Zetsche verlässt Daimler
Lob vom Experten für den scheidenden Konzernchef
RAVENSBURG (ben) - Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer stellt Dieter Zetsche zum Ende von dessen Amtszeit als Vorstandsvorsitzender bei Daimler ein gutes Zeugnis aus. „Ohne Zetsche gäbe es Daimler heute nicht mehr: Er hat den Konzern vor der Insolvenz gerettet“, sagte der Leiter des Instituts für Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen der „Schwäbischen Zeitung“. Dudenhöffer bezieht sich auf den Verkauf der hochdefizitären Chrysler-Gruppe zu Beginn von Zetsches Zeit als Vorstandschef. Seitdem habe der Manager den Konzern neu ausgerichtet, wieder auf die Produktion von Premiumfahrzeugen fokussiert und so die entscheidenden Weichen für die Zukunft gestellt.
Bei der Hauptversammlung des baden-württembergischen Traditionskonzerns übergibt der 66-Jährige den Chefposten heute in Berlin an seinen Entwicklungschef Ola Källenius.
RAVENSBURG/LEUTKIRCH - Chinas bekannte Nachrichtensprecherin Lily Lyu im schulterfreien Pailettenkleid. Dramatische Klänge eines 30köpfigen Orchesters. Durchtrainierte Männer, die mit einem Schwerttanz die Präsentation der runderneuerten S-Klasse eröffnen. Der Daimler-Chef tritt an die glänzenden Wagen heran. „Wir glauben, dass wir mit diesen Autos die Legende weiter schreiben können“, sagt Dieter Zetsche. Die Legende der S-Klasse, die wie kein zweites Auto für den Anspruch des baden-württembergischen Autokonzerns steht: Es geht um nichts weniger, als der weltweit führende Premiumhersteller zu sein.
Als Dieter Zetsche vor gut zwei Jahren im Expo-Center von Schanghai die Bühne betritt und fast zärtlich mit einer Hand über das schillernde Dach einer S-Klasse fährt, steht die Daimler AG da, wo sie dem eigenen Anspruch gemäß zu stehen hat: auf dem Gipfel. Kein Autobauer verkauft mehr Fahrzeuge im Premiumsegment als Daimler. Die Stuttgarter haben die Erzrivalen, BMW aus München und Audi aus Ingolstadt, in die Schranken verwiesen. Schon bei der Autoshow in Schanghai deutet sich an, dass der Konzern mit Stammsitz in Untertürkheim das Jahr 2017 mit neuen Rekorden bei Absatz, Umsatz und Gewinn würde abschließen können. Und auf den Gipfel geführt hat ihn nicht zuletzt der Mann, der die Führung nun abgibt: Dieter Zetsche.
Mit seiner klaren Konzentration auf den Bau von Premiumfahrzeugen hat der 66-Jährige den Konzern seit der Übernahme des Vorstandspostens im Jahr 2006 stabilisiert und zurück zum Erfolg geführt. Vor allem aber: Zetsche beendete das ChryslerAbenteuer seines Vorgängers Jürgen Schrempp, die überheblichen Träume von der Welt-AG, die das Unternehmen Milliarden gekostet hatten. Doch wenn der in Istanbul geborene und im Nordwesten Frankfurts aufgewachsene Manager seinen Posten nun an seinen Entwicklungschef Ola Källenius übergibt, scheidet er nicht auf dem Höhepunkt seines Erfolgs. Der lag in der Vergangenheit – irgendwann zwischen der Präsentation der S-Klasse auf der Bühne von Schanghai im April 2017 und der Präsentation der 2017er-Zahlen im Februar 2018.
Gewinneinbruch zum Abschluss
In den letzten Monaten seiner Zeit als Vorstandschef der Daimler AG musste Zetsche immer wieder Nachrichten verkünden, die so gar nicht zur Erfolgsbilanz des Mannes mit dem markanten Schnauzbart passen wollen. Da sind die Untersuchungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Manipulation von Abgasemissionen bei Dieselautos. Da sind die Ermittlungen der EU-Kommission gegen Daimler und andere Hersteller wegen möglicher illegaler Kartellabsprachen. Und da ist der überraschend hohe Gewinneinbruch im Geschäftsjahr 2018, in dem der Konzern bei einem stabilen Umsatz von 167,4 Milliarden mit 11,1 Milliarden Euro operativ 22 Prozent weniger verdiente als im Jahr zuvor.
