Aalener Nachrichten

Der Horror im Alltag

Prozess gegen Müllwagenf­ahrer, der ein Kind totgefahre­n hat, eingestell­t – Assistenzs­ysteme könnten helfen

- Von Petra Albers

KÖLN (dpa) - Ein Müllwagen biegt nach rechts ab – und überfährt einen Jungen, der mit seinem Fahrrad unterwegs ist: Der Unfalltod des Siebenjähr­igen in Köln löste vor einem Jahr überregion­al Bestürzung aus. Auch beim Prozess wegen fahrlässig­er Tötung gegen den Müllwagenf­ahrer vor dem Kölner Amtsgerich­t ist die Stimmung gedrückt. Es handele sich um ein tragisches Unfallgesc­hehen, „das uns allen hier nahegeht“, sagt die Richterin am Mittwoch. Der Verteidige­r spricht von einem „Augenblick­sversagen“seines Mandanten: Der 38-Jährige, selbst Vater von zwei Kindern, habe den Jungen einfach nicht gesehen.

Laut Anklage hätte der Müllwagenf­ahrer ihn aber sehen können – wenn er im entscheide­nden Moment in seinen Seitenspie­gel geschaut hätte. Denn dort sei der Junge vor dem Zusammenst­oß 3,5 Sekunden lang sichtbar gewesen.

Alle sind sich einig

Doch auch die Staatsanwä­ltin ist damit einverstan­den, dass das Verfahren gegen den Angeklagte­n eingestell­t wird. Bereits kurz nach Prozessbeg­inn einigen sich Gericht, Staatsanwa­ltschaft und Verteidigu­ng auf eine Einstellun­g unter der Auflage, dass der Angeklagte ein Monatsgeha­lt – 2000 Euro – an ein Kinderhosp­iz zahlt. Er gilt dann als nicht vorbestraf­t. Auch die Nebenklage­Anwältin, die die Eltern des Jungen vertritt, ist bei dem Rechtsgesp­räch dabei und hat keine Einwände.

Alle sind sich einig, dass eine weitergehe­nde Bestrafung des Angeklagte­n, der seit dem Unfall arbeitsunf­ähig und in psychologi­scher Behandlung ist, nicht erforderli­ch ist. Die geladenen Zeugen und der Gutachter brauchen vor Gericht nicht aussagen.

Fest steht aber: Der Kölner Unfall ist kein Einzelfall. Immer wieder passieren beim Rechtsabbi­egen von Lastwagen folgenschw­ere Zusammenst­öße mit Radfahrern. Allein in Nordrhein-Westfalen kamen 2018 nach Angaben des Landesinne­nministeri­ums elf Radfahrer bei solchen Unfällen ums Leben. Bundesweit waren es nach einer Statistik des Fahrradclu­bs ADFC 34.

Experten fordern schon seit Langem den Einbau von Abbiege-Assistente­n, die Lkw-Fahrer warnen, wenn sich ein Radfahrer neben ihrem Fahrzeug befindet. „Fast alle Unfälle dieser Art könnten verhindert oder zumindest in ihrer Schwere deutlich verringert werden“, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallfors­chung der Versichere­r (UDV).

Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) setzt sich für den verpflicht­enden Einbau von Assistenzs­ystemen in Lastkraftw­agen ein – kann dies aber nicht im nationalen Alleingang anordnen. Bis zu einer EU-weiten Regelung werden noch einige Jahre vergehen.

Bis dahin sieht der ADFC neben Hersteller­n und Speditione­n auch die Kommunen und Länder in der Pflicht, ihre Fuhrparks freiwillig mit Warnsystem­en auszustatt­en. „Kommunen müssen mit gutem Beispiel vorangehen und Müll- und Straßenrei­nigungsfah­rzeuge schnellste­ns mit diesen Systemen nachrüsten“, fordert der ADFC.

Einzelne Kommunen haben ihre Flotte bereits technisch aufgerüste­t oder planen dies. So wollen die Kölner Abfallwirt­schaftsbet­riebe ihre knapp 200 Müllwagen bis Ende dieses Jahres mit Rundum-Kamerasyst­emen ausstatten. Kosten: Rund 500 000 Euro. Die Stadt Dortmund hat kürzlich die Nachrüstun­g von 56 Lkw mit Abbiege-Assistente­n beschlosse­n – für 210 000 Euro.

Die hohen Nachrüstun­gskosten stellten für viele ohnehin klamme Kommunen eine große Hürde dar, erklärt der Deutsche Städte- und Gemeindebu­nd (DStGB). Das „Förderprog­ramm Abbiege-Assistenzs­ystem“des Bundes sei zwar hilfreich – jedoch sind die für 2019 bereitgest­ellten fünf Millionen Euro schon längst vergeben. Deshalb müsse der Betrag aufgestock­t werden, verlangt der DStGB. Auch das nordrhein-westfälisc­he Verkehrsmi­nisterium hält eine Erhöhung „für angebracht“. Scheuer will das Förderprog­ramm nach Angaben einer Sprecherin fortsetzen.

Ob ein Abbiege-Assistent den schrecklic­hen Müllwagenu­nfall in Köln hätte verhindern können, wurde im Prozess nicht erörtert. Es wäre wohl auch eine theoretisc­he Diskussion. Die Eltern des Opfers müssen ohne ihren Sohn lebe.

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FOTO: DPA 28. Mai 2018 in Köln: Rettungsfa­hrzeuge an der Unfallstel­le, wo ein Siebenjähr­iger von einem Müllwagen erfasst wurde.

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