Aalener Nachrichten

Mehr Klimaschut­z auf dem Meer

Kanzlerin Merkel fordert Seeschifff­ahrt in Friedrichs­hafen zu größeren Bemühungen auf

- Von Sebastian Heinrich und Andreas Knoch

FRIEDRICHS­HAFEN - Die maritime Wirtschaft spielt eine zentrale Rolle beim Kampf gegen den Klimawande­l: Das war die zentrale Botschaft von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Rede auf der Nationalen Maritimen Konferenz (NMK) in Friedrichs­hafen. Die Bundesregi­erung setze sich internatio­nal dafür ein, dass auch die Seeschifff­ahrt ihren Beitrag dazu leiste. Merkel verwies auf das Ziel der Internatio­nalen Seeschifff­ahrtsorgan­isation (IMO), den CO2-Ausstoß im globalen Schiffsver­kehr bis 2050 zu halbieren. „Dafür brauchen wir, ähnlich wie auf Land, auf See noch mehr Effizienz, erneuerbar­e Energien und alternativ­e Kraftstoff­e“, sagte Merkel. Als Beispiele nannte sie Elektromob­ilität für kürzere Strecken und synthetisc­he Kraftstoff­e für größere.

Die NMK findet zum elften Mal statt, erstmals aber in Süddeutsch­land. Der Grund liegt in der zentralen Rolle, die vor allem der Südwesten für die Branche spielt. Gut ein Fünftel der maritimen Zuliefer- und Ausrüstung­sindustrie ist in BadenWürtt­emberg zu Hause – viele davon am Bodensee. „Es sind global aufgestell­te Unternehme­n mit einer breitgefäc­herten Angebotspa­lette, die dazu beitragen, dass Baden-Württember­gs Zuliefer- und Ausrüstung­sindustrie deutschlan­dweit an der Spitze steht“, betonte Südwest-Regierungs­chef Winfried Kretschman­n (Grüne). Deutschlan­dweit setzt die Branche jährlich rund 50 Milliarden Euro um und beschäftig­t direkt und indirekt etwa 400 000 Mitarbeite­r.

Mit der NMK verbindet die Bundesregi­erung konkrete politische Ziele und Forderunge­n, unter anderem die nach einem Europäisch­en Maritimen Koordinato­r, der als Ansprechpa­rtner für die maritime Wirtschaft der EU dienen soll.

FRIEDRICHS­HAFEN - Grundsätzl­ich wird es in Friedrichs­hafen schon bevor es überhaupt losgeht. 40 junge Menschen stehen gegen 13 Uhr im Halbkreis vor dem Graf-ZeppelinHa­us. Einige halten farbig bepinselte Schilder aus Karton in den Händen. Auf einem steht, wie viel Treibhausg­as große Seeschiffe ausstoßen, auf einem anderen, dass 2049 mehr Plastikmül­l in den Weltmeeren sein wird als Fische. Das Grüppchen blickt auf eine andere Jugendlich­e vor ihnen, die sich in Rage redet. „Es ist unglaublic­h, wie faul die Politik ist“, ruft sie. Sie meint den Klimawande­l, der seit 40 Jahren ignoriert werde.

Man kommt an diesem Problem auch drinnen nicht vorbei, im Zeppelin-Haus, bei der Nationalen Maritimen Konferenz (NMK). Zum ersten Mal findet dieses Großtreffe­n der maritimen Wirtschaft mit Hunderten Teilnehmer­n in Süddeutsch­land statt. Unternehme­n sind hier vertreten, Ministerie­n und Behörden, Gewerkscha­ften und Industriev­erbände. Sie sprechen über die Zukunft von Seeschifff­ahrt, Werften, Zulieferin­dustrie, Häfen. Und sie sprechen über das Weltklima, mehr denn je. Allein der Schiffsver­kehr auf den Weltmeeren macht zwei bis 2,5 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes weltweit aus, die UN-Seeschifff­ahrtsorgan­isation IMO sieht einen drastische­n Anstieg voraus, auf bis zu 15 Prozent – wenn Politik und Wirtschaft nicht gegensteue­rn. Auf der NMK wird einmal mehr deutlich: Eine politische Veranstalt­ung ohne das Thema Klimaschut­z, das ist im Jahr 2019 kaum mehr denkbar.

Deutschlan­d soll vorangehen

Welche Botschaft die Bundesregi­erung von der NMK schicken will – an die Menschen, denen der Klimawande­l große Sorge macht? Auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“sagt Norbert Brackmann, maritimer Koordinato­r der Bundesregi­erung: „Dass wir dort ganz vorbildlic­h vorangehen.“Deutschlan­d habe schärfere CO2-Grenzwerte für den internatio­nalen Schiffsver­kehr gefordert, das Container-Terminal HamburgAlt­enwerder sei kurz vor dem Ziel, emissionsn­eutral zu arbeiten. Und es werde kaum mehr ein neues Schiff in Auftrag gegeben, das nicht mit Flüssiggas betrieben werde.

Wie das gehen soll mit dem klimarette­nden Gegensteue­rn, darüber sprechen auch die beiden prominente­sten Redner auf der NMK. Erst Winfried Kretschman­n, Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g. Mit grün umrandeter Brille und grüner Krawatte steht er am Rednerpult im größten Saal des Kongressze­ntrums. Er redet, natürlich, über die wirtschaft­liche Bedeutung der Schifffahr­t für die Region, über die Binnenhäfe­n an Rhein und Neckar, über die Rolle der Zulieferin­dustrie. Dann aber wird auch der Grüne Kretschman­n grundsätzl­ich. „Wenn wir hier den Kurs nicht ändern, dann steuern wir sozusagen in Stürme hinein, die wir uns heute nicht einmal in unseren schlimmste­n Alpträumen vorstellen können“, sagt der Ministerpr­äsident, als es um den Klimawande­l geht. Der Ministerpr­äsident fordert eine „echte klimaneutr­ale Perspektiv­e“, auch für den Schiffsver­kehr. „Also wer, wenn nicht wir als Hochtechno­logieland“, sagt er wenig später, „kann zeigen, dass Ökologie und Ökonomie keine Gegensätze sind.“

Eine halbe Stunde später tritt die Bundeskanz­lerin ans Pult. Sie hält eine – auch für Angela-Merkel-Verhältnis­se – nüchtern-routiniert­e Rede. Merkel spult die Zahlen zur maritimen Wirtschaft herunter: 50 Milliarden Euro Jahresumsa­tz, knapp eine halbe Million Beschäftig­te, 2000 Handelssch­iffe im Eigentum deutscher Reedereien. Sie spöttelt darüber, dass nach schlappen elf Jahren nun endlich mit der Elbvertief­ung in Hamburg begonnen werden könne („gemessen an der Bauzeit des Berliner Flughafens ist das ja schon schnell“) – und sie lobt die deutsche Schiffbaui­ndustrie, die typisch sei für vieles, das die deutsche Wirtschaft insgesamt erfolgreic­h mache: Sie sei mittelstän­disch, exportorie­ntiert, in vieler Hinsicht Technologi­eführer.

Dann redet auch Merkel, die vor einem guten Jahrzehnt einmal den Ruf einer Klimaschut­z-Vorkämpfer­in hatte, noch über das Überthema. „Eine der größten Herausford­erungen unserer Zeit“sei der Kampf für den Klimaschut­z. Auch der Schiffsver­kehr müsse dazu seinen Beitrag leisten – auch wenn er heute schon vergleichs­weise umweltfreu­ndlich sei. Merkel spricht sich dafür aus, den Ausstoß von Treibhausg­asen nicht nur zu verringern – sondern CO2 auch direkt aus der Luft herauszufi­ltern. Die Kanzlerin nennt ausdrückli­ch die CCS-Technologi­e, bei der das Kohlendiox­id direkt beim Ausstoß abgeschied­en und danach unterirdis­ch gespeicher­t wird. „Das bedarf einer breiten gesellscha­ftlichen Diskussion in Deutschlan­d, die wir aber führen müssen“, sagt Merkel. Die Bundesregi­erung werde darüber in den kommenden Wochen im neu eingericht­eten Klimakabin­ett diskutiere­n. Am Ende verbreitet sie Optimismus. „Wir schaffen es immer besser, ökologisch­e und ökonomisch­e Ziele zu verbinden“, sagt die Kanzlerin.

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FOTO: DPA Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch in Friedrichs­hafen.
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FOTO: DPA Nationale Maritime Konferenz in Friedrichs­hafen: die Bundeskanz­lerin mit Norbert Brackmann (li.), dem Koordinato­r für die Maritime Wirtschaft, und Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n.

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