Auf rostroten Linien durchs Oberland
Robert Schads Skulpturenprojekt „Von Ort zu Ort“ist eine der größten Kunstaktionen
RAVENSBURG - 1300 Stunden Arbeit, 1000 E-Mails und Telefonate, 12 000 gefahrene Kilometer und rund 420 Tonnen Stahl, die mit 19 Lastwagen durchs Oberland gekarrt wurden, stecken in Robert Schads Projekt „Von Ort zu Ort“. 60 Skulpturen wurden in den vergangenen Monaten an 40 Orten in fünf Landkreisen aufgestellt, hinzu kommen 17 weitere, die bereits in verschiedenen Städten stehen. Jetzt zieht sich eine Linie aus rotbraunem Stahl durch Oberschwaben und verbindet von West nach Ost Leibertingen mit Memmingen und von Nord nach Süd Ulm mit der Bodenseeregion.
Nein, ein gefälliges Werk hat Robert Schad nicht zu bieten. Seine abstrakten Skulpturen sind von rauer Schönheit. Aus rostigem Vierkantstahl zeichnet er Linien in den Raum. Am Waldrand von Oggelhausen zum Beispiel in der Nähe des Federsees wächst eine von ihnen kraftvoll aus dem Boden,verdichtet sich an manchen Stellen, macht eigenwillige Knicke, um sich anschließend dynamisch gen Himmel zu strecken. „Enfime“(2016), so der Titel der Raumzeichnung, bildet mit den hohen Fichten im Hintergrund eine harmonische Einheit und ist erst auf den zweiten Blick zu entdecken. Den ungewöhnlichen Standort hat der international bekannte Künstler bewusst gewählt, denn diese Monokulturen seien typisch für die oberschwäbische Forstwirtschaft.
Mit seiner Kunstaktion will der gebürtige Ravensburger also nicht nur das touristische Oberschwaben mit seinen prächtigen Barockbauten, idyllischen Kleinstädten und dem herrlichen Alpenblick zeigen, sondern auch auf Plätze hinweisen, die charakteristisch für die Kulturlandschaft hier sind, wo Dorfentwicklung sichtbar wird oder die Wirtschaftskraft der Region auftrumpft. Das heißt: Robert Schad will auch den Einheimischen ein neues Gefühl für Oberschwaben vermitteln. „Und wenn sie am Ende wieder weg sind, dann sollen die Leute durchaus auch ein Gefühl der Leere haben“, sagte der Künstler auf der Pressekonferenz.
Raue Schönheiten
In Mooshausen bei Aitrach zum Beispiel bildet die Skulptur „Tauk“(1998) neben einem Schuppen auf einem malerischen Hügel ein zackiges „O“, während „Valtz“(2017) am Seeufer in Kressbronn gleich ins Wasser zu stürzen scheint. Die riesige Raumzeichnung „Marrak“(2019) in Ehingen wiederum nimmt die Formen der Kräne der Firma Liebherr in der Nachbarschaft auf und tritt so in einen Dialog mit ihnen. Ganz anders wirkt im Vergleich dazu die Skulptur „Knox“(2016), die sich auf dem Kirchplatz in Beuron ganz klein macht.
„Meine Skulpturen bestehen aus assoziativen Formen, die zum Nachdenken anregen sollen“, erklärt der 66-jährige Künstler. Tatsächlich spielen sie gekonnt mit Gegensätzen: Das Leichte trifft auf das Schwere, das Konstruierte auf das Gewachsene, das Abstrakte auf das Gegenständliche, die Leere auf die Fülle, das Dunkle auf das Helle, das Dreidimensionale auf das Flächige. So kommt es, dass die einen Raumzeichnungen still und geschlossen wirken, die anderen lebendig und ausgreifend, wieder andere eher fahrig und nervös. Schad selbst betrachtet sie als Protagonisten in einem großen Theater. Deshalb bekommt auch jede seiner Skulpturen einen Namen. Geht eine von ihnen, weil sie einen Käufer findet, muss sie ersetzt werden, damit das Gesamtbild wieder stimmt.
Spiel mit Gegensätzen
Elf Plastiken sind extra für das Projekt in Oberschwaben entstanden – für Meßkirch, Ochsenhausen, Achberg, Kißlegg, Schlier und Ehingen. Alle weiteren haben eine Geschichte hinter sich und waren bereits an anderen Orten zu sehen, etwa bei Skulpturenpfaden in der Bretagne oder in Portugal. Und sie werden hinterher auch weiterziehen. Das nächste Projekt in Lahr bei Freiburg ist schon in Planung. „Spannend ist vor allem, wie sie sich mit den Standorten verändern“, sagt Schad. Auch das Wetter und die Jahreszeiten haben einen Einfluss auf ihre Wirkung. In der Sonne glänzen sie hellrot, bei Regen wird der Stahl schwarz und düster. Jetzt im Frühling macht ihnen die Natur Konkurrenz, im Herbst wirken sie dafür umso mächtiger.
Dass Robert Schad nach wie vor vom Industriematerial Stahl fasziniert ist, hat mehrere Gründe, wie er im Gespräch erklärt. Erstens erlaube es Spontaneität, zweitens biete es viele Möglichkeiten in der Verarbeitung und drittens komme es optisch leicht daher, obwohl es in Wirklichkeit tonnenschwer sei. Und je nachdem, welche Formen die Linie in den Raum schickt, ergeben sich dann auch die Namen für seine Skulpturen.
Der Bildhauer, der seit vielen Jahren in der Region Franche-Comté in Frankreich lebt, hat in das Projekt „Von Ort zu Ort“viel Zeit und Herzblut gesteckt. Er selbst hat dabei auch Neuland für sich entdeckt, zum Beispiel das obere Donautal, das er bis dato kaum kannte. Dort hat Robert Schad auch seinen Lieblingsplatz gefunden: die Josefskapelle in Sigmaringen. „Die Aussicht auf das Schloss ist ein Traum.“Seine Skulptur „Balug“(2012) schlägt jetzt mit zackigen, energiegeladenen Linien eine Brücke von der kleinen barocken Kapelle zum imposanten Schloss. Es ist nur einer von vielen Standorten, die man unbedingt live erlebt haben sollte.