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Goldende Palme in Cannes für „Parasite“von Bong Joon-ho aus Südkorea
CANNES - Es war ein rauschender Abschluss eines hervorragenden und bis zum Schluss spannenden Festivaljahrgangs: Einige der größten Stars des Kinos, Catherine Deneuve und Sylvester Stallone, Zhang Ziyi und Viggo Mortensen, dazu Regisseure wie Claire Denis und Michael Moore standen auf der Bühne des Grand Theatre Lumière und sie waren nicht mehr, als einfach die Paten der Preise. Die wurden von der Jury um den Mexikaner Alejandro Gonzalez Iñárritu vergeben: Die Goldene Palme gewann der Koreaner Bong Joon-ho für seinen Film „Parasite“. Die zweitwichtigste Auszeichnung, der Grand Prix ging an Mati Diop, Französin mit senegalesischer Mutter für ihr Regiedebüt „Atlantique“.
Es war einer der seltenen Glücksfälle, wie sie sich nur alle paar Jahre in einem Festival ereignen, in Cannes allerdings immerhin etwas öfters als in Venedig oder Berlin: Dass eine Jury die bekannten Namen und üblichen Verdächtigen weitgehend unberücksichtigt lässt, und stattdessen versucht, die Zukunft des Kinos zu kartografieren, und Filmemacher auszuzeichnen, die diese populärste von allen Künsten auch in den nächsten Jahrzehnten mitprägen dürften.
Zudem – auch das ein Glücksfall – kann man feststellen, dass diese Preisvergabe lange nachwirken wird, und nichts weniger einleiten dürfte, als einen grundsätzlichen Gezeitenwechsel im Weltkino. Denn auch die anderen wichtigsten Preise gingen mit einer einzigen Ausnahme an Filmemacher, die nicht aus Europa stammen, die jünger sind und in zwei Fällen weiblich. Die Ausnahme bilden die Brüder Dardennes, deren Regiepreis für viele rätselhaft blieb und im Kinosaal mit hörbaren Buhrufen bedacht wurde.
Ansonsten aber gewann mit „Parasite“zum zweiten Mal hintereinander ein asiatischer Film die Goldene Palme. Die hochamüsante absurde Gesellschaftssatire aus Korea ist nicht nur eine der wenigen Komödien im Wettbewerb, sie hat auch tiefere Bedeutung: Denn es geht um Kritik an den Folgen eines wilden Kapitalismus, um die Amerikahörigkeit der neuen Oberschichten, deren Infantilität und Kulturlosigkeit der Film aufs Korn nimmt, ohne die Unterschichten zu idealisieren. Auch sie sind in seinem Film von Gier und verlogenen Aufstiegsversprechen infiziert. Trotzdem verfällt der Film nie ins Predigen oder Moralisieren – er ironisiert alle Komfortzonen, nicht zuletzt auch die des guten Gewissens.
Auch Mati Diops „Atlantique“ist ein Film, der von außen auf das vermeintliche Freiheits- und Wohlstandsparadies des liberalen Westens blickt. Ungleich ernster, aber ähnlich skeptisch, und voller Poesie: Ein überaus sinnlicher Film und ein Werk der kleinen unmerklichen Impressionen und Verschiebungen. Das Afrika der Mati Diop ist ein Raum der anderen Erfahrung, zugleich fernab von allen Vorstellungen eines „Heart of Darkness“, mehr ein Raum für Gedanken und Empfindungen, für Erfahrungen der Freiheit. Diese politische Traumreise ist da weniger interessant, wo der Film widerspruchsfrei erzählen will. Stark wird „Atlantique“immer dann, wenn er sich intuitiv ganz dem eigenen Ansatz hingibt, auf das lyrische Erzählen vertraut, auf die Lust am Bild.
Wenn „Atlantique“antikolonialistisches Kino ist, dann könnte man „Bacurau“als Anti-Gringo-Kino bezeichnen. Der Brasilianer Kleber Mendonca hat einen wilden, ungezähmten und rauen Film gemacht, der Science-Fiction, Paranoiakino und Western zu einem Hybrid aus JohnCarpenter-Hommage und Kommentar zur aktuellen Politik verbindet. Und zwar nicht nur zur brasilianischen. Eine Utopie der Verständigung durch Durchmischung, in der der deutsche Udo Kier eine Hauptrolle spielt.
Die Wettbewerbsfilme teilten sich klar in zwei Gruppen: solche, die selbst geschlossene Systeme sind, die nichts suchen, sondern schon immer Bescheid wissen, die Identitäten und Thesen bebildern. Sie stammten aus westlichen Ländern, und oft von alten Herren: Ken Loach, den Dardennes, Terrence Malick oder Pedro Almodovar. Die zweite Gruppe sind jene Filme, die offen sind, in sich heterogen, auf der Suche, die experimentieren. Sie stammen oft von Jüngeren, von Frauen, von Regisseuren aus außereuropäischen Ländern oder Kulturen und sie haben glücklicherweise in diesem Jahr in Cannes triumphiert.