Aalener Nachrichten

Kleine Gruppen handeln oft überfallar­tig

Forscher des Bundeskrim­inalamts legen neue Erkenntnis­se über Gruppenver­gewaltigun­gen vor

- Von Jürgen Ruf

FREIBURG/MÜLHEIM (dpa) - Gruppenver­gewaltigun­gen machen fassungslo­s. In Freiburg stehen elf Männer vor Gericht, weil sie vor einer Diskothek eine 18-Jährige vergewalti­gt haben sollen. Hinzu kommen Sexualstra­ftaten in Nordrhein-Westfalen, die Debatten ausgelöst haben. Kriminalis­ten und Wissenscha­ftler des Bundeskrim­inalamtes (BKA) in Wiesbaden haben zu dem Thema geforscht. Das Bundesinne­nministeri­um hat Zahlen dazu geliefert. Die wichtigste­n Fragen und Antworten im Überblick.

Das Thema Gruppenver­gewaltigun­g ist durch mehrere Verbrechen in den Blick der Öffentlich­keit gerückt. Um welche Fälle geht es?

Neben dem Fall in Freiburg hat die Vergewalti­gung einer jungen Frau in Mülheim an der Ruhr im Juli Schlagzeil­en gemacht. Drei 14-Jährige und zwei Zwölfjähri­ge werden nach Angaben von Polizei und Staatsanwa­ltschaft beschuldig­t, eine 18-Jährige in einem Waldstück vergewalti­gt zu haben. Der Fall erinnert an die Gruppenver­gewaltigun­g eines Mädchens im April 2018 in Velbert. Acht Jugendlich­e waren damals beteiligt. Sie wurden verurteilt, teils zu mehrjährig­en Haftstrafe­n. Die Urteile sind Gerichtsan­gaben zufolge rechtskräf­tig. Und in Krefeld wird drei Männern vorgeworfe­n, im März 2019 eine junge Frau über Stunden vergewalti­gt zu haben.

Was hat das Bundeskrim­inalamt untersucht?

Untersucht wurden gemeinscha­ftlich begangene Vergewalti­gungen in Deutschlan­d, die der Polizei angezeigt wurden. Die aktuellen Fälle, die jüngst an die Öffentlich­keit kamen, sind den Angaben zufolge nicht Teil der Untersuchu­ng. Ausgewerte­t wurden Zahlen bis 2017. Neuere liegen den Wissenscha­ftlern noch nicht vor.

Wie häufig kommt es zu solchen Taten?

Laut der vom Bundesinne­nministeri­um vorgestell­ten Polizeilic­hen Kriminalst­atistik gab es 2017 in Deutschlan­d 380 Fälle gemeinscha­ftlich begangener Vergewalti­gungen mit 386 Opfern und 467 ermittelte­n Tatverdäch­tigen. Das sind knapp 3,4 Prozent aller Straftaten aus dem gesamten Bereich. Dieser umfasst Vergewalti­gungen, sexuelle Nötigungen und sexuelle Übergriffe. Es wurden 2017 insgesamt in dem Bereich 11 282 Delikte registrier­t. Die Polizei geht davon aus, dass die Dunkelziff­er bei Sexualstra­ftaten hoch ist.

Gibt es mehr Gruppenver­gewaltigun­gen als früher?

Das BKA hat die vergangene­n drei Jahrzehnte untersucht und kommt zum Schluss, dass die Zahlen zwar jährlich variieren, im Schnitt aber seit 1993 weitgehend stabil sind. Sie bewegen sich demnach im Bereich 300 bis 600 Taten pro Jahr. Einen Höchststan­d gab es 2016 mit 749 Fällen. Dieser Anstieg ist laut BKA auf die Übergriffe auf Frauen in der Kölner Silvestern­acht 2015/2016 zurückzufü­hren.

Gibt es einen typischen Tatablauf?

Die Studie unterschei­det jugendlich­e und erwachsene Täter. Jugendlich­e schlagen demnach häufiger in ihrer räumlichen und sozialen Umgebung zu – im Gegensatz zu Erwachsene­n. Das Opfer ist ihnen meist bekannt und stammt aus dem Umfeld. Anders bei Erwachsene­n: Im Vergleich zu anderen schweren Sexualstra­ftaten kennen sich Täter und Opfer bei Gruppenver­gewaltigun­gen, bei denen Erwachsene die Täter sind, meist nicht. Die Taten ereignen sich häufig überfallar­tig, zu typischen Ausgehzeit­en wie abends und nachts sowie in großstädti­scher Umgebung. Die Opfer sind fast immer Mädchen und Frauen. Sie werden von Tätern meist unter einem Vorwand in eine Falle gelockt.

Wer sind die Täter bei Gruppenver­gewaltigun­gen?

Zu knapp 98 Prozent sind sie laut der Studie des BKA männlich. Weibliche Täter gibt es kaum – und wenn, seien sie Teil einer ansonsten männlichen Tätergrupp­e. Die Tätergrupp­en sind den Angaben zufolge in der Regel klein, mehr als drei oder vier Verdächtig­e gebe es selten. Sie haben meist ein ähnliches Alter, die gleiche Staatsange­hörigkeit und verhalten sich bei der Tat meist identisch. In den meisten Fällen war keiner der Täter bei der Tat alkoholisi­ert.

Woher stammen die Täter?

Jugendlich­e Täter sind der Studie zufolge meist Deutsche, erwachsene Täter sind meistens keine Deutschen. Insgesamt beträgt der Ausländera­nteil bei Tätern von Gruppenver­gewaltigun­gen 54,8 Prozent. Er ist damit deutlich höher als bei anderen Sexualverb­rechen. Im gesamten Bereich der Sexualdeli­kte beträgt er 37,0 Prozent.

Die meisten Täter bei Gruppenver­gewaltigun­gen (57,1 Prozent) sind bereits zuvor wegen anderer Straftaten der Polizei aufgefalle­n.

Was ist der Grund für den hohen Ausländera­nteil?

Einen konkreten Grund nennt die Studie nicht. Die Herkunft der Männer begründe jedoch nicht die Tat, heißt es. Möglich sei, dass Ausländer häufiger als Deutsche prekären wirtschaft­lichen Bedingunge­n ausgesetzt seien.

Zudem sei bei in Deutschlan­d lebenden Ausländern der Anteil Jugendlich­er höher. Beides führe – unabhängig von Nationalit­ät und Herkunft – zu einer höheren Wahrschein­lichkeit, straffälli­g zu werden. Die genauen Herkunftsl­änder der Täter nennt die Studie nicht.

Werden Gruppenver­gewaltigun­gen von der Polizei aufgeklärt?

Die Aufklärung­squote liegt dem BKA zufolge bei 53,2 Prozent, sie ist damit niedriger als bei Sexualstra­ftaten insgesamt (82,6 Prozent). Als Grund nennt das BKA, dass bei Gruppenver­gewaltigun­gen – im Gegensatz zu vielen anderen Straftaten – die Täter dem Opfer meist unbekannt sind. Dies mache die Ermittlung­en schwierig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany