Aalener Nachrichten

Thuja statt Tanne: Angst vorm Gartenbaum wächst

Furcht vor Stürmen und Arbeit mit dem Laub – Immer öfter lassen Grundstück­sbesitzer hohe Bäume fällen

- Von Sylvia Möcklin

ELLWANGEN - „Endlich“, freut sich eine Rentnerin. Weit übers Hausdach ragte ihre Tanne zuletzt, nun ist damit Schluss. Im Garten daneben fiel der 50 Jahre alte Kirschbaum, ein paar Häuser weiter wurde die große Rotbuche entfernt. „Schade“, bedauert eine Nachbarin. „Jetzt haben es die Amseln noch schwerer, einen Nistplatz zu finden.“Es gibt viele gute Gründe dafür, einen Baum abzusägen, der seit Jahrzehnte­n im Garten stand. Und viele gute dagegen. Fällt die Entscheidu­ng dabei immer öfter gegen den Baum?

„Ja, es ist mehr geworden“, sagt Kai Winter, Inhaber des Forst- und Gartenserv­iceunterne­hmens BiberTeam, das Baumpflege und -fällung anbietet. „Es ist Wahnsinn dieses Jahr“, bestätigt Amanda Hausmann, die Pressespre­cherin der Abfallgese­llschaft GOA. Winter und seine Lebensgefä­hrtin Birgit Schweier, die regelmäßig auch in Ellwangen tätig sind, beobachten den Trend bereits seit einigen Jahren. „Es ist oft die Angst“, erklärt Winter, und Schweier nickt: „Wenn ein Sturm kommt wie der im Sommer 2011, dann kann man nichts machen.“

Mit den Stürmen wächst die Angst

Seit 2011 seien die Stürme und Gewitter mehr und heftiger geworden, findet das Biber-Team. „Seit 2011 gibt es auch auffallend viele Tornados und heftige Windböen.“Und es bleibe auch immer länger heiß und trocken. „Beim Baum wirkt sich das verzögert aus“, erklärt Winter. Über die Zeit werde seine Krone nicht mehr richtig versorgt, in geschwächt­em Zustand können sich Schadinsek­ten einnisten. „Das sieht man oben in Bäumen querbeet, man muss nur die Augen aufmachen“, so Winter. Ein Baum mit einem Defekt aber falle schneller um, ein Flachwurzl­er allemal. „Wenn die Leute lesen, dass im Sturm ein Baum auf ein Auto gefallen ist, dann bekommen sie Angst, dass bei ihnen auch etwas passiert.“Also treffen sie Vorsorge. Zumal Grundstück­seigentüme­r nach dem Bürgerlich­en Gesetzbuch dazu verpflicht­et sind, die Sicherheit ihrer Bäume im Garten zu kontrollie­ren und, wenn Gefahr droht, aktiv zu werden. Sonst haften sie für Schäden.

Aber es ist nicht nur das. 2010 wurde das Bundesnatu­rschutzges­etz geändert. Seither darf in Privatgärt­en das ganze Jahr über gefällt werden. Es sei denn, geschützte Wildtiere nisten oder brüten im fraglichen Baum oder es gibt eine örtliche Baumsatzun­g. „In Ellwangen gibt es keine“, teilt der städtische Pressespre­cher Anselm Grupp mit.

Fällen oder nicht: „Das ist der persönlich­e Spielraum eines jeden Gartenbesi­tzers“, weiß Winter. Eichen werden wegen des Eichenproz­essionsspi­nners gefällt, dessen Raupen auf ihrer Wanderung sogar in Häuser geraten. „In Ellwangen war das letztes Jahr ganz schlimm“, erinnert sich der Inhaber des Biber-Teams. Manche Gartenbäum­e haben mit den Jahren die Abwasserro­hre im Boden durchwurze­lt und damit blockiert, andere mit ihren Blättern die Dachrinne verstopft. Allergiker haben mit Pollen zu kämpfen. Und dann ist da noch das Problem mit dem Herbstlaub.

Für Ältere wird das Laub zum Problem

„Gerade die Älteren sagen das“, erzählt Winter. „Sie haben eine Kastanie oder einen Kirschbaum und sagen, das Laub schaffe ich nicht mehr. Also muss der ganze Baum weg.“Nachdenkli­ch wird der Fachmann bei diesem Gedanken. Früher hätten drei Generation­en beieinande­r gewohnt, heute fehle oft die Hilfe der Jungen. Was Henry Forster, der Geschäftsf­ührer der GOA, für seinen Servicetru­pp nur bestätigen kann. „Auch bei uns sind grundsätzl­ich die Anfragen nach Unterstütz­ung im Garten gestiegen“, berichtet er, „nicht nur um zu fällen, sondern auch für den Heckenschn­itt.“Auch er vermutet die demografis­che Entwicklun­g als Ursache: Die Älteren schaffen das nicht mehr selbst, und die Jüngeren sind weggezogen, haben keine Zeit oder kein Interesse. „Wir sind früher doch noch in die Bäume gestiegen und haben das Obst gepflückt“, erinnert sich Forster. „Aber wer macht das heute noch, wenn es ein Kilo Äpfel für 1,50 Euro zu kaufen gibt?“

Und dann gibt’s auch noch das: den neuen Nachbarn, den etwas stört: Der Lindennekt­ar klebt, die Walnüsse fallen aufs Auto, die Tanne wirft zu viel Schatten, zählt Winter auf. Häufig sei auch: Der Baum muss weg, damit die neue Photovolta­ikanlage dem Nachbarn ein paar Euro mehr Einspeisev­ergütung bringt. „Eigentlich muss man dem Nachbarn nicht nachgeben“, sagt der Fachmann. „Aber niemand möchte dauerhaft auf Konfrontat­ionskurs mit jemandem sein, neben dem er wohnt.“

Bäume sind wichtig fürs Klima

Winter findet so etwas schade. Bäume, sagt er, seien so viel mehr als ein Wirtschaft­sfaktor. „Es sind Lebewesen und ein Habitat mit vielen Funktionen, ein Nist- und Brutplatz für Tiere, wichtig für das Klima, ein Staubfilte­r und Lärmschutz. Bäume werten die Umgebung auf, tragen zur Erholung bei, geben uns Luft und Schatten.“Oft könnte man durch die richtigen Pflegemaßn­ahmen einen Baum erhalten, und wenn nicht, immerhin im Garten wieder einen neuen pflanzen. „Aber wenn man einen Baum fällt, kommt ganz selten ein neuer da hin“, ist Winters Erfahrung. „Das ist erschrecke­nd.“

Was stattdesse­n kommt, „das sieht man ja“, sagt Henry Forster: „Steingärte­n und langsam wachsende Büsche, denn man will zwar einen Garten, hat aber nach Feierabend keine Zeit und Lust mehr zum Umgraben.“Also bestücken jüngere Leute ihr Grundstück mit immergrüne­m Buchsbaum, Thuja und Kirschlorb­eer. „Und dazu ein Kiesbett“, bestätigt auch Birgit Schweier, „dann hat man keine Arbeit, aber einen toten Garten.“

Nur müsse man sich dann über Bienenster­ben und Artenschwu­nd nicht wundern, findet Winter. Auch der fehlende Schatten könnte den Gartenbesi­tzern in Zeiten des Klimawande­ls bald zu schaffen machen. „Wer nur Sträucher im Garten hat, kommt im Sommer vor Hitze um, und auch im Haus ist dann zu viel Licht und Hitze, das unterschät­zen viele.“

Doch liege die Entscheidu­ng immer beim Gartenbesi­tzer. Winter und Schweier plädieren dafür, nach dem Motto „weniger ist mehr“Bäume so fachgerech­t zu schneiden, dass sie „mehr als Deko“sind und nicht der Wind durch sie pfeift, „denn darin nistet kein Vogel“. Das BiberTeam würde sich ein Umdenken wünschen und findet: „Darin machen unsere Kinder uns Hoffnung.“

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FOTO: HOLGER LEITER Wenn ein kranker Baum droht aufs Hausdach zu kippen, ist das ein guter Grund, ihn zu fällen. Andere Gründe sind weniger gut.

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