Grüne übertreffen eigene Erwartungen
Partei profitiert von Klimadebatte – Erfolg auch in Baden-Württemberg und Bayern
BERLIN - „Was für ein Abend!“Grünen-Chefin Annalena Baerbock musste schreien, um sich bei der Wahlfeier Gehör zu verschaffen, so laut war der Jubel. Dass es ein gutes Ergebnis geben würde, damit hatten viele gerechnet. Doch die erste Prognose übertraf die Erwartungen nochmal deutlich. „Das Ergebnis zeigt: Die Menschen wollen mehr Klimaschutz, und die Menschen wollen Europa“, rief die Potsdamerin.
Ihr Top-Ergebnis verdanken die Grünen zwei Umständen: Die Umweltthemen, um die es diesmal vor allem ging, spielten den Grünen in die Karten. Außerdem nahmen sie so auch gleich noch den Schub der „Fridays for Future“-Bewegung mit. Sven Giegold, grüner Spitzenkandidat für Brüssel, sprach deshalb am Wahlabend vom „Sunday for Future“und kündigte an: „Wir werden das Anliegen der Klimabewegung in das Parlament tragen.“
Zum andern profitieren die Grünen immer noch enorm von der Popularität ihres vor anderthalb Jahren gewählten Spitzenduos Baerbock/Habeck. Die „Teamarbeit“sei es gewesen, die den Wahlerfolg möglich gemacht habe, lobte Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Hintergrund: Die grünen Europa-Spitzenkandidaten Ska Keller und Giegold sind immer noch kaum bekannt. Die Zugpferde Baerbock und Habeck mussten das ausgleichen.
Zulauf von Union und SPD
Das wiedererwachte Interesse an der Umweltpolitik und die populäre Parteispitze sind beides offenbar auch Gründe, warum viele frühere Nichtwähler – laut Nachwahlbefragungen waren es 2,6 Millionen – ihr Kreuz bei der Ökopartei gemacht haben. Doch die Grünen überzeugten auch viele ehemalige Wähler der SPD (1,6 Millionen) und der Union (840 000).
Mit ihrem Triumph setzen die Grünen ihre Erfolgsserie der vergangenen Monate fort. Doch in den Jubel mischten sich am Wahlabend auch nachdenkliche Töne. Was ist, wenn die Große Koalition platzt? Sollen die Grünen dann sofort Neuwahlen anstreben, um ihre guten Umfrageergebnisse in Parlamentssitze zu verwandeln? Was ist mit einem Kanzlerkandidaten? Viele in der Partei wollen das. Andere dagegen befürchten, es käme nicht gut an, wenn man sich einer möglichen Jamaika-Neuauflage verweigern würde.
Fraktionschef Anton Hofreiter rät beim Thema Neuwahlen zur Zurückhaltung, wie er am Sonntagabend sagte. Und um sich Gedanken über Jamaika zu machen, sei es sowieso noch deutlich zu früh.
In Baden-Württemberg liegen die Grünen Hochrechnungen zufolge bei 23 Prozent und damit noch über dem Bundesergebnis. „Das grüne Rekordergebnis ist ein klarer Auftrag: Deutschland muss zum Klimavorreiter und die Europäische Union zur Klimaunion werden“, betonten die Grünen-Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand.
Im Europäischen Parlament werden voraussichtlich künftig zwei Abgeordnete der Grünen aus BadenWürttemberg vertreten sein, Michael Bloss und Anna Deparnay-Grunenberg. Beide kommen aus Stuttgart. Beide stünden für ein ökologisches, soziales und demokratisches Europa, das begeistere und verbinde, so die Grünen-Landesvorsitzenden.
Schulze: „Hammerergebnis“
In Bayern bezeichnete Katharina Schulze, Fraktionschefin der Grünen im Landtag, das Abschneiden ihrer Partei als „Hammerergebnis“. Laut Prognose des Bayerischen Rundfunks kamen die Grünen im Freistaat auf 20,5 Prozent und erreichten damit den zweiten Platz hinter der CSU. „Die Wahl zeigt deutlich, dass die Menschen konsequenten Klimaschutz wollen und ein #Europa das zusammenhält und sich nicht spalten lässt!“, twitterte Schulze.