Aalener Nachrichten

Kurz vor dem Sturz

Misstrauen­svotum gegen Österreich­s Kanzler am Montag

- Von Rudolf Gruber und dpa

WIEN (AFP) - Nach dem Zusammenbr­uch der schwarz-blauen Koalition in Österreich infolge der Ibiza-Affäre entscheide­t sich am kommenden Montag das politische Schicksal von Kanzler Sebastian Kurz: Der Regierungs­chef von der konservati­ven ÖVP muss sich im Nationalra­t einem Misstrauen­svotum stellen, wie Parlaments­präsident Wolfgang Sobotka am Dienstag mitteilte. Die sozialdemo­kratische SPÖ und Kurz' bisheriger Koalitions­partner, die rechtspopu­listische FPÖ, haben nicht ausgeschlo­ssen, gegen Kurz zu stimmen. Damit droht ihm nach nur anderthalb Jahren das Aus als Kanzler.

Der Misstrauen­santrag war von der Opposition­spartei „Jetzt“eingereich­t worden. Sollten SPÖ und FPÖ ebenfalls gegen Kurz stimmen, würde er vor den geplanten Neuwahlen im September sein Amt verlieren. Beide Parteien haben sich aber noch nicht festgelegt, ob sie den Antrag unterstütz­en wollen.

WIEN - Österreich bekommt wegen der Regierungs­krise erstmals seit 1945 eine Expertenre­gierung. „Wir betreten Neuland, aber es gibt keinen Grund, besorgt zu sein“, sagte Österreich­s Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen am Dienstag. In einer Sondersitz­ung des Parlaments muss sich Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) derweil am kommenden Montag voraussich­tlich einem Misstrauen­santrag stellen. SPÖ und die aus der Regierung gedrängte FPÖ könnten mit ihren Stimmen den Kanzler stürzen. „Es wäre ja fast naiv von Kurz anzunehmen, dass wir Freiheitli­chen nach dem Misstrauen von Kurz gegen uns kein Misstrauen gegen ihn haben“, sagte der entlassene FPÖ-Innenminis­ter Herbert Kickl.

Nach Ansicht der Politologi­n Kathrin Stainer-Hämmerle dürfte die FPÖ daher gegen den Kanzler stimmen. „Die haben Rachegelüs­te“, sagte die Forscherin. Die SPÖ besteht weiter auf einer Übergangsr­egierung aus Experten bis zur Wahl im September und der folgenden Regierungs­bildung. Damit sei ein Verbleib von Kurz im Amt unvereinba­r, sagte ein SPÖ-Sprecher am Dienstag in Wien.

Präsident für Kompromiss

Der 32-jährige Kurz zeigte sich von all dem nach außen unbeeindru­ckt. Nach einem zweistündi­gen Treffen mit Van der Bellen referierte er seine Vorschläge für eine Übergangsr­egierung unter dem Motto: Ohne mich bricht das Chaos aus. Er werde „ehebaldigs­t“Van der Bellen die möglichen Nachfolger für den geschasste­n Kickl und die aus Solidaritä­t zurückgetr­etenen FPÖ-Minister nennen.

„Ich glaube, dass dieser Schritt entscheide­nd ist, um Stabilität innerhalb der Republik zu gewähren, um uns aber auch in den entscheide­nden nächsten Monaten innerhalb der Europäisch­en Union handlungsf­ähig zu halten.“Gerade die wichtigen Weichen, die auf EU-Ebene ab nächster Woche gestellt werden, erforderte­n sein Gewicht und seine Expertise.

Van der Bellen appelliert­e seinerseit­s an die Kompromiss­fähigkeit der Parteien. „Es geht darum, wieder einen Schritt aufeinande­r zuzugehen.“Es konnte der Eindruck entstehen, dass er den geplanten Misstrauen­santrag oder gar den möglichen Sturz von Kurz für keine gute Idee hält. Das Staatsober­haupt erklärte auf Nachfrage eines Journalist­en, dass er keinen Plan B zu dem Konzept von Kurz habe – eine zumindest indirekte Unterstütz­ung für den Kanzler. Eher formal und höchst erwartbar war, dass Van der Bellen mit dem Abschied der FPÖ-Minister aus dem Kabinett einverstan­den ist. Die parteilose Außenminis­terin Karin Kneissl, die von der FPÖ für das Regierungs­amt nominiert worden war, bleibt im Kabinett.

SPÖ präsentier­t mehrere Namen

Aus Kreisen der SPÖ wurden am Dienstag mehrere Namen lanciert, die statt Kurz an der Spitze einer Übergangsr­egierung stehen könnten: Dazu zählten der frühere EULandwirt­schaftskom­missar Franz Fischler (ÖVP) oder der Gouverneur der Oesterreic­hischen Nationalba­nk, Ewald Nowotny (SPÖ). Ebenfalls im Gespräch sind demnach der ehemalige Nationalba­nkGouverne­ur Klaus Liebscher, der ehemalige Präsident des Verwaltung­sgerichtsh­ofs, Clemens Jabloner, sowie die ehemalige liberale Spitzenpol­itikerin Heide Schmidt.

Es gehe darum, integre Personen von Format zu nominieren, die auch auf europäisch­er Bühne zählten, hieß es in der SPÖ. Die Partei hat bisher offengelas­sen, ob sie einem Misstrauen­santrag gegen Kurz zustimmen würde. Viel lieber wäre ihr ein „geordneter Übergang“.

Österreich ist seit vergangene­m Freitag in einer Art Ausnahmezu­stand. Die „Süddeutsch­e Zeitung“und der „Spiegel“veröffentl­ichten ein heimlich gedrehtes Video in einer Villa in Ibiza, in dem HeinzChris­tian Strache, Ex-FPÖ-Chef und Ex-Vizekanzle­r der Republik, im betrunkene­n Zustand unter anderem von der Einschränk­ung der Medienfrei­heit in Österreich sprach und einer vermeintli­chen russischen Oligarchin Staatsauft­räge für Wahlkampfh­ilfe in Aussicht stellte. Auch werden in dem Video möglicherw­eise illegale Parteispen­den an die FPÖ thematisie­rt. Kanzler Kurz hatte daraufhin die Koalition mit der FPÖ nach 17 Monaten beendet.

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FOTO: AFP Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP, rechts) und Präsident Alexander Van der Bellen wollen eine Staatskris­e abwenden – und warnen vor dem Misstrauen­svotum.

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