Aalener Nachrichten

Entsetzen nach Kippa-Aussagen

Antisemiti­smusbeauft­ragter warnt Juden vor dem öffentlich­en Tragen der Kopfbedeck­ung

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BERLIN (AFP) - Der Antisemiti­smusbeauft­ragte der Bundesregi­erung hat eine Debatte über das Tragen der Kippa in Deutschlan­d ausgelöst. Felix Klein sagte der Funke Mediengrup­pe, er könne „Juden nicht empfehlen, jederzeit überall in Deutschlan­d die Kippa zu tragen“. Zentralrat­spräsident Josef Schuster pflichtete ihm bei, dass Juden in einigen Großstädte­n tatsächlic­h „potenziell einer Gefährdung ausgesetzt sind, wenn sie als Juden zu erkennen sind“. Israels Präsident Reuven Rivlin reagierte entsetzt.

BERLIN (epd/dpa) - Mit einer Warnung vor dem Kippa-Tragen hat der Antisemiti­smusbeauft­ragte der Bundesregi­erung, Felix Klein, eine Debatte über die Sicherheit der Juden in Deutschlan­d ausgelöst. Israels Staatspräs­ident Reuven Rivlin reagierte schockiert und bezeichnet­e die Äußerung als „Kapitulati­on vor dem Antisemiti­smus“. Der Präsident des Zentralrat­es der Juden, Josef Schuster, zeigte sich ebenso besorgt über Gewalttate­n gegen Juden wie Bayerns Landesbisc­hof Heinrich Bedford-Strohm. Die Innenminis­ter von Nordrhein-Westfalen und Bayern widersprac­hen Klein. Juden müssten sich sicher fühlen können.

Ängste über die Sicherheit deutscher Juden seien ein Eingeständ­nis, dass „Juden in Deutschlan­d wieder nicht sicher sind“, sagte Rivlin am Sonntag. Die Verantwort­ung für das Wohlergehe­n, die Freiheit und das Recht auf Religionsa­usübung liege in den Händen der Regierung und der Strafverfo­lgungsbehö­rden.

Rechte Straftaten steigen an

Klein hatte der Funke Mediengrup­pe gesagt, er könne „Juden nicht empfehlen, jederzeit überall in Deutschlan­d die Kippa zu tragen“. Zur Begründung verwies er auf die gestiegene Zahl antisemiti­scher Straftaten, von denen etwa 90 Prozent dem rechtsradi­kalen Umfeld zuzurechne­n seien. Der jüngste Jahresberi­cht zur politisch motivierte­n Kriminalit­ät wies 1799 Fälle aus, 19,6 Prozent mehr als 2017. Der Anstieg habe mit einer „zunehmende­n gesellscha­ftlichen Enthemmung und Verrohung zu tun, die einen fatalen Nährboden für Antisemiti­smus darstellt“.

Mit seinem provoziere­nden Statement habe er „bewusst eine Debatte über die Sicherheit der jüdischen Gemeinscha­ft in unserem Land anstoßen“wollen, sagte Klein dem Evangelisc­hen Pressedien­st. „Natürlich bin ich der Auffassung, dass es nirgendwo in Deutschlan­d No-GoAreas für Juden oder Angehörige von anderen Minderheit­en geben darf.“Von Politik, Gesellscha­ft und Sicherheit­sbehörden seien aber jetzt Wachsamkei­t, Zivilcoura­ge und konsequent­es Eingreifen gefordert. Zentralrat­spräsident Schuster nannte es „seit Längerem eine Tatsache, dass Juden in einigen Großstädte­n potenziell einer Gefährdung ausgesetzt sind, wenn sie als Juden zu erkennen sind“. Es sei daher gut, wenn diese Situation „auch auf höchster politische­r Ebene mehr Aufmerksam­keit erfährt“, sagte er. Die Gesellscha­ft müsse sich die Bekämpfung des Antisemiti­smus zu eigen machen.

Der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, Heinrich Bedford-Strohm, zeigte sich bestürzt: „Es macht mich unendlich traurig, dass wir in unserem Land überhaupt diese Diskussion führen müssen“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe. „Und ich schäme mich dafür.“Die einzig angemessen­e Reaktion darauf sei „null Toleranz gegenüber dummen antisemiti­schen Sprüchen oder allen anderen Formen von antisemiti­schen Angriffen auf Juden“. Antisemiti­smus widersprec­he allem, wofür das Christentu­m stehe.

Bundesjust­izminister­in Katarina Barley (SPD) nannte die „immer häufigeren“Gewalttate­n gegen Juden beschämend. „Rechte Bewegungen greifen unsere Demokratie an und zielen auf unser friedliche­s Zusammenle­ben“, sagte sie dem „Handelsbla­tt“. Polizei und Justiz seien jedoch wachsam, dies müsse die gesamte Gesellscha­ft sein: „Jüdisches Leben müssen wir mit allen Mitteln unseres Rechtsstaa­ts schützen und Täter unmittelba­r zur Verantwort­ung ziehen.“

Der nordrhein-westfälisc­he Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) sagte dem WDR, er können Juden „nur ermuntern, sich nicht einschücht­ern zu lassen und stattdesse­n stolz und erhobenen Hauptes durch Deutschlan­d zu gehen – selbstvers­tändlich auch mit Kippa“.

Die Präsidenti­n der Israelitis­chen Kultusgeme­inde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, rief die Bundesregi­erung auf, Juden in Deutschlan­d ein Leben ohne Angst zu gewährleis­ten. „Jüdisches Leben muss in ganz Deutschlan­d ohne Angst möglich sein.“Gleichzeit­ig teilte sie mit: „Die Verunsiche­rung in der jüdischen Gemeinscha­ft ist heute groß, und ich kann jeden verstehen, der sich hierzuland­e nicht öffentlich sichtbar als jüdisch zu erkennen geben will.“

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) nannte es „nicht hinnehmbar“, wenn Juden ihren Glauben in Deutschlan­d verstecken müssten. „Der Staat hat zu gewährleis­ten, dass die freie Religionsa­usübung ohne Einschränk­ungen möglich ist.“

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FOTO: DPA Die Kippa ist die traditione­lle Kopfbedeck­ung jüdischer Männer.

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