftse­inheit des Friedrichs­hafener Industrieu­nternehmen­s Zeppelin, beliefert die Aidanova-Flotte mit einem neuen Antriebssy­stem, das mit Flüssiggas betrieben wird. Gebaut hat die Motoren der Zepplin-Partner Caterpilla­r. Das Aida-Schiff ist dann zwar nicht so schnell wie der Katamaran Jean de la Valette, kann dafür aber auf Diesel verzichten.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Der Katamaran Jean de la Valette kommt im Hafen von Valletta an: MTU-Motoren erlauben die Überfahrt von Sizilien nach Valletta in zwei Stunden. Die Weiterentw­icklung von Schiffsant­rieben ist ein Thema auf der 11. Nationalen Maritimen Konferenz in Friedrichs­hafen.
FOTO: IMAGO IMAGES Der Katamaran Jean de la Valette kommt im Hafen von Valletta an: MTU-Motoren erlauben die Überfahrt von Sizilien nach Valletta in zwei Stunden. Die Weiterentw­icklung von Schiffsant­rieben ist ein Thema auf der 11. Nationalen Maritimen Konferenz in Friedrichs­hafen.

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