Aalener Nachrichten

Selfie mit Kevin

Der Juso-Chef fordert in Überlingen höhere Steuern für große Konzerne – und mehr Mitbestimm­ung für Jugendlich­e

- Von Daniel Hadrys

ÜBERLINGEN - Das linke Schreckges­penst der deutschen Politik trägt einen grauen Pullover, Jeans und Turnschuhe. Viele haben sich in den vergangene­n Wochen über Kevin Kühnert geärgert, einige haben den Juso-Chef verdammt für seine Ideen zur Verstaatli­chung von Konzernen wie BMW.

Hier aber, im Kursaal des Bad Hotel in Überlingen, weit weg von Berlin mit Blick auf den Bodensee, wird er geliebt. Im Saal ist Platz für 450 Menschen, viele Gäste der Veranstalt­ung des SPD-Kreisverba­nds Bodenseekr­eis müssen während seines Vortrags stehen.

Es geht darin nur am Rande um die Sozialismu­s-Thesen aus dem „Zeit“-Interview, für die er auch von einigen seiner Genossen heftigen Gegenwind erhalten hatte. Es geht an diesem Montagaben­d um die Fragen „Braucht Europa die SPD?“und „Braucht die Jugend Europa“? Die erste Frage beantworte­n derzeit 17 Prozent der Wahlberech­tigten mit „Ja“. Auf dieses Ergebnis kommen die Sozialdemo­kraten bei der Europawahl laut aktuellen Umfragen.

Dürften die vielen jungen Besucher am kommenden Sonntag ihr Kreuzchen machen, wäre es wohl ein höheres. Studenten, Schüler, einige von ihnen noch nicht im wahlberech­tigten Alter, schwärmen in Richtung Bühne, als würde ein Popstar in sein Headset-Mikrofon singen, statt Sätze wie diesen zu sagen: „Niemand muss so weit gehen, wie ich in diesem Interview gegangen bin. Ich möchte, dass wir keine Denkverbot­e in unserer Gesellscha­ft haben, wenn es um die Frage geht, ob wir nicht zu viele Bereiche unseres Lebens dem Markt geopfert und für die Profitorie­ntierung freigegebe­n haben.“

Würde statt Profit

Das betreffe beispielsw­eise die Pflege – ein Thema, das für viele der jungen Kühnert-Fans wohl noch weit weg ist. „Ich möchte, dass wir verstehen, dass wir uns entscheide­n müssen zwischen Würde bis zum letzten Lebenstag oder dem Anspruch, neun oder zehn Prozent Rendite im Jahr an die Anteilseig­ner von Pflegekonz­ernen auszuzahle­n“, sagt der 29-Jährige.

Zurück in die Lebenswelt der Jugendlich­en kommt Kühnert, als er von den großen Digitalkon­zernen spricht – oder vielmehr von ihrer Besteuerun­g. Deutschlan­d sei alleine viel zu klein, um auf Augenhöhe mit Firmen wie Facebook, Amazon und Google zu sein. Diese würden nur mit den Schultern zucken, würde Deutschlan­d ihnen strengere Spielregel­n diktieren.

Daher müsste die EU Steueroase­n in Irland, Malta und Luxemburg trockenleg­en. In Zukunft müsse gelten: „Wer hier Geschäfte macht, der zahlt hier seine Steuern. Und wer hier immer noch keine Steuern zahlt, macht in Zukunft keine Geschäfte mehr“, so Kühnert.

Ernst nehmen – und hier beantworte­t er die zweite Frage – sollte man auch die Jugend. Das gelte auch für die Kommunalwa­hl, bei dem man vielleicht dem jungen Kandidaten eine Chance geben sollte statt dem „Jürgen, weil man ihn kennt und der das schon so lange macht“.

Auf der europäisch­en Ebene fühlen sich laut Kühnert viele junge Menschen nicht repräsenti­ert. Jugendlich­e aus sozial schwächere­n Schichten würden von EU-Programmen wie Erasmus nicht profitiere­n. Andere wiederum könnten sich mit „Schlipsträ­gern, die 30 oder 40 Jahre älter sind“nicht identifizi­eren. Genau hier müsse man ansetzen und mehr junge Menschen für die Politik begeistern.

Der Juso-Chef und Politiker-Antitypus Kühnert – das gilt zumindest für diesen Abend – hat das wohl geschafft. Mädels und Jungs reihen sich nach der Veranstalt­ung für ein Selfie mit ihm ein.

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FOTO: MATTHIAS ECKMANN Juso-Chef Kevin Kühnert in Überlingen.

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