Schicksalsspiel für den VfB Stuttgart
Hoffnung macht den Fans der Stuttgarter in den Relegationsspielen nach der Chaos-Saison recht wenig – Zum VfB stehen sie dennoch
STUTTGART (dpa) - Der VfB Stuttgart kann zum Ende einer desolaten Saison den Absturz in die FußballZweitklassigkeit in der Relegation gegen Union Berlin verhindern. Die Teams treffen heute (20.30 Uhr/Eurosport Player) im Hinspiel in Stuttgart aufeinander.
STUTTGART - Drei Tage nach dem Abstieg würde als kleiner Trost zumindest ein Weißwurstfrühstück zum Vatertag als Aufmunterung warten. Auch das Grillfest am 15. Juni ist fest gesetzt. Im Clubheim der Highlander in Ringschnait, in der Heimat des zweitgrößten Fanclubs des VfB Stuttgart in Deutschland, werden sie weiter zum VfB stehen. Wie schon seit nunmehr 21 Jahren.
Doch noch ist das alles ganz weit weg und liegt nur wie ein dunkler Alptraum über dem Tabellen-16. und dessen Fanclub, dem der Verein so wie vielen in der Region alles bedeutet. Der Abstieg in die 2. FußballBundesliga – so präsent das Thema in Bad Cannstatt vor dem Relegationshinspiel gegen Union Berlin am heutigen Donnerstag (20.30/Eurosport Player) auch sein mag – wäre mit seinen verheerenden Auswirkungen auf Verein und Fans nur ein mögliches Ende dieser Chaossaison mit drei Trainern, sportlich katastrophalen Auftritten und jeder Menge interner und externer Aufreger. Als Alternative könnte nach Hin- und Rückspiel auch die Rettung stehen.
Edgar Quade, einer von 614 Highlandern, ist entsprechend leidgeprüft. Wenig macht ihm Mut, und dennoch hofft er auf die Rettung. „Nach Stuttgart fahren wir am Donnerstag mit zwei Bussen. Am Montag geht es mit einem Bus nach Berlin“, erzählt der Pressewart, während er im Vereinsheim vor Relikten einer besseren Vergangenheit sitzt. Ein gerahmtes Trikot von 2007er-Meisterspieler Ludovic Magnin in seinem Rücken. Nicht weit entfernt ein Shirt. Auf der linken Seite steht gedruckt in Rot: „Aufstieg 2017 – nie mehr 2. Liga.“Dieses „nie mehr“könnte bereits am Montagabend zu „jetzt wieder“geändert werden müssen.
Man merkt, wie tief die Enttäuschung sitzt, wenn Edgar Quade über die vergangenen zwei Jahre sagt: „Sie haben die Aufstiegsstimmung nicht einmal eine Saison hochhalten können, man konnte das Wappen nie ein paar Monate mit Stolz tragen.“
Dabei sollte nach dem Abstieg 2015/16 doch alles anders werden – und wurde es auch, zumindest zeitweise. Mit Jan Schindelmeiser als Vorstand Sport und Hannes Wolf als Trainer gelang mit einer jungen, hungrigen Mannschaft der direkte Wiederaufstieg. Alles schien bereitet für eine Erholung. Doch dann kamen dem VfB wieder seine eigenen Gesetze in die Quere. Wolf und Schindelmeiser wurden entlassen. Quade beklagt: „Wir haben bis heute keine Erklärung bekommen, warum.“Trainer-Nachfolger Tayfun Korkut schaffte die kurzzeitige Wende, bevor auch er ersetzt wurde – durch Markus Weinzierl. Auch so ein Missverständnis. Mit nur vier Siegen in 23 Spielen, nur einem in seinen letzten 15, war dessen Bilanz noch verheerender als die seines Vorgängers. Nun soll es Interimstrainer Nico Willig in der Relegation richten. Was Quade etwas hoffen lässt: „Zumindest scheinen die Spieler unter Willig wieder frei aufspielen zu dürfen.“
„Jedes Spiel eine Katastrophe“
Die Beschreibung der letzten Monate klingt aus dem Mund des Highlanders verheerend, und doch hat er keineswegs resigniert. „Wir waren guten Mutes bei der hochgelobten Mannschaft, und dann war jedes Spiel eine Katastrophe.“Der sportliche Tiefpunkt war die herbe 0:6-Klatsche gegen die bayerischen Schwaben aus Augsburg. „Sowas habe ich noch nie erlebt. Da war kein Aufbäumen, kein Wille, kein Kampf spürbar. Das war der Bruch zwischen Fans und der Mannschaft.“Einer Mannschaft, die seit der Niederlage bei Hansa Rostock in der ersten Runde des DFBPokals nicht mehr aus der Abwärtsspirale herausgekommen ist.
Doch das waren nur die augenscheinlichen, sportlichen Aspekte des Absturzes. Wer die Ursachen verstehen will, muss tiefer bohren, hinein in die schon beinahe typischen Streitereien am Wasen, einem Ort, an dem Selbstzerfleischung Tradition zu haben scheint.
Da wäre zum einen die Geschichte um Aufsichtsratsmitglied und VfB-Legende Guido Buchwald, der sich ungerecht behandelt fühlte und alle Ämter hinschmiss, und dem sein Kumpel Jürgen Klinsmann zur Seite sprang. Alles wurde öffentlich ausgetragen in einer Situation, in der Zusammenhalt gefragt gewesen wäre. Hinzu kommen die ständigen Querelen um Wolfgang Dietrich. Der Präsident hat es geschafft, durch Zukunftsentscheidungen (Ausgliederung) und fragwürdige wirtschaftliche Verbindungen die aktive Fanszene gegen sich aufzubringen. Kein Spiel kommt ohne Hassplakate und AntiDietrich-Gesänge aus. Dietrich selbst begründet seine Entscheidungen mit der Zukunftsausrichtung des Vereins. Zu seinen Firmen-Konstrukten sagte er in der „Schwäbischen Zeitung“, dass „hierbei keine Interessenkollisionen vorliegen“.
Sauer aufgestoßen sind jedoch den meisten Highlandern Dietrichs hochtrabende Aussagen, an seinem ambitionierten Fünfjahresplan festhalten zu wollen, wonach der VfB sehr bald wieder im vorderen Tabellendrittel zu Hause sein sollte. „Das ist nur überheblich. Da herrscht wohl eine andere Realität. Man muss nicht mit Europa liebäugeln, sondern zwei bis drei Jahre den ganzen Verein beruhigen“, sagt Quade. Der Schritt hin zu Thomas Hitzelsperger als Sportvorstand sei dabei genau der richtige Weg: „Erst überlegen, dann sprechen, das ist ein Pol, der der Spitze sehr guttut.“
Dabei war dessen Beförderung auch nur die Folge der Krisenfahrt. Immerhin bilanzierte der 37-Jährige selbst: „Wenn alles gut gelaufen wäre, wäre ich jetzt nicht hier.“
Die Hauptschuld für die Katastrophensaison sehen sowohl Edgar Quade als auch Fußball-Experte Stefan Effenberg bei ExSportvorstand Michael Reschke und dessen Personalplanung. Der Kader wurde vor der Saison mit Routiniers und Perspektivspielern verstärkt. Eingeschlagen hat beinahe niemand. „Die Kaderplaner, Sportdirektoren, Manager, die stehen in der Hauptverantwortung, ob ein Verein erfolgreich ist. Aber zum Glück werden die jetzt auch mal zur Rechenschaft gezogen“, sagt Effenberg und sendet lakonisch hinterher: „Viel Glück an dieser Stelle für Michael Reschke auf Schalke.“
Dass es dann in der Mannschaft nicht stimme, könne laut Effenberg immer passieren: „Natürlich sollte ein Kader mit diesen Leuten funktionieren, aber im Fußball kommt es aufgrund von Verletzungen, des Alters oder eines Nichtwohlfühlens schon vor, dass der eine oder andere Spieler nicht an die Leistungsgrenze kommt. Und wenn du dann nicht einen davon hast, sondern vier, fünf, sechs, hast du ein Riesenproblem.“
Sammer: Kein Realitätssinn
Aber das sind nicht mehr als aktuelle Symptome. Das Grundübel liegt tiefer: „Da ist irgendwo Sand im Zahnrad vom ganzen Verein – wo er genau steckt, ist aber noch nicht raus“, meint Edgar Quade. Eventuell liege es einfach in der Stuttgarter DNA. Anders sei es nicht erklärbar, dass es trotz all der Personalwechsel immer wieder zu chaotischen Phasen komme. Ähnlich sieht es Matthias Sammer: „In der Vorsaison hauchdünn die internationalen Plätze verpasst zu haben, das hat natürlich alles ausgelöst, aber keinen Realitätssinn.“Der Ex-Nationalspieler, der 1992 mit dem VfB die Meisterschaft gewann und den Verein später trainierte, meint: „In Stuttgart hast du das Gefühl, dass sie es durch all die Zusammenhänge in einer wahnsinnigen Regelmäßigkeit schaffen, sich – fußballerisch – selbst zu zerstören.“Nun muss das zumindest für zwei Spiele beiseitegeschoben werden, denn „es geht um mehr als persönliche Schicksale. Es geht um den Verein, eine ganze Region“, appelliert Edgar Quade. Ähnlich groß fasst es Interimstrainer Nico Willig zusammen: „Es geht um den VfB, es geht um die Region, um das Schwabenland.“
Aber da liegt auch etwas in der Luft, was in der 2. Bundesliga neben den wirtschaftlichen Einschneidungen zum Problem werden könnte: Der Abstieg vor drei Jahren habe die Fans zusammengeschweißt, meint Quade. Nach dem Motto: Jetzt erst recht. Doch die vergangenen Monate hätten mürbe gemacht. Sollte es zum Abstieg kommen, sieht der VfB-Fan in einigen Bereichen schwarz: „Wenn wir absteigen, gibt es einen Bruch im Verein und mit einigen Fans. Wenn wir jetzt absteigen, dann sind wir auch abgestiegen, dann war es kein Betriebsunfall für ein Jahr.“
Aber bis dahin stirbt die Hoffnung zuletzt. Aufgeben gibt es nicht. Schon gar nicht bei den Highlandern und dem harten Kern der Fans. Sie leben das Vereinsmotto: furchtlos und treu. Trainer Willig wünscht sich auf den Rängen gegen Union „55 000 Signalspieler“. Einer davon wird Edgar Quade sein, der sich sicher: ist„Die Fans werden von Anfang an voll da sein.“Bange ist den Highlandern ohnehin nicht. Denn: „Wir werden immer zu Stuttgart stehen.“In den beiden Relegationsspielen gegen Union Berlin umso mehr – und auch danach. Was immer auch passiert.