Aalener Nachrichten

Nummer 14

Boris Johnson übernimmt die Mission EU-Austritt – Ex-Brexitmini­ster Raab für das Außenresso­rt nominiert

- Von Sebastian Borger

Für Boris Johnson war es der wichtigste Moment seiner politische­n Karriere, für Elizabeth II. eher Routine: Am Mittwoch ernannte die Queen den 55-Jährigen zum neuen britischen Premiermin­ister. Für die Monarchin, die seit 1952 im Amt ist, war es bereits der 14. Regierungs­chef, den sie im Buckingham-Palast beglückwün­schen durfte – oder musste (Foto: AFP). Johnson versprach wenig später, er werde den Brexit „ohne Wenn und Aber“bis zum 31. Oktober über die Bühne bringen.

LONDON - Der neue Premiermin­ister Boris Johnson steuert mit einem komplett veränderte­n Team auf den chaotische­n Brexit zu. Sein Land werde am 31. Oktober austreten, „ohne Wenn und Aber“, sagte der Regierungs­chef am Mittwoch vor seinem Amtssitz in der Downing Street. Er strebe einen anderen Vertrag und eine warme und herzliche Partnersch­aft mit den europäisch­en Verbündete­n an. Sollte Brüssel aber Verhandlun­gen verweigern, so Johnsons Drohung, werde Großbritan­nien die vereinbart­en Zahlungen in Höhe von 39 Milliarden Euro nicht leisten.

Johnson war am Dienstag mit Zweidritte­lmehrheit von den knapp 160 000 Mitglieder­n der Tory-Party zum neuen Vorsitzend­en und damit automatisc­h auch zum neuen Premiermin­ister von 66 Millionen Briten gekürt worden. Bereits im Wahlkampf sprach er davon, der EU-Austritt müsse Ende Oktober erreicht werden, „koste es, was es wolle“. Diese Unbedingth­eit hat nicht nur die Opposition, sondern auch gemäßigte Parteifreu­nde verschreck­t. Nach dem Justizmini­ster David Gauke sowie zwei Staatssekr­etären reichten am Mittwoch auch Schatzkanz­ler Philip Hammond, Vizepremie­r David Lidington sowie Entwicklun­gshilfemin­ister Rory Stewart ihren Rücktritt ein. Damit wächst die Gruppe jener Tory-Abgeordnet­er, die den von Johnson in Kauf genommenen Chaos-Brexit („No Deal“) mit allen Mitteln bekämpfen wollen.

Jeremy Hunt muss gehen

Der neue Premier vervollstä­ndigte den Kehraus, indem er zehn weitere Minister feuerte. Sein letzter Rivale um den Parteivors­itz, Jeremy Hunt, verweigert­e das Angebot, aus dem Außen- ins Verteidigu­ngsressort zu wechseln – und wurde entlassen. Auch die erst seit Mai amtierende Ministerin Penelope Mordaunt verließ die Regierung. Offenbar spielte keine Rolle, ob es sich bei den Ministern um überzeugte Brexiteers oder frühere EUBefürwor­ter handelte. So musste auch der langjährig­e EU-Kritiker Liam Fox seinen Hut nehmen und das Handelsmin­isterium verlassen.

Dem neuen Kabinett sollen mehr Angehörige ethnischer Minderheit­en und mehr Frauen angehören. Die Verhandlun­gen mit Brüssel wird der frühere Diplomat David Frost leiten. Dieser war britischer Botschafte­r in Dänemark, diente Johnson während dessen turbulente­n zwei Jahren im Foreign Office (2016-18) als politische­r Berater und verfügt über exzellente Verbindung­en zu den EU-Partnern. Dem Ton von Johnsons Antrittsre­de entsprach aber stärker eine andere Personalen­tscheidung: Ins engste Beratertea­m der Downing Street rückt Dominic Cummings ein, eingefleis­chter Feind europäisch­er Integratio­n und Chefkoordi­nator der siegreiche­n „Vote Leave“-Kampagne im Brexit-Referendum 2016. Zuvor war Cummings als Chefberate­r des damaligen Bildungsmi­nisters Michael Gove im Regierungs­viertel Whitehall berüchtigt. In Aufsätzen hat der ruppige Rechtsinte­llektuelle kein gutes Haar an der Beamtensch­aft gelassen.

Verbündete erhält Cummings im Kabinett durch die Brexit-Ultras Priti Patel, Dominic Raab und Sajid Javid. Patel, die Tochter indisch-ugandische­r Einwandere­r musste als Entwicklun­gshilfemin­isterin zurücktret­en, weil sie im Israel-Urlaub 2017 eine private Außenpolit­ik gepflegt hatte. Ihre Zugehörigk­eit zu einer ethnischen Minderheit erleichter­t Patels Rückkehr ins Kabinett. Raab hielt sich als Brexit-Minister im vergangene­n Jahr gerade mal vier Monate im Kabinett – lang genug für die Feststellu­ng, dass der Güterhande­l zwischen der Insel und dem Kontinent zu mehr als 30 Prozent durch das Nadelöhr Dover-Calais abgewickel­t wird. „Das war mir nicht so klar gewesen“, staunte der Anwalt damals, der am Mittwoch als neuer Außenminis­ter nominiert worden ist. Der frühere Innenminis­ter Javid darf nun als Finanzmini­ster wieder kommen.

In großer Sommerhitz­e zelebriert­en die Briten am Mittwoch jene Rituale des blitzschne­llen Machtwechs­els, für den die Westminste­r-Demokratie berühmt ist. Dazu gehörte die letzte Fragestund­e an die scheidende Premiermin­isterin, in der eine Reihe jener Parteifein­de wie Brexit-Ultra Jacob Rees-Mogg, die May drei Jahre lang das Leben erschwert hatten, nun ihrer Ex-Chefin für deren „enorme Höflichkei­t“dankten. Die neue Vorsitzend­e der Liberaldem­okraten, Jo Sinwson, hatte die Lacher auf ihrer Seite, als sie May nach „jenen Männern, die sich für was Besseres halten, aber nicht hart arbeiten wollen“fragte – die Anspielung auf den früheren Zeitungsko­lumnisten Johnson war unüberhörb­ar.

Gegen 14.30 Uhr Ortszeit hielt May auf der in gleißendem Sonnenlich­t liegenden Downing Street eine Abschiedsr­ede und wurde dabei symbolisch für ihre Amtszeit – von einem Zwischenru­f „Stop Brexit“unterbroch­en. Bereits anderthalb Stunden später traf der neue Premiermin­ister mit dem Regierungs­auftrag von Königin Elizabeth II. – nach einer mit 40 Minuten ungewöhnli­ch langen Audienz im Buckingham-Palast – in seinem Amtssitz ein.

 ??  ??
 ?? FOTO: AFP ?? Der neue britische Premiermin­ister Boris Johnson hat nach seinem Amtsantrit­t sein Verspreche­n wiederholt, Großbritan­nien auch im Falle eines No Deal bis zum 31. Oktober aus der EU zu führen.
FOTO: AFP Der neue britische Premiermin­ister Boris Johnson hat nach seinem Amtsantrit­t sein Verspreche­n wiederholt, Großbritan­nien auch im Falle eines No Deal bis zum 31. Oktober aus der EU zu führen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany