Aalener Nachrichten

EU-Chefsessel für den Wahlsieger ist nicht garantiert

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Der Konservati­ve Manfred Weber und der Sozialdemo­krat Frans Timmermans wollen die Nachfolge von EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker antreten. Sie treten als Spitzenkan­didaten ihrer Parteienfa­milien bei der Europawahl an. Doch es kann auch sein, dass am Ende keiner von beiden den europäisch­en Topjob bekommt.

Dass es überhaupt europäisch­e Spitzenkan­didaten gibt, ist eine noch recht neue Entwicklun­g. Über Jahrzehnte haben die EU-Staats- und Regierungs­chefs den Präsidente­n der Europäisch­en Kommission in Hinterzimm­erdeals bestimmt. Durch den Reformvert­rag von Lissabon wurde dem EU-Parlament ein Mitsprache­recht eingeräumt. Die Parteien stellten deshalb bei der Europawahl 2014 erstmals Spitzenkan­didaten auf. Die Konservati­ven nominierte­n Jean-Claude Juncker – und als sie stärkste Kraft wurden, bekam der Luxemburge­r den Posten des Kommis

sionschefs. Doch bei der diesjährig­en Europawahl am kommenden Sonntag ist längst nicht sicher, ob sich dies wiederhole­n lässt.

Die Änderung 2014 sollte den Europawahl­kampf angesichts stetig sinkender Wahlbeteil­igung lebhafter machen. Unumstritt­en war sie aber schon 2014 nicht. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) zögerte mehrere Tage, bevor sie Juncker unterstütz­te – und gilt bis heute nicht als begeistert­e Unterstütz­erin des Spitzenkan­didaten-Prozesses – auch wenn sie offiziell hinter dem aktuellen konservati­ven Spitzenkan­didaten Weber von der Schwesterp­artei CSU steht.

„Kein Automatism­us“

Ein Gegner des Spitzenkan­didatenpro­zesses ist Frankreich­s Staatschef Emmanuel Macron: Dies sei nicht der richtige Weg und erst sinnvoll, wenn es länderüber­greifende Kandidaten­listen für die Europawahl gebe, sagte er beim EU-Gipfel in Sibiu. Tatsächlic­h hatten die EU-Staats- und Regierungs­chefs schon bei einem Gipfel im Februar vergangene­n Jahres betont, dass es auch 2019 „keinen Automatism­us“in der Frage des Kommission­schefs geben werde. Sie lesen den EU-Vertrag so, dass sie das alleinige Vorschlags­recht haben und im Zweifel nicht an die Vorauswahl der Spitzenkan­didaten gebunden sind.

Dies schürt Spekulatio­nen, dass auch Brexit-Unterhändl­er Michel Barnier als möglicher Kommission­schef weiter im Rennen ist, obwohl der konservati­ve Franzose kein Spitzenkan­didat ist. Bei solch einem Vorschlag müssen die Staats- und Regierungs­chefs aber fürchten, dass ihr Kandidat im Europaparl­ament durchfällt.

Die notwendige mehrheitli­che Zustimmung der EU-Abgeordnet­en bedeutet gleichzeit­ig, dass nicht unbedingt der Spitzenkan­didat der stärksten Parteienfa­milie auf den Posten des Kommission­schefs kommt. Keine Fraktion wird nach den Wahlen mehr als 50 Prozent der Abgeordnet­en stellen; Bündnisse gegen den Spitzenkan­didaten des Wahlsieger­s haben also durchaus Chancen. Der sozialdemo­kratische Spitzenkan­didat Frans Timmermans will eine „progressiv­e Allianz“gegen Weber schmieden, dessen konservati­ve Fraktion voraussich­tlich erneut stärkste Kraft wird. Auch die Liberalen hoffen über ein Bündnis mit Macron, die Konservati­ven auszumanöv­rieren. Bei ihnen gilt EU-Wettbewerb­skommissar­in Margrethe Vestager als Anwärterin auf den Spitzenpos­ten. (AFP/sz)

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