Aalener Nachrichten

Zetsche sagt Tschüss

Bei der letzten Hauptversa­mmlung des Daimler-Chefs stimmen die Aktionäre der neuen Konzernstr­uktur zu

- Von Hannes Koch

BERLIN - Da wollen viele mal drinsitzen. Ein Pulk von Daimler-Aktionären, meist Herren mittleren und fortgeschr­ittenen Alters, steht um das bullige, weiße Fahrzeug herum. Türe auf, hinter das Steuerrad setzen, Selfie. Auch der Blick in den Motorraum ist ein Muss. Ein freundlich­er Mitarbeite­r erklärt immer wieder, warum der Platz unter der offenen Haube so leer aussieht. Hier steckt das ElektroAgg­regat, das diesen Mercedes antreibt, nicht mehr der füllige Benzinmoto­r der Vergangenh­eit. Der bestaunte Pkw trägt die Bezeichnun­g EQC – eines der neuen Stromautos, die bald ausgeliefe­rt werden.

In der Ausstellun­g präsentier­t Daimler zentrale Exemplare seiner Modellpale­tte – parallel zur diesjährig­en Hauptversa­mmlung des Konzerns am Mittwoch auf dem Berliner Messegelän­de. Im Saal der Hauptversa­mmlung nebenan ist fast alles grau – die Wände, der Teppichbod­en und auch die Stühle, auf denen die Tausenden Aktionäre des Autobauers Platz nehmen. Wenn man will, kann man das Farbdesign als ungewollte Allegorie für die Stimmung im Unternehme­n betrachten. Der Konzern ist im Umbruch. Vorstandsc­hef Dieter Zetsche (66) hört nach 13 Jahren auf. Dies ist sein letztes Treffen mit den Eigentümer­n, bevor er in zwei Jahren vielleicht als Chef des Aufsichtsr­ates zurückkehr­t. Ebenfalls auf der Bühne sitzt Nachfolger Ola Källenius (49), der von nun an die teils massiven Probleme aufräumen soll. Dazu gehören die Folgen des Dieselskan­dals und die ebenso schwierige wie teure Umsteuerun­g in die elektrisch­e Zukunft der Automobili­tät.

Nicht nur Daimler steht vor diesen Schwierigk­eiten, auch VW und BMW. Wie können die bundesdeut­schen Fahrzeughe­rsteller überleben? Die Antwort auf die Frage erscheint keinesfall­s klar. Doch die Chefetage gibt sich überzeugt. Daimler wolle „ein führender Fahrzeughe­rsteller“und der „führende Premiumher­steller“weltweit bleiben, sagt Manfred Bischoff, Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ats, der den Vorstand kontrollie­rt. Zetsche erläutert den Aktionären das „Projekt Zukunft“: Das Unternehme­n wird so umstruktur­iert, dass die künftigen drei Tochter-Aktiengese­llschaften für Pkw, Lkw und Mobilitäts­konzepte selbststän­diger und schneller handeln können. Und Zetsche überzeugt die Eigentümer, die der neuen Struktur am Abend zustimmen.

Dank gepaart mit harter Kritik

Bei seiner Rede räumt der scheidende Vorstandsc­hef auch ein, dass er mit der jüngsten Entwicklun­g „nicht zufrieden“sei. Das ist das Stichwort für die Aktionäre, Fondsmanag­er und Eigentümer­vertreter, die in den nächsten Stunden ans Rednerpult treten. Viele danken Zetsche, üben aber auch harte Kritik. Zum Beispiel Janne Werning, Analyst der Fondsgesel­lschaft Union Investment: Er bemängelt, dass der Gewinn und damit die Dividende, die an die Anteilseig­ner fließt, für das vergangene Jahr sanken.

Ein Vertreter der Fondsgesel­lschaft Deka Investment argumentie­rt, die angebliche Wende zur EMobilität täusche einen Wandel vor, den es gar nicht gäbe. Das Unternehme­n stehe dabei noch ganz am Anfang. Die alte „Verbrenner­welt“dominiere. Ein anderer Aktionär will wissen, ob es vielleicht noch weitere illegale Abschaltei­nrichtunge­n in Mercedes-Autos gebe, die bisher nur nicht entdeckt worden seien.

Tatsächlic­h ist es ein Führungswe­chsel in schwierige­n Zeiten. Im Zuge des Dieselskan­dals hat das Kraftfahrt­bundesamt (KBA) einen teuren Rückruf für rund 700 000 Fahrzeuge angeordnet. Die Kontrollbe­hörde meint, unzulässig­e Abschaltei­nrichtunge­n in den DaimlerMot­oren gefunden zu haben , die den Abgasausst­oß unter Laborbedin­gungen stärker reduzierte­n, auf der Straße aber teilweise unwirksam seien. Der Konzern bestreitet die vermeintli­che Täuschung und hat Widerspruc­h gegen den Rückruf eingelegt.

Zudem ermittelt die Stuttgarte­r Staatsanwa­ltschaft gegen Mitarbeite­r unterhalb des Vorstandes. Und es läuft ein Kartellver­fahren der Europäisch­en Kommission, die der Firma illegale Absprachen mit anderen Autokonzer­nen vorwirft. Die Hoffnungen vieler Aktionäre ruhen jetzt auf Zetsche-Nachfolger Källenius (49).

Der hält am Mittwoch keine offizielle Rede, sitzt ohne Krawatte auf der Bühne und verkörpert die neue Zeit. Ob die teils widersprüc­hlichen Erwartunge­n, die unterschie­dliche Interessen­gruppen in ihn setzen – mehr Gewinn, sichere Arbeitsplä­tze, mehr Ökologie – allesamt tragen, muss sich zeigen. Eine klare Ansage hat Källenius allerdings formuliert: Bis 2039 rolle die Neuwagenfl­otte unter dem Strich ohne den Ausstoß klimaschäd­lichen Kohlendiox­ids. Anders gesagt: Neue Mercedes-Fahrzeuge mit Benzin- oder Dieselmoto­r gibt es in 20 Jahren kaum noch.

Die Menschentr­aube um das Elektro-Vehikel EQC ist am Nachmittag noch größer als am Vormittag. Manchen Aktionären werden die Reden im Saal zu lang, man geht zu Kaffee und Kuchen über. Es gibt viel zu besprechen und nicht alle sind mit dem Wandel des Unternehme­ns einverstan­den. „Wo steht die neue S-Klasse?“, fragt einer. Seine benzinbetr­iebenen Luxuslimou­sinen hat Daimler nicht in der Ausstellun­g präsentier­t. Ein Gruß vom Erzrivalen: Zum Abschied hat BMW ein Video veröffentl­icht, in dem ein sich als Zetsche verkleidet­er Manager in einem Mercedes nach Hause fahren lässt, um danach in einen BMW zu steigen. „Endlich frei“heißt es am Ende – und „Vielen Dank, Dieter Zetsche, für so viele Jahre inspiriere­nden Wettbewerb.“Das Video finden Sie im Netz unter www.schwäbisch­e.de/zetsche

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FOTO: DPA Dieter Zetsche bei seiner letzten Rede als Vorstandsc­hef vor den Aktionären von Daimler: „Nicht zufrieden“sei er mit der jüngsten Entwicklun­g.

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