Dennoch ist Zetsches Bilanz positiv. Für Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Instituts für Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen, ist das keine Frage. „Ohne Dieter Zetsche gäbe es Daimler heute nicht mehr: Er hat den Konzern vor der Insolvenz gerettet, den Stuss von Schrempp abgeräumt und den Marktführer im Premiumsegment geschaffen“, sagt Dudenhöffer der „Schwäbischen Zeitung“. „Natürlich kann man jetzt meckern und sagen, die Marge ist derzeit schlechter, der Diesel noch immer ein Thema, eigentlich müssten mehr Elektroautos von Daimler in den Autohäusern stehen – aber bitte, im Kontext sind das Peanuts.“
Peanuts im Vergleich zu den Trümmern der Welt-AG, die Dieter Zetsche in den Jahren zwischen 2000 und 2007 aufräumte. Fünf Jahre führte Zetsche den amerikanischen Autobauer Chrysler innerhalb der Daimler-Chrysler AG, die der damalige Daimler-ChryslerChef Schrempp 1998 als Fusion unter Gleichen in die Wege geleitet hatte. Doch die „Hochzeit im Himmel“, wie Schrempp damals formuliert hatte, endete im Desaster: Im Jahr 2000 musste Schrempp Zetsche, der bis dahin das schwierige Mercedes-Nutzfahrzeuggeschäft erfolgreich geleitet hatte, in die USA senden, um Chrysler auf Vordermann zu bringen. Chrysler war tief in die Verlustzone geraten.
Mit dem Sanierungsauftrag an Zetsche bewies Schrempp ein glückliches Händchen. Gemäß seiner Maxime, „Ich nehme jede Situation so, wie sie gegeben ist, und suche in ihr den Erfolg“, krempelte Zetsche Chrysler in kurzer Zeit so um, dass sich auch bei der völlig unzureichenden Produktivität schnell deutliche Fortschritte zeigten. Dass dies ohne allzu große Erschütterungen vonstatten ging, hat auch etwas mit der Persönlichkeit Zetsches zu tun. Sein unkomplizierter Umgang mit Kollegen kam, nach einem ersten Fremdeln, bei den Amerikanern gut an. Aus dieser Zeit stammen die Werbespots, in denen Zetsche als ulkiger „Dr. Z“auftrat, um die US-Kollegen mit Humor und Witz zu überzeugen, dass auch sie von der Fusion profitierten.
Seine Erfolge bei Chrysler waren es auch, die Dieter Zetsche im Wettbewerb um die Schrempp-Nachfolge die entscheidenden Vorteile gegenüber seinem Konkurrenten Eckhard Cordes einbrachten. Cordes, der im Vorstand für das Autogeschäft zuständig war, hatte sich bis dahin berechtigte Hoffnungen auf den Sprung nach ganz oben gemacht. Anfang 2006 übernahm aber Zetsche den Chefsessel.
Doch die Freude über die Genesung von Chrysler hielt nicht lange an. Es war nicht zuletzt der damals ungezügelten, geradezu ruinösen Rabattpolitik in der US-Automobilindustrie geschuldet, dass Chrysler 2006 wieder in die roten Zahlen rutschte. Im ersten Quartal 2007 setzte sich der Abwärtstrend, der Daimler mehr und mehr in seiner Substanz gefährdete, mit einem Verlust von knapp 1,5 Milliarden Euro weiter fort. Erste Gerüchte kamen auf, dass Zetsche eine Scheidung der Firmenehe zwischen Daimler und Chrysler vorbereitete. Und so kam es auch. Am 3. August 2007 übernahm der US-Finanzinvestor Cerberus 80,1 Prozent der Chrysler-Anteile. Nach Zetsches eigenen Angaben gelang dieser Coup fast in letzter Minute. Schon kurz darauf wäre wegen der Immobilien- und Finanzkrise in den USA diese Transaktion nicht mehr durchsetzbar gewesen. Die restlichen 19,9 Prozent blieben noch bis April 2009 bei Daimler.
