Ein „sehr strategisches Rennen“auf Tempelhofs Flugfeld
Lucas di Grassi gewinnt Formel-E-Lauf in Berlin – Pascal Wehrlein wird Zehnter, Daniel Abt Sechster
BERLIN - Ein wenig missmutig stand Pascal Wehrlein nach dem Formel-ERennen in Berlin in der Garage. Der ehrgeizige Mahindra-Pilot hatte sich bei seinem Heimrennen mehr erhofft als einen Punkt für Platz zehn. „Bei uns ist es dieses Jahr ein Auf und Ab“, sagte der Worndorfer, „man merkt ziemlich schnell am Wochenende, ob es passt oder nicht.“Mit dem speziellen Streckenbelag der Piste auf dem Tempelhofer Flugfeld seien er und sein Teamkollege Jérôme d’Ambrosio, der auf Platz 17 gewertet wurde, von Anfang an nicht zurecht gekommen. „Vielleicht braucht es hier eine andere Einstellung“, so der 24-Jährige. Er baut jetzt auf das nächste Rennen in Bern und den Umschwung: „Bei manchen Rennen können wir voll vorne mitfahren, dann gibt es wieder Rennen, wo nicht viel geht.“
Zumindest war der Ausgang für Wehrlein erfreulicher als für André Lotterer. Der Zweitplatzierte im Zwischenklassement wollte im Qualifying mit seinem DS-Techeetah so knapp als möglich vor Ablauf der Trainingszeit zu seiner schnellen Runde über die Ziellinie fahren. Doch der 37 Jahre alte Routinier war um eine Zehntelsekunde zu spät dran. „Wir hätten das Potenzial für Startplatz fünf oder sechs gehabt", sagte er zu seinem Leistungsvermögen. Stattdessen hatte er die schlechteste Zeit stehen. Die Konsequenz: Start von ganz hinten. Klassisch verzockt.
Den Verbrauch immer im Blick
Zu den Besonderheiten der Formel E gehört, dass die Batterieleistung von 52 Kilowattstunden im Normalfall nicht für eine Distanz über 45 Minuten plus eine Runde im Vollgasmodus reicht. Die Fahrer müssen permanent auf ihren Verbrauch achten, immer mal wieder vom Gas gehen. Auch dies betraf Lotterer, als er seine Aufholjagd startete, die ihn bis auf Platz elf nach vorne brachte. „Wenn man überholt, verbraucht man Energie, die muss man wieder einsparen“, erklärte der gebürtige Duisburger. Der Vergleich mit seinen Konkurrenten belegt, dass ihm diese Einteilung gut gelungen war. Trotzdem wurde er eine Viertelstunde vor Rennende langsamer, stellte seinen Rennwagen an der Box ab – denn: „Die Batterie ist zu heiß geworden.“Schmerzlicher als der Ausfall ist der Rückstand, den Lotterer jetzt in der Zwischenwertung hat.
Doch um das Energie-Management muss sich nicht nur der Fahrer kümmern, der von hinten aufholt, sondern auch derjenige, der vorneweg fährt. „Es war ein sehr strategisches Rennen“, bekannte Sieger Lucas di Grassi. Als der Audi-Pilot, Weltmeister 2017, in der sechsten Runde Sébastien Buemi, Weltmeister 2016, überholte, konnte er sich fast spielerisch absetzen. Doch dies war nur der Eindruck von außen. Im Cockpit hatte der Brasilianer jede Menge zu tun. „Ich musste sowohl auf den Verbrauch als auch auf den Abstand nach hinten achten“, sagte di Grassi.
Geholfen hat ihm dann auch noch der Brite Alex Lynn, der mit seinem Jaguar wegen einer blockierenden Hinterachse mitten auf der Piste vor dem Tempelhofer Flughafen liegen blieb. Die Rennleitung rief eine FullCourse-Yellow aus. Bei konstant Tempo 50 konnten die Piloten Energie sparen. Und hinterher umso heftiger attackieren. Dies tat vor allem Lotterers Teamkollege Jean-Eric Vergne. Der amtierende Weltmeister und Tabellenführer war von Platz neun gestartet, hat sich bis letztlich auf Platz drei nach vorne gekämpft. „Durch das Full-Course-Yellow konnte ich Energie sparen, die ich später einsetzen konnte“, sagte der Franzose.
Attack-Modus kommt gut an
Können die Teams in der Formel 1 mit den Boxenstopps verschiedene Strategien anwenden, haben die FormelE-Piloten diese Möglichkeiten nicht. Stattdessen können sie zweimal den Attack-Modus aktivieren. Nach Überfahren eines Sektors, der meist am äußeren Rand einer Kurve liegt, haben sie für vier Minuten statt der normalen Leistung – 200 Kilowatt – noch einmal 25 Kilowatt mehr. „Ich finde dieses strategische Element sehr spannend“, sagt Pascal Wehrlein.
Dieser Meinung schließt sich Maximilian Günther spontan an. „Deswegen sind die Rennen so spannend“, sagt der Allgäuer. Und deswegen würde der Dragon-Pilot weiterhin in der vollelektrischen Serie mitmachen. Obwohl er am Samstag als 14. nicht glücklich war. Besser lief’s da schon für Daniel Abt, der als Sechster bester Deutscher beim deutschen Formel-ERennen wurde. Doch so richtig glücklich wirkte der Vorjahressieger nicht.