Sparern drohen Strafzinsen
EZB-Politik setzt Südwest-Sparkassen unter Druck
STUTTGART (dpa) - Der Präsident des baden-württembergischen Sparkassenverbands, Peter Schneider, hat angesichts der anhaltenden Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank vor Minuszinsen auch für Privatkunden gewarnt. „Wir wollen es nicht, wir heißen Sparkassen“, sagte Schneider am Mittwoch in Stuttgart. Schneider betonte: „Ich überlasse da gerne anderen den Vortritt.“Sollte die EZB aber die Zinsen noch weiter senken und nicht gegensteuern, führe an breiter Front kein Weg daran vorbei, Geld für das Aufbewahren von Guthaben zu verlangen. Die Sparkassen befänden sich in einem Dilemma.
An diesem Donnerstag trifft die Europäische Zentralbank ihre nächste Zinsentscheidung. EZB-Präsident Mario Draghi hatte angesichts düsterer Konjunkturaussichten eine weitere Lockerung der Geldpolitik angedeutet und weitere Zinssenkungen nicht ausgeschlossen.
STUTTGART - Der weiter anhaltenden Nullzinsphase zum Trotz werden die Sparkassen in Baden-Württemberg von Kundengeldern nahezu überschwemmt. Mit einem rekordhohen Plus von 5,3 Prozent auf 143,0 Milliarden Euro wuchsen die Einlagen der Institute im ersten Halbjahr 2019 so kräftig wie noch nie. „In früheren Jahren, als Banken und Sparkassen noch Zinsen auf Einlagen gezahlt haben, wurden solche Steigerungsraten nie erreicht“, sagte Peter Schneider, der Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg (SVBW), bei einer Pressekonferenz in Stuttgart. Er begründete diesen Trend mit mangelnden Alternativen in zinsfreier Zeit und dem Wunsch nach Sicherheit.
Ob diese Entwicklung auch für den Fall anhalten wird, sollten die Sparkassen die derzeitigen Minuszinsen der Europäischen Zentralbank (EZB) in der Breite an Privatkunden weitergeben, muss sich zeigen. Schneider warnte jedoch davor, dass künftig möglicherweise jeder private Sparer Zinsen zahlen muss, wenn er sein Erspartes auf einem Sparbuch oder einem Girokonto bei einer Sparkasse liegen lässt. Der Präsident des SVBW machte jedenfalls klar, dass die Finanzbranche eine solche Zäsur aus betriebswirtschaftlichen Gründen nur schwer wird vermeiden können, sofern die Zentralbank ihre ohnehin schon expansive Geldpolitik ausdehnen sollte. Derzeit müssen Banken und Sparkassen für Gelder, die sie bei der EZB parken, eine Gebühr von 0,4 Prozent zahlen.
Bisher geben die Geldhäuser diesen Negativzins nur in Einzelfällen weiter – und zwar bislang nur an Firmenkunden, institutionelle Anleger und Kommunen. Vor diesem Hintergrund nannte Schneider die jüngsten Andeutungen des scheidenden EZBPräsidenten Mario Draghi, die Leitzinsen möglicherweise noch weiter zu senken, einen „regelrechten Schock“. Daher starrt die gesamte Finanzbranche auch wie gebannt auf die Ergebnisse der Zinssitzung des Zentralbankrats, der am Donnerstag in Frankfurt zusammenkommt.
Der Sparkassenpräsident betonte, dass seine Institutsgruppe die Weitergabe von Minuszinsen an Privatkunden vermeiden wolle und auch keine Vorreiterrolle spielen werde. „Wir wollen das nicht, wir heißen Sparkassen“, sagte Schneider. Sobald aber ein „relevanter Marktteilnehmer“diesen Schritt vollziehe, kämen auch die Sparkassen nicht mehr daran vorbei, Geld für die Aufbewahrung von Guthaben zu verlangen. Als Vorreiter der Finanzbranche werden die Sparkassen die Negativzinsen für Privatanleger allerdings nicht einführen. „Ich überlasse da gerne anderen den Vortritt“, erklärte Schneider.
Vor allem aber kündigte Schneider an, dass es keine Staffelung geben werde, sollten Negativzinsen kommen. Bislang waren Finanzexperten davon ausgegangen, dass zuallererst größere Beträge von 100 000 Euro an mit Negativzinsen belegt werden könnten. „Sollten sich Minuszinsen am Markt durchsetzen, kommen sie in breiter Front und nicht gestaffelt nach Anlagesummen“, sagte Schneider, verwies allerdings auch auf die seines Erachtens wackelige Rechtsgrundlage von Minuszinsen für Privatkunden. Da das Bürgerliche Gesetzbuch per se davon ausgeht, dass Zinsen positiv sind, interpretieren Institute, die bisher in Ausnahmefällen sehr hoher Einzelengagements Minuszinsen erheben, diese als sogenanntes Verwahrentgelt. „Daher sollte man eine rechtlich saubere Konstruktion schaffen“, plädierte Schneider an den Gesetzgeber.
Klare Regelungen sind nach Meinung von Schneider auch für die von Facebook geplante Komplementärwährung Libra erforderlich. Bekanntlich arbeitet der US-Konzern zusammen mit 27 anderen namhaften Unternehmen wie Spotify, Paypal oder Uber für 2020 an der Einführung eines solchen digitalen Zahlungsmittels, das die Nutzer mit ihrer Landeswährung kaufen sollen. „Dahinter steckt aber knallhartes Eigeninteresse“, warnte Schneider mit Blick auf den Anspruch der Staaten auf Währungsautonomie. „Diese dürfen wir uns nicht aus der Hand nehmen lassen“, machte der Sparkassenpräsident klar. Er sei aber zuversichtlich, dass die Politik die Gefahr erkannt habe und an der Regulierung der Digitalwährung arbeite.
Neben den Kundeneinlagen hatten sich für die baden-württembergischen Sparkassen im ersten Halbjahr auch die Firmendarlehen mit einem Plus von 6,9 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro als Wachstumstreiber erwiesen. Dennoch spiegelt ein Rückgang der Darlehenszusagen in Höhe von fünf Prozent auf 6,7 Milliarden Euro die sinkende Stimmung in der Industrie wider, die mit rückläufigen Aufträgen und einer sinkenden Produktion zu kämpfen hat.
Unterm Strich verbuchten die baden-württembergischen Sparkassen in den ersten sechs Monaten des Jahres eine Steigerung des Kreditvolums um 4,6 Prozent auf 133,3 Milliarden Euro. Getrieben von dieser Entwicklung stieg die konsolidierte Bilanzsumme der 51 Geldhäuser im ersten Halbjahr 2019 um 3,9 Prozent auf 199,6 Milliarden Euro. Für 2019 rechnet Schneider zwar mit einem „ordentlichen Ergebnis“der Institute im Südwesten. Allerdings geht er davon aus, dass die Margen aufgrund der anhaltend expansiven Geldpolitik der EZB weiter unter Druck stehen werden, so dass für das Gesamtjahr ein Rückgang des Zinsüberschusses um 100 Millionen auf 3,1 Milliarden Euro zu erwarten sei.