Aber auch bei Daimler selbst hatte Zetsche gleich in den ersten Monaten als Vorstandschef deutliche Zeichen seines Management-Verständnisses gesetzt. In der Verwaltung baute er rund 6000 Stellen ab. In der Modellpolitik gab Zetsche schon bei seiner ersten Bilanzpressekonferenz die Devise aus, dass bis 2008 mehr als 50 neue Modelle auf die Straße gebracht werden sollen. Das war der klare Bruch mit der jahrzehntelangen und erfolgreichen Strategie seiner Vorgänger, die mit einer bewussten Beschränkung des Produktprogramms und der Produktionsmengen die Mercedes-Fahrzeuge bei den Kunden noch begehrenswerter machen wollten.
Fünf Jahre nach Amtsantritt dann Aufbruchsignal und Kampfansage gleichermaßen: Im Herbst 2011 kündigte Zetsche an, dass MercedesBenz BMW bis 2020 beim Absatz überhole, um damit wieder die Nummer 1 unter den Premiumherstellern zu werden. „Ich war sehr skeptisch. Doch das Ziel ist sogar früher als geplant erreicht worden“, sagte Wolfgang Nieke, bis Januar Betriebsratschef im Daimler-Stammwerk Untertürkheim, der „Stuttgarter Zeitung“. Bereits 2016 verkauften die Stuttgarter erstmals wieder mehr Autos als die Münchner. Eine Leistung, für die auch der Betriebsrat Zetsche Respekt zollt. „Er hat das Unternehmen nach vorne gebracht“, so Nieke.
Zetsches Laufbahn bei Daimler begann 1976 mit seinem Eintritt in die Forschungsabteilung der damaligen Daimler-Benz AG. Die ersten Karrierestufen erklomm er im Bereich Forschung und Entwicklung, ehe er in den Mercedes-Werken in Brasilien und Argentinien, dann als Chef der Daimler-Tochter Freightliner Corporation in den USA, erste Topmanager-Aufgaben übernahm. Zetsche gilt als authentisch und nahbar, bei Betriebsfesten oder auf Messen stellte er sich schon einmal selbst hinter die Theke, um Bier zu zapfen. Im Job agierte er konsequent und schreckte auch vor schwierigen Entscheidungen nicht zurück. „Verantwortliche Manager müssen auch Fehler machen können“, sagte Dieter Zetsche einmal, „und sind sie nicht bereit, auch mal Fehlschläge zu riskieren, führen sie ein Unternehmen zum Stillstand.“
Für Ferdinand Dudenhöffer ist der scheidende Daimler-Chef ein „Teamplayer, aber als Alphamännchen“. Zetsche, der an der Universität Karlsruhe Elektrotechnik studiert hat, sei ein „Ingenieur durch und durch, leistungsgetrieben, mit Freude an Innovationen und Sinn für gesellschaftliche Entwicklungen“. Dabei habe er immer große Freude, auf Menschen zuzugehen. „Ein sympathischer Tausendsassa, der als Nachfolger von Hans-Joachim Kulenkampff auch die Show Einer wird gewinnen hätte moderieren können“, sagt Dudenhöffer. Durch eine Krebserkrankung verlor der Manager 2010 seine langjährige Ehefrau, mit der er drei Kinder hatte. 2013 war er fünf Monate mit der Schauspielerin Désirée Nosbusch liiert, 2016 heiratete Zetsche seine französische Lebensgefährtin.
