Thuja statt Tanne: Angst vorm Gartenbaum wächst
Furcht vor Stürmen und Arbeit mit dem Laub – Immer öfter lassen Grundstücksbesitzer hohe Bäume fällen
ELLWANGEN - „Endlich“, freut sich eine Rentnerin. Weit übers Hausdach ragte ihre Tanne zuletzt, nun ist damit Schluss. Im Garten daneben fiel der 50 Jahre alte Kirschbaum, ein paar Häuser weiter wurde die große Rotbuche entfernt. „Schade“, bedauert eine Nachbarin. „Jetzt haben es die Amseln noch schwerer, einen Nistplatz zu finden.“Es gibt viele gute Gründe dafür, einen Baum abzusägen, der seit Jahrzehnten im Garten stand. Und viele gute dagegen. Fällt die Entscheidung dabei immer öfter gegen den Baum?
„Ja, es ist mehr geworden“, sagt Kai Winter, Inhaber des Forst- und Gartenserviceunternehmens BiberTeam, das Baumpflege und -fällung anbietet. „Es ist Wahnsinn dieses Jahr“, bestätigt Amanda Hausmann, die Pressesprecherin der Abfallgesellschaft GOA. Winter und seine Lebensgefährtin Birgit Schweier, die regelmäßig auch in Ellwangen tätig sind, beobachten den Trend bereits seit einigen Jahren. „Es ist oft die Angst“, erklärt Winter, und Schweier nickt: „Wenn ein Sturm kommt wie der im Sommer 2011, dann kann man nichts machen.“
Mit den Stürmen wächst die Angst
Seit 2011 seien die Stürme und Gewitter mehr und heftiger geworden, findet das Biber-Team. „Seit 2011 gibt es auch auffallend viele Tornados und heftige Windböen.“Und es bleibe auch immer länger heiß und trocken. „Beim Baum wirkt sich das verzögert aus“, erklärt Winter. Über die Zeit werde seine Krone nicht mehr richtig versorgt, in geschwächtem Zustand können sich Schadinsekten einnisten. „Das sieht man oben in Bäumen querbeet, man muss nur die Augen aufmachen“, so Winter. Ein Baum mit einem Defekt aber falle schneller um, ein Flachwurzler allemal. „Wenn die Leute lesen, dass im Sturm ein Baum auf ein Auto gefallen ist, dann bekommen sie Angst, dass bei ihnen auch etwas passiert.“Also treffen sie Vorsorge. Zumal Grundstückseigentümer nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch dazu verpflichtet sind, die Sicherheit ihrer Bäume im Garten zu kontrollieren und, wenn Gefahr droht, aktiv zu werden. Sonst haften sie für Schäden.
Aber es ist nicht nur das. 2010 wurde das Bundesnaturschutzgesetz geändert. Seither darf in Privatgärten das ganze Jahr über gefällt werden. Es sei denn, geschützte Wildtiere nisten oder brüten im fraglichen Baum oder es gibt eine örtliche Baumsatzung. „In Ellwangen gibt es keine“, teilt der städtische Pressesprecher Anselm Grupp mit.
Fällen oder nicht: „Das ist der persönliche Spielraum eines jeden Gartenbesitzers“, weiß Winter. Eichen werden wegen des Eichenprozessionsspinners gefällt, dessen Raupen auf ihrer Wanderung sogar in Häuser geraten. „In Ellwangen war das letztes Jahr ganz schlimm“, erinnert sich der Inhaber des Biber-Teams. Manche Gartenbäume haben mit den Jahren die Abwasserrohre im Boden durchwurzelt und damit blockiert, andere mit ihren Blättern die Dachrinne verstopft. Allergiker haben mit Pollen zu kämpfen. Und dann ist da noch das Problem mit dem Herbstlaub.
Für Ältere wird das Laub zum Problem
„Gerade die Älteren sagen das“, erzählt Winter. „Sie haben eine Kastanie oder einen Kirschbaum und sagen, das Laub schaffe ich nicht mehr. Also muss der ganze Baum weg.“Nachdenklich wird der Fachmann bei diesem Gedanken. Früher hätten drei Generationen beieinander gewohnt, heute fehle oft die Hilfe der Jungen. Was Henry Forster, der Geschäftsführer der GOA, für seinen Servicetrupp nur bestätigen kann. „Auch bei uns sind grundsätzlich die Anfragen nach Unterstützung im Garten gestiegen“, berichtet er, „nicht nur um zu fällen, sondern auch für den Heckenschnitt.“Auch er vermutet die demografische Entwicklung als Ursache: Die Älteren schaffen das nicht mehr selbst, und die Jüngeren sind weggezogen, haben keine Zeit oder kein Interesse. „Wir sind früher doch noch in die Bäume gestiegen und haben das Obst gepflückt“, erinnert sich Forster. „Aber wer macht das heute noch, wenn es ein Kilo Äpfel für 1,50 Euro zu kaufen gibt?“
Und dann gibt’s auch noch das: den neuen Nachbarn, den etwas stört: Der Lindennektar klebt, die Walnüsse fallen aufs Auto, die Tanne wirft zu viel Schatten, zählt Winter auf. Häufig sei auch: Der Baum muss weg, damit die neue Photovoltaikanlage dem Nachbarn ein paar Euro mehr Einspeisevergütung bringt. „Eigentlich muss man dem Nachbarn nicht nachgeben“, sagt der Fachmann. „Aber niemand möchte dauerhaft auf Konfrontationskurs mit jemandem sein, neben dem er wohnt.“
Bäume sind wichtig fürs Klima
Winter findet so etwas schade. Bäume, sagt er, seien so viel mehr als ein Wirtschaftsfaktor. „Es sind Lebewesen und ein Habitat mit vielen Funktionen, ein Nist- und Brutplatz für Tiere, wichtig für das Klima, ein Staubfilter und Lärmschutz. Bäume werten die Umgebung auf, tragen zur Erholung bei, geben uns Luft und Schatten.“Oft könnte man durch die richtigen Pflegemaßnahmen einen Baum erhalten, und wenn nicht, immerhin im Garten wieder einen neuen pflanzen. „Aber wenn man einen Baum fällt, kommt ganz selten ein neuer da hin“, ist Winters Erfahrung. „Das ist erschreckend.“
Was stattdessen kommt, „das sieht man ja“, sagt Henry Forster: „Steingärten und langsam wachsende Büsche, denn man will zwar einen Garten, hat aber nach Feierabend keine Zeit und Lust mehr zum Umgraben.“Also bestücken jüngere Leute ihr Grundstück mit immergrünem Buchsbaum, Thuja und Kirschlorbeer. „Und dazu ein Kiesbett“, bestätigt auch Birgit Schweier, „dann hat man keine Arbeit, aber einen toten Garten.“
Nur müsse man sich dann über Bienensterben und Artenschwund nicht wundern, findet Winter. Auch der fehlende Schatten könnte den Gartenbesitzern in Zeiten des Klimawandels bald zu schaffen machen. „Wer nur Sträucher im Garten hat, kommt im Sommer vor Hitze um, und auch im Haus ist dann zu viel Licht und Hitze, das unterschätzen viele.“
Doch liege die Entscheidung immer beim Gartenbesitzer. Winter und Schweier plädieren dafür, nach dem Motto „weniger ist mehr“Bäume so fachgerecht zu schneiden, dass sie „mehr als Deko“sind und nicht der Wind durch sie pfeift, „denn darin nistet kein Vogel“. Das BiberTeam würde sich ein Umdenken wünschen und findet: „Darin machen unsere Kinder uns Hoffnung.“