Mehr Klimaschutz auf dem Meer
Kanzlerin Merkel fordert Seeschifffahrt in Friedrichshafen zu größeren Bemühungen auf
FRIEDRICHSHAFEN - Die maritime Wirtschaft spielt eine zentrale Rolle beim Kampf gegen den Klimawandel: Das war die zentrale Botschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Rede auf der Nationalen Maritimen Konferenz (NMK) in Friedrichshafen. Die Bundesregierung setze sich international dafür ein, dass auch die Seeschifffahrt ihren Beitrag dazu leiste. Merkel verwies auf das Ziel der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO), den CO2-Ausstoß im globalen Schiffsverkehr bis 2050 zu halbieren. „Dafür brauchen wir, ähnlich wie auf Land, auf See noch mehr Effizienz, erneuerbare Energien und alternative Kraftstoffe“, sagte Merkel. Als Beispiele nannte sie Elektromobilität für kürzere Strecken und synthetische Kraftstoffe für größere.
Die NMK findet zum elften Mal statt, erstmals aber in Süddeutschland. Der Grund liegt in der zentralen Rolle, die vor allem der Südwesten für die Branche spielt. Gut ein Fünftel der maritimen Zuliefer- und Ausrüstungsindustrie ist in BadenWürttemberg zu Hause – viele davon am Bodensee. „Es sind global aufgestellte Unternehmen mit einer breitgefächerten Angebotspalette, die dazu beitragen, dass Baden-Württembergs Zuliefer- und Ausrüstungsindustrie deutschlandweit an der Spitze steht“, betonte Südwest-Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne). Deutschlandweit setzt die Branche jährlich rund 50 Milliarden Euro um und beschäftigt direkt und indirekt etwa 400 000 Mitarbeiter.
Mit der NMK verbindet die Bundesregierung konkrete politische Ziele und Forderungen, unter anderem die nach einem Europäischen Maritimen Koordinator, der als Ansprechpartner für die maritime Wirtschaft der EU dienen soll.
FRIEDRICHSHAFEN - Grundsätzlich wird es in Friedrichshafen schon bevor es überhaupt losgeht. 40 junge Menschen stehen gegen 13 Uhr im Halbkreis vor dem Graf-ZeppelinHaus. Einige halten farbig bepinselte Schilder aus Karton in den Händen. Auf einem steht, wie viel Treibhausgas große Seeschiffe ausstoßen, auf einem anderen, dass 2049 mehr Plastikmüll in den Weltmeeren sein wird als Fische. Das Grüppchen blickt auf eine andere Jugendliche vor ihnen, die sich in Rage redet. „Es ist unglaublich, wie faul die Politik ist“, ruft sie. Sie meint den Klimawandel, der seit 40 Jahren ignoriert werde.
Man kommt an diesem Problem auch drinnen nicht vorbei, im Zeppelin-Haus, bei der Nationalen Maritimen Konferenz (NMK). Zum ersten Mal findet dieses Großtreffen der maritimen Wirtschaft mit Hunderten Teilnehmern in Süddeutschland statt. Unternehmen sind hier vertreten, Ministerien und Behörden, Gewerkschaften und Industrieverbände. Sie sprechen über die Zukunft von Seeschifffahrt, Werften, Zulieferindustrie, Häfen. Und sie sprechen über das Weltklima, mehr denn je. Allein der Schiffsverkehr auf den Weltmeeren macht zwei bis 2,5 Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes weltweit aus, die UN-Seeschifffahrtsorganisation IMO sieht einen drastischen Anstieg voraus, auf bis zu 15 Prozent – wenn Politik und Wirtschaft nicht gegensteuern. Auf der NMK wird einmal mehr deutlich: Eine politische Veranstaltung ohne das Thema Klimaschutz, das ist im Jahr 2019 kaum mehr denkbar.
Deutschland soll vorangehen
Welche Botschaft die Bundesregierung von der NMK schicken will – an die Menschen, denen der Klimawandel große Sorge macht? Auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“sagt Norbert Brackmann, maritimer Koordinator der Bundesregierung: „Dass wir dort ganz vorbildlich vorangehen.“Deutschland habe schärfere CO2-Grenzwerte für den internationalen Schiffsverkehr gefordert, das Container-Terminal HamburgAltenwerder sei kurz vor dem Ziel, emissionsneutral zu arbeiten. Und es werde kaum mehr ein neues Schiff in Auftrag gegeben, das nicht mit Flüssiggas betrieben werde.
Wie das gehen soll mit dem klimarettenden Gegensteuern, darüber sprechen auch die beiden prominentesten Redner auf der NMK. Erst Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Mit grün umrandeter Brille und grüner Krawatte steht er am Rednerpult im größten Saal des Kongresszentrums. Er redet, natürlich, über die wirtschaftliche Bedeutung der Schifffahrt für die Region, über die Binnenhäfen an Rhein und Neckar, über die Rolle der Zulieferindustrie. Dann aber wird auch der Grüne Kretschmann grundsätzlich. „Wenn wir hier den Kurs nicht ändern, dann steuern wir sozusagen in Stürme hinein, die wir uns heute nicht einmal in unseren schlimmsten Alpträumen vorstellen können“, sagt der Ministerpräsident, als es um den Klimawandel geht. Der Ministerpräsident fordert eine „echte klimaneutrale Perspektive“, auch für den Schiffsverkehr. „Also wer, wenn nicht wir als Hochtechnologieland“, sagt er wenig später, „kann zeigen, dass Ökologie und Ökonomie keine Gegensätze sind.“
Eine halbe Stunde später tritt die Bundeskanzlerin ans Pult. Sie hält eine – auch für Angela-Merkel-Verhältnisse – nüchtern-routinierte Rede. Merkel spult die Zahlen zur maritimen Wirtschaft herunter: 50 Milliarden Euro Jahresumsatz, knapp eine halbe Million Beschäftigte, 2000 Handelsschiffe im Eigentum deutscher Reedereien. Sie spöttelt darüber, dass nach schlappen elf Jahren nun endlich mit der Elbvertiefung in Hamburg begonnen werden könne („gemessen an der Bauzeit des Berliner Flughafens ist das ja schon schnell“) – und sie lobt die deutsche Schiffbauindustrie, die typisch sei für vieles, das die deutsche Wirtschaft insgesamt erfolgreich mache: Sie sei mittelständisch, exportorientiert, in vieler Hinsicht Technologieführer.
Dann redet auch Merkel, die vor einem guten Jahrzehnt einmal den Ruf einer Klimaschutz-Vorkämpferin hatte, noch über das Überthema. „Eine der größten Herausforderungen unserer Zeit“sei der Kampf für den Klimaschutz. Auch der Schiffsverkehr müsse dazu seinen Beitrag leisten – auch wenn er heute schon vergleichsweise umweltfreundlich sei. Merkel spricht sich dafür aus, den Ausstoß von Treibhausgasen nicht nur zu verringern – sondern CO2 auch direkt aus der Luft herauszufiltern. Die Kanzlerin nennt ausdrücklich die CCS-Technologie, bei der das Kohlendioxid direkt beim Ausstoß abgeschieden und danach unterirdisch gespeichert wird. „Das bedarf einer breiten gesellschaftlichen Diskussion in Deutschland, die wir aber führen müssen“, sagt Merkel. Die Bundesregierung werde darüber in den kommenden Wochen im neu eingerichteten Klimakabinett diskutieren. Am Ende verbreitet sie Optimismus. „Wir schaffen es immer besser, ökologische und ökonomische Ziele zu verbinden“, sagt die Kanzlerin.