Wenn Ola Källenius am Mittwoch auf den Chefposten der Daimler AG rückt, übernimmt er einen Konzern im Wandel: Die Mobilität verändert sich – und mit ihr die Autokonzerne. Die Unternehmen entwickeln sich von reinen Fahrzeugherstellern zu Mobilitätsanbietern. Diese Veränderungen hat Zetsche bei Daimler angestoßen. „Er hat die Kultur geändert und neues Denken eingebracht: Mehr Silicon Valley bei Spätzle und Linsen“, erläutert Dudenhöffer. Ein Wandel, der sich nicht zuletzt auch seit Langem im Stil des Vorstandschefs widerspiegelt. Zetsche hat einen neuen Dresscode beim badenwürttembergischen Traditionskonzern salonfähig gemacht: Jeans, offenes Hemd, Turnschuhe. Ein Stil, an den sich Mitarbeiter erst gewöhnen mussten. „Zu Beginn, als Jeans in unserem Umfeld noch ungewohnt waren, haben sich manche Menschen entschuldigt, die mit Schlips entgegengekommen sind. Das hat mich erstaunt“, sagte Zetsche schmunzelnd.
Zu den wichtigsten Projekten, die aus den Silicon-Valley-Gedanken in Untertürkheim entstanden sind, gehört das gemeinsam mit BMW gegründete Joint Venture Reach Now, in das die beiden Konzerne ihre Mobilitätsdienste eingebracht haben. Auch die Umstellung auf das Zeitalter der Elektromobilität hat Dieter Zetsche angestoßen. Derzeit investiert das Unternehmen zehn Milliarden Euro in den Ausbau der Elektroautoflotte, bis 2022 soll die gesamte Modellpalette elektrifiziert sein. Diese Entwicklung zu vollenden wird nach Angaben Dudenhöffers zu den wichtigsten Aufgaben von Ola Källenius gehören – neben den Herausforderungen, den Bereich Mobilitätsdienstleistung in die Gewinnzone zu führen und die Standards beim autonomen Fahren mitzudefinieren.
Kurzfristig muss der Schwede aber wie Dieter Zetsche bei seinem Amtsantritt vor 13 Jahren sparen. Denn der scheidende Chef übergibt seinem Nachfolger zwar ein UnterBei der Hauptversammlung am Mittwoch in Berlin übergibt Dieter Zetsche nicht nur den Chefposten an Ola Källenius, die Aktionäre sollen auch eine Neu
ordnung des Konzerns beschließen. Wenn der Plan durchkommt, hält künftig eine Holding drei rechtlich selbstständige Einheiten: die Mercedes-Benz AG für Autos und Transporter, die Daimler Truck AG für Lastwagen und Busse sowie die Daimler Mobility AG für Finanzdienstleistungen und Mobilitätsangebote. Ziel der Umstrukturierung ist, dass die einzelnen Unternehmensteile beweglicher agieren werden und künftig leichter Kooperationen eingehen können. Die einmaligen Kosten für die neue Struktur sollen sich auf etwas mehr als 600 Millionen Euro belaufen. (ben) nehmen mit solidem Fundament, aber deutlich zu hohen Kosten. Källenius prüft schon seit Monaten „Gegenmaßnahmen“. Nach Informationen des „Handelsblatts“soll das Sparpaket „Move“im Sommer fertig sein: Es geht um Einsparungen von 20 Prozent in zentralen Verwaltungsbereichen und insgesamt um ein Effizienzpotenzial von mehreren Milliarden Euro.
Die Probleme bekommt Ola Källenius in den Griff, davon ist Dieter Zetsche fest überzeugt. Schon auf seiner letzten Jahresbilanzpressekonferenz im Februar in Stuttgart hat er keinen Zweifel gelassen, dass „wir ein exzellentes Team in die nächsten Jahre schicken werden.“Große Gefühle hat er aber nicht gezeigt, auch auf wiederholte Nachfragen nach einer persönlichen Bilanz sagte er lediglich: „Ich kann klar und offen sagen, dass ich mit mir total im Frieden bin.“
In Schanghai vor mehr als zwei Jahren war der Manager bedeutend emotionaler. „Sind sie nicht wunderschön?“, entfuhr es Dieter Zetsche, als Mitarbeiter die drei Modelle der runderneuerten S-Klasse auf die Bühne rollten. Und Scheinwerfer die protzigen Karossen im Expo-Center erschimmern ließen.
„Ohne Dieter Zetsche gäbe es Daimler heute nicht mehr.“ Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer über den scheidenden Daimler-Chef „Er hat das Unternehmen nach vorne gebracht.“ Der frühere Untertürkheimer Betriebsratschef Wolfgang Nieke