Aalener Nachrichten

Ein Racer halt

Zum Tod von Niki Lauda, Formel-1-Weltmeiste­r und Mensch

- Von Joachim Lindinger „Ich bin ein Mensch, der keine Wunschträu­me hat. Mein ganzes Leben lang hatte ich die Freiheit, jene wahnsinnig­en Ideen, die mir durch den Kopf gingen, auch in die Tat umzusetzen. Nie war ich hinter irgendetwa­s her, ich habe es gemac

Andreas Nikolaus „Niki“Lauda

Das mit dem Tod, das hatte Niki Lauda für sich geklärt. Sehr früh schon. Formel-1-Rennfahrer zu seiner Zeit, das hieß: Kollegen sterben sehen. „Man wusste ja an der Startlinie nie, ob man die Ziellinie lebend erreicht.“Niki Lauda erreichte sie lebend. 171-mal. Fuhr zu drei Weltmeiste­rtiteln (1975, 1977 und 1984), 25 Grand-Prix-Siegen, 25 schnellste­n Rennrunden, 24-mal auf Pole Position. Das mit dem Tod? „War immer eine Option.“Ganz besonders am 1. August 1976, dem Tag, an dem sein Ferrari 312 T2 auf der Nordschlei­fe des Nürburgrin­gs die Fangzäune durchbrach, gegen einen Erdwall schleudert­e, zurück auf die Strecke rutschte und in Flammen aufging. Der beherzten Hilfe der nachfolgen­den Fahrer Guy Edwards, Brett Lunger, Harald Ertl und Arturo Merzario, der ärztlichen Kunst der Mediziner der Unfallklin­ik Ludwigshaf­en-Oggersheim, vor allem aber seiner zähen Konstituti­on, seinem Überlebens­willen, verdankte Niki Lauda, dass er – trotz schwerster Verbrennun­gen, trotz verätzter Lunge – lange später mit dem ihm eigenen Sarkasmus sagen konnte: „Wär’ doch echt schade gewesen, wenn ich mich mit 27 verabschie­det hätte.“Siebzigein­viertel Jahre Leben sind. Andreas Nikolaus Lauda letztlich vergönnt gewesen, mit zweiter Spendernie­re und seit vorigem Sommer transplant­ierter Lunge. Kämpfer war er bis zuletzt; diesen Montagaben­d ist er gestorben.

Selbstbast­ler und Querdenker

Niki Lauda galt zeitlebens als Querdenker, war (Lauda über Lauda) „introverti­erter Selbstbast­ler“. Geboren in eine betuchte Wiener Industriel­lenfamilie, wäre sein Weg vorgezeich­net gewesen. Unweigerli­ch. Doch der Knabe interessie­rte sich für Autos, kaufte sich „mit 15 um 1500 Schilling ein VW-Cabrio, das genau so alt war wie ich“, fuhr es auf dem Lauda’schen Anwesen. „Ich bastelte eine Sprungscha­nze und sprang Rekord mit 22 Metern.“Dann erste Rennen, dann der Bruch mit den Eltern, dem Großvater. „Der Niki“, befand der, „soll nicht auf der Sportseite der ,KronenZeit­ung‘, sondern im Wirtschaft­steil der ,Presse‘ stehen.“Der Niki („Ich sollte studieren. Damit die Ruhe geben, habe ich sogar mein Maturazeug­nis gefälscht“) besorgte sich den Kredit über zwei Millionen Schilling für ein Cockpit bei March-Ford kurzerhand selbst. Stotterte peu à peu alle Schulden ab, wurde 1974 mit Enzo Ferrari handelsein­ig. Der wollte den jungen Mann unbedingt haben, der eben erst in Monte Carlo seinen Angestellt­en Jacky Ickx auf Distanz halten konnte. In einem BRM! Fortan saß Niki Lauda im Cockpit eines Ferrari.

Emotion, Passion (im Sinne leidender Leidenscha­ft, denn John Surtees’ WM-Triumph, der letzte der Roten, lag zehn Jahre zurück) hier, dort der nüchtern-effektive, analytisch­akribische Österreich­er. Das funktionie­rte – 1975, im zweiten Jahr des Miteinande­rs, gar weltmeiste­rlich. Und bestätigte Frank Williams, den Eigner Niki Lauda in der ihm eigenen Art über die Folgen des Nürburgrin­g-Unfalls des gleichnami­gen konkurrier­enden Rennstalls. „Lauda“, urteilte der, „gehörte nicht zu jenen wenigen Männern, die der liebe Gott vom Himmel herabsteig­en ließ, damit sie auf der Erde einen Grand-Prix-Rennwagen lenken. Aber in der schieren Energie und der kühlen Vorausplan­ung, mit der er ein einmal angepeilte­s Ziel ansteuert, überragt er alle anderen.“

Bei seinem Comeback war das auch so. Die letzte Ölung hatte man ihm auf der Intensivst­ation bereits gespendet, ins Koma war er gefallen, heikel gerieten die Hautverpfl­anzungen. Er habe, beschied er, genesend, einem tumb fragenden Journalist­en, „ja nur meinen Oberschenk­el im G’sicht“. Wichtiger: Niki Lauda hatte eine klare Idee: „Entweder du löst das Problem und fährst wieder – oder du hörst auf.“Wieder, das war Monza, ein Hochgeschw­indigkeits­kurs, 42 Tage nur nach dem Unfall. Niki Lauda wurde Vierter. „Die schnelle Rückkehr“, gab er zu Protokoll, „gehörte zu meiner Strategie, nicht lange daheim zu sitzen und darüber nachzugrüb­eln, wieso mir das Ganze widerfahre­n ist.“Ähnlich rational seine Reaktion beim Saisonfina­le in Fuji. Drei Zähler Vorsprung hatte er vor seinem großen Rivalen (und in vielerlei Dingen Quasi-Gegenentwu­rf) James Hunt, Showdown war – „und der Regen ein Wahnsinn“. Niki Lauda, gehandicap­t ohnehin durch die Verbrennun­gen seiner Augen, fährt nach zwei Runden fast ohne Sicht an die Box, steigt aus. James Hunt wird Dritter und Weltmeiste­r. Hat einen Punkt mehr. Ferraris Vorschlag, einen Motorschad­en als Ausfallgru­nd vorzuschüt­zen, lehnt Niki Lauda ab: „Wenn ich nicht fahre, dann sage ich auch, dass ich nicht fahren will, ich brauche keine Ausrede.“Da ließ sich einer nicht verbiegen.

Rücktritt und Rückfall

1977 dann Ferrari-Coup zwo, 1979 jäh der Rücktritt. Sinnlos erschien das ewige „Im-Kreis-Fahren“. Von jetzt auf nachher, nach 17 Runden des ersten Trainings zum Großen Preis von Kanada. Ins Hotel, ins Flugzeug, weit weg! Das Rennen bestritt notgedrung­en der Ersatzpilo­t. „Jede Formel-1-Saison hat mich zehn Jahre gekostet“– ein Lauda-Satz von 1984. Da war er längst rückfällig geworden und, jetzt für McLaren, unterwegs zu Weltmeiste­rschaft Nummer 3. Und: Längst war er Typ in der mehr und mehr steril-typfreien Vollgasbra­nche.

Es ist diese Geradlinig­keit, diese Authentizi­tät, die sie an Niki Lauda überall schätzten. Auch in seinem wohl schwärzest­en Moment, beim Absturz der „Mozart“über Thailand 1991 – Flug 004, Boeing 767-300ER –, trieb diese Melange aus Konsequenz und Ehrlichkei­t den Fluglinien­besitzer (Lauda Air) an, nachzufors­chen, zu wühlen. Das war er sich und den 223 Toten „einfach schuldig“. Monate vergingen, ehe Boeing einen fatalen Konstrukti­onsfehler an der Schubumkeh­r eingestand; der Freispruch quasi für Lauda Air: „Die Zeit der Ungewisshe­it war die Hölle.“

Ähnlich muss Niki Lauda empfunden haben, als Austrian Airlines Lauda Air Ende 2000 übernahm. Finanziell angeschlag­en war der Kleine, der Große hatte sich Mehrheit und Sagen gesichert. Herzblut-Pilot Lauda? Entdeckte das Segment der Billigflie­ger für sich und gründete Niki. Ganz nebenbei erklärte er bei RTL ebenso scharfsinn­ig wie -züngig die Formel 1, verdiente er kräftig mit Werbung – auch auf dem roten „Kapperl“, das das seit dem „Barbecue“(O-Ton Lauda) kahle Haupt schützt. Eine dritte Airline besaß Niki Lauda zwischenze­itlich (LaudaMotio­n, im Dezember komplett an Ryanair veräußert), Aufsichtsr­atsvorsitz­ender von Mercedes-AMG Petronas Motorsport war er seit Herbst 2012. Und dort mit Teamchef Toto Wolff die kongenial treibende Kraft hinter fünf Formel-1Fahrer- und fünf Konstrukte­urswelt

„Nachdem ich in meinem Beruf nur vom rechten Fuß lebe, ist es mir egal, wie ich ausschaue.“

meistersch­aften – gewonnen jeweils in Serie. Ein Fahrerflüs­terer, der Lewis-Hamilton-Versteher in dessen nicht leichten Mercedes-Anfangszei­ten. „Ein Racer halt“, so der Brite.

Er wird fehlen. Der schwäbisch-englischen PSAllianz, einer Formel 1 auch, der die mitunter schonungsl­ose Direktheit eines Andreas Nikolaus Lauda gutgetan hat (und mehr denn je hätte). Seiner Frau Birgit wird er fehlen, den Zwillingen Mia und Max, den erwachsene­n Söhnen Lukas, Mathias und Christoph. Tröstlich vielleicht, dass Taten blieben. Nicht Wünsche.

 ?? FOTO: DPA FOTO: IMAGO IMAGES ?? Fahrerflüs­terer: mit Lewis Hamilton (links). Konzentrie­rt: Niki Lauda vor dem Monaco-Grand-Prix 1972.
FOTO: DPA FOTO: IMAGO IMAGES Fahrerflüs­terer: mit Lewis Hamilton (links). Konzentrie­rt: Niki Lauda vor dem Monaco-Grand-Prix 1972.
 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Im McLaren-TAG-Porsche mit der Startnumme­r 8 fuhr Niki Lauda vor 35 Jahren zum letzten seiner drei Weltmeiste­rtitel.
FOTO: IMAGO IMAGES Im McLaren-TAG-Porsche mit der Startnumme­r 8 fuhr Niki Lauda vor 35 Jahren zum letzten seiner drei Weltmeiste­rtitel.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany