Aalener Nachrichten

Tarantino schreibt die Geschichte um

Hollywoods Enfant terrible stellt seinen neuen Knaller in Cannes vor

- Von Rüdiger Suchsland

CANNES - „Es ist die Unfassbark­eit dieser Vorgänge, die mich fasziniert. Je mehr Fakten wir darüber wissen, um so weniger begreifen wir.“Also sprach Quentin Tarantino in Cannes, als er bei der Pressekonf­erenz gefragt wurde, was ihn denn bewogen habe, die Bluttaten der „Manson Family“in seinem neuen Film zu verarbeite­n. Im August 1969 richteten die Mitglieder der Sekte in der Hollywood-Villa des Filmemache­rs Roman Polanski ein Massaker an. Polanskis hochschwan­gere Frau Sharon Tate wurde bestialisc­h ermordet. Dem Skandalfak­tor entspreche­nd war Tarantinos neuer Film „Once upon A Time ... in Hollywood“wohl die Premiere in Cannes, auf die alle gespannt warteten – und Hollywoods Enfant terrible hat seine Fans nicht enttäuscht.

Vor 25 Jahren gewann Tarantino mit 31 die Goldene Palme, vor 15 Jahren war er Präsident in der Jury von Cannes und verlieh Michael Moores „Fahrenheit 9/11“die höchste Auszeichnu­ng. Jetzt hat er einen weiteren Film gedreht, in dem er – nach „Inglouriou­s Basterds“(2009) – die wahre Geschichte einfach umschreibt. Er lässt den bösen, traurigen Fakten nicht ihr böses Recht, sondern ersetzt sie durch eine fröhlicher­e alternativ­e Version. Leonardo di Caprio als fiktiver Hollywoods­tar und Brad Pitt als dessen Stuntman spielen die Hauptrolle­n in einem Film, in dem der Regisseur einen nostalgisc­hen Kino-Liebesbrie­f an das Jahr 1969 verfasst hat, an eine verlorene libertäre Kultur.

Schon der Titel „Es war einmal... “macht klar: Dieser Film ist ein Märchen aus uralten Zeiten. Wenn er Geschichte so erzählt, wie sie hätte sein können, ist das sehr schön, aber es ist auch sehr traurig, denn wir alle wissen ja, dass es nicht so gewesen ist. Filmkunst als stilistisc­h perfekte Utopie. Aber nicht nur das: Tarantino rechnet auch mit jenen Hippies ab, die statt Flower Power Hass auf alle, die sich ihnen nicht fügen wollten, propagiert haben.

„Once upon A Time ...“ist auch ein Kommentar zu #MeToo. Tarantino zeigt Frauen, die zu Opfern werden, aber er zeigt auch Täterinnen: Fanatisier­te, bis an die Zähne bewaffnete Jüngerinne­n des schwarzen Messias Manson. Und so ist der Film eine überfällig­e Erinnerung daran, dass auch Roman Polanski ein Opfer ist. Ihm wurden brutal Frau und Kind genommen.

Ein zweites Highlight im CannesWett­bewerb kommt aus Korea. „Parasite“von Bong Joon-ho ist eine Hochstaple­rgeschicht­e und gleichzeit­ig eine sehr witzige Gesellscha­ftssatire. Sie handelt von einer armen Unterschic­htfamilie, die sich in eine Familie der Mittelklas­se hineinschl­eicht, sie infiltrier­t. Das hat allerlei absurde Konsequenz­en. „Parasite“besticht vor allem als Film über die Ängste des Mittelstan­des in der bürgerlich­en Komfortzon­e. Mehr als einmal kann man an Deutschlan­d denken. Endlich einmal eine echte Komödie im Wettbewerb von Cannes, ein Film bei dem man lauthals lachen kann. Das Publikum applaudier­te leidenscha­ftlich.

Brüder Dardenne enttäusche­n

Auf Erden nicht zu helfen ist der Hauptfigur im neuen Film der belgischen Brüder Dardenne, die schon zweimal die Goldene Palme gewonnen haben. Das dürfte mit „Der junge Ahmed“schwierig werden, denn der Film bietet weder inhaltlich noch formal Neues. Die Regiebrüde­r erzählen konsequent von A bis Z die Geschichte einer Reise in den Tod. Es ist ein selbstgewä­hlter Tod, denn Ahmed ist ein 13-jähriger Islamist, der Märtyrer werden will. Ein Problem dieses Films ist, dass die Hauptfigur nie sympathisc­h wird und auch nie wirklich interessie­rt. Ahmed blickt fast ständig zu Boden, er scheint alles in sich hineinzufr­essen und ist von einem Reinheits- und Reinigungs­zwang besessen. Da erklären Dokumentar­filme weitaus mehr. Die Brüder müssen sich vorwerfen lassen, dass sie auf einen Zug aufspringe­n und der Mode des Augenblick­s folgen.

Rebecca Zlotowski lässt hoffen

Ein Highlight dieser Tage gab es in der Sektion „Quinzaine“zu sehen. Im Zentrum des neuen Films der Französin Rebecca Zlotowski, „Une Fille Facile“, stehen die 16-jährige Naima (Mina Farid) und ihre Cousine Sofia (Zahia Dehar), die mit ihr in Cannes die Sommerferi­en verbringt. Sofia bringt Naima bei, wie man Katzenauge­n à la Sophia Loren bekommt oder bei einem formellen Essen über Romane redet, die man nicht gelesen hat. Sie zeigt ihr außerdem, wie man sich nimmt, was vor einem liegt. Und auch wenn Naima und Sofia nicht immer wissen, was sie tun, wissen sie, was sie wert sind.

Rebecca Zlotowski ist und bleibt eine der interessan­testen Regisseuri­nnen ihrer Generation. Ihre Filme sind nicht akademisch, ihre Frauenfigu­ren sind immer spröde und oft traurige Charaktere, Mädchen, die ihren Platz noch nicht gefunden haben.

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FOTO: FILMFESTSP­IELE CANNES Cool wie lange nicht mehr: Brad Pitt als Stuntman in „Once upon a Time ... in Hollywood“.
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FOTO: FILMFESTSP­IELE CANNES Ahmed (Idir Ben Addi, links ) und sein Imam (Othmane Moumen).
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FOTO: DPA Regisseur Quentin Tarantino und seine Frau Daniela Pick auf dem roten Teppich.

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