EU-Feind Farage gewinnt in Großbritannien
Nach dem Ergebnis der Europawahl wird ein Chaos-Brexit aus der EU wahrscheinlicher
LONDON - Noch bevor das mutmaßlich schlechteste Ergebnis für die Torys seit Einführung demokratischer Wahlen verkündet worden war, fasste der frühere Vize-Premier Damian Green am Sonntag die Lage in Großbritannien in drastischen Worten zusammen: „Die Zukunft der konservativen Partei steht auf dem Spiel.“Der Politiker vom liberalen Flügel hatte vor allem die harten Brexiteers im Visier, die sich im Kampf um die Nachfolge von Premierministerin Theresa May mit Maximalforderungen überbieten. Das erst spätabends verkündete Ergebnis der Europawahl dürfte den Drang nach einem chaotischen EU-Austritt ohne Vereinbarung („No Deal“) noch verstärken.
Denn der Prognose der OnlinePlattform Britain Elects zufolge hat der Nationalpopulist Nigel Farage beim Wahlgang am Donnerstag in Großbritannien mit seiner erst wenige Monate alten Brexit-Party 31,6 Prozent erzielt. Wie vor fünf Jahren mit Ukip (27,4 Prozent) belegen die ausgewiesenen EU-Feinde bei der Europawahl auch diesmal Platz eins und entsenden 24 Abgeordnete nach Brüssel. Farage, wollte dies als Plebiszit für No Deal interpretieren und damit das Unterhaus unter Druck setzen.
Labour (19,1 Prozent) und die Liberaldemokraten (18,9 Prozent) liegen nach der Prognose beinahe gleichauf. Die Konservativen büßen mit einem Stimmanteil von 12,4 Prozent neun ihrer bisher 19 Mandate ein. Die Grünen verzeichneten voraussichtlich 9,8 Prozent und gewinnen ein Mandat hinzu (bisher drei).
Dass der damalige Premier David Cameron (2010-16) überhaupt das EU-Referendum versprach, lag nicht zuletzt am damaligen Höhenflug von Ukip unter Farage. Camerons Nachfolgerin May bezeichnete er in den vergangenen Wochen stets als „vorsätzlich heuchlerische“Verräterin an der Brexit-Sache und heimste damit auf den Kundgebungen seiner neuen Ein-Mann-Partei viel Beifall ein.
Abreibung für Labour
Die Brexit-Krise hat nicht nur die Torys bis ins Mark erschüttert. Auch die größte Oppositionspartei Labour erwartete von der Europawahl „eine ordentliche Abreibung“, wie Finanzsprecher John McDonnell am Sonntag einräumte. In Scharen sind Anhänger der Arbeiterpartei zu Liberaldemokraten und Grünen übergelaufen; beide kleinere Parteien wollen durch ein zweites Referendum den EU-Verbleib erzwingen. Hingegen blieb Labours Vorgehen unklar. Das liegt an der eingefleischten EUSkepsis des Vorsitzenden Jeremy Corbyn, dem die Ergebnisse am Sonntag den 70. Geburtstag vermiesten.
Vom Abschneiden der proeuropäischen Parteien – zu ihnen zählen auch die schottischen und walisischen Nationalisten sowie die neue Gruppierung Change UK – und der Wahlbeteiligung hängt die Interpretation des Ergebnisses ab. Europawahlen wurden auf der Insel nie recht ernst genommen, beim letzten Mal gingen lediglich 34,2 Prozent der Briten an die Urne, Nordirland wird separat berechnet. Diesmal meldeten tendenziell proeuropäische Wahlkreise Quoten von bis zu 40 Prozent, was der Wucht der Brexit-Party die Spitze abbrechen könnte.