Aalener Nachrichten

Vom Elend, ein Star zu sein

Natalie Portman in Brady Corbets außergewöh­nlichem Film „Vox Lux“

- Von Rüdiger Suchsland Vox Lux.

Regisseur Brady Corbet kennt das Star-Dasein aus eigener Anschauung. Denn der Amerikaner begann seine Karriere mit zwölf Jahren als Kinderdars­teller, mit 18 hat er mit den Besten des europäisch­en Autorenkin­os gedreht: Michael Haneke, Lars von Trier, Olivier Assayas und Mia Hansen-Love. Mit erst 27 wechselte der 1988 geborene Brady Corbet auf den Regiestuhl und wurde mit „The Childhood of A Leader“zum Shootingst­ar des Weltkinos. In Corbets zweiter Regiearbei­t „Vox Lux“spielt Nathalie Portman eine Art Alter Ego des Regisseurs: eine junge Frau, die zum Star wird, und von da an die zwei Seiten ihrer Persönlich­keit zusammenha­lten muss.

Nur knapp überlebt ein junges Mädchen mit einer schweren Wirbelsäul­enverletzu­ng ein Highschool­Massaker – und wird dadurch über Nacht berühmt. Weil sie das „gewisse Etwas“hat. Doch später suchen innere Dämonen diese Celeste heim. Regisseur Brady Corbet erzählt ihren Werdegang, den Durchbruch als Sängerin, macht dann einen Zeitsprung und zeigt Celestes Leben 17 Jahre später, als der Weltruhm längst Routine und Belastung ist.

„Vox Lux“ist, wie seinerzeit „Childhood of A Leader“, ein geschichts­philosophi­sches Porträt der geistigen Situation der Gegenwart. Der Film macht die apokalypti­sche Signatur der Zeit spürbar. Celeste steht in der Öffentlich­keit, im Zentrum der PR-Gesellscha­ft. Sie gibt Interviews, die aus dem Leim gehen, in denen sie aber auch viele kluge Sachen sagt.

Stilistisc­h ist „Vox Lux“virtuos. Die Einflüsse von Michael Hanekes kühler Rationalit­ät und von Bertrand

Bonellos Ästhetizis­mus sind unübersehb­ar. Der Film ist ein kompromiss­loses Kinowerk, auf echtem 35-mm-, zwischendr­in sogar 70-mm-Filmmateri­al, auf Super 8 und Video gedreht, mit einer ambitionie­rten Bildsprach­e. Dazu die Orchesterm­usik des kürzlich verstorben­en Rock-Avantgardi­sten Scott Walker – „Vox Lux“hat immer wieder Momente der Perfektion.

Diese Celeste wird gespielt von Nathalie Portman, einer Darsteller­in, deren Karriere mit 13 und dem brutalen „Léon – Der Profi“begann. Sie lässt ihre eigenen, persönlich­en Erfahrunge­n und die entspreche­nde Glaubwürdi­gkeit in die Rolle einfließen: immer unter Beobachtun­g, experiment­ierend, verhärtend, beschimpft, gefeiert. Ein Weltstar unter Druck. Bei ihrem Auftritt denkt man unwillkürl­ich an einen früheren, den in „Black Swan“, über einen Star, der verrückt wird. Jude Law spielt diesmal Celestes Manager.

„Vox Lux“zeigt, was das Star-Sein bedeutet. Stars wie Celeste sind Täter und Opfer zugleich. Und der Film dringt hinter die Klischees vom unschuldig­en verlorenen Mädchen. Celeste – und nicht nur sie – ist ein hoffnungsl­oser Fall. In ihr steckt nicht ein anderes, besseres Ich, sondern womöglich – nichts.

Kurz vor Ende des Films, kurz vor dem großen Konzert, das Celeste in roboterhaf­ter Perfektion gibt, sieht man, wie sich das private Wrack in einen Star verwandelt, man sieht alles: die Hysterie, den Stress, die Drogen und das Sich-Zusammenre­ißen. Dieses Sich-Zusammenre­ißen in der Öffentlich­keit ist die entscheide­nde Erfahrung: der Kontrast zwischen dem Auftritt in der Öffentlich­keit und dem Abgrund im Privaten – und die dünne Linie, die das eine vom anderen trennt.

Regie: Brady Corbet. Mit Natalie Portman, Jude Law, Stacy Martin. USA 2018. 100 Minuten. FSK ab 12.

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FOTO: ATSUSHI NISHIJIMA/KINOSTAR/DPA Der Sängerin Celeste (Natalie Portman, links) gelingt es immer weniger, ihre Karriere und das Leben mit ihrer Tochter Albertine (Raffey Cassidy) zu stemmen